Charles T. Little (ed.): Set in stone. The Face in Medieval Sculpture, New Haven / London: Yale University Press 2006, 240 S., 87 color, 114 b/w illus., ISBN 978-0-300-11781-3, USD 50,00
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Der Wiedergabe des menschlichen Antlitzes hat man in der Forschung zur Kunst des Mittelalters bislang eine eher geringe Aufmerksamkeit geschenkt, während der Vor- und Frühgeschichte des Porträts gewichtige Studien gewidmet waren. [1] Angesichts dieser disparaten Ausgangslage stand das New Yorker Metropolitan Museum of Art als Initiator von Ausstellung und Katalog vor einer besonderen Herausforderung, bei der es galt, ein vom Thema zwar klar eingegrenztes, zugleich aber doch sehr verschiedenartiges Material aufzubereiten. Charles T. Little, der die Ausstellung entwickelte, wählte hierfür sieben Hauptkapitel, eingeleitet von einer konzisen Einführung des Kurators in das Ausstellungskonzept und gefolgt von einem Beitrag Willibald Sauerländers - doch dazu später.
Der erste Abschnitt führt unter dem Titel "Iconoclasm: A Legacy of Violence" in scheinbar Vertrautes ein (18-45). Stephen K. Scher skizziert darin das Schicksal vieler Bildzyklen insbesondere seit der Französischen Revolution. Köpfe gehörten dabei bekanntermaßen zu den bevorzugten Zielen der Bilderstürmer. Im 19. Jahrhundert zum Sammlerobjekt geworden, gelangten viele Stücke in die USA, wo sie heute zum Kernbestand der Mittelaltersammlungen gehören. So sind Ausstellung und Publikation zunächst ein eindrucksvolles Zeugnis der Aufarbeitung und Präsentation der eigenen Bestände unter einer innovativen Fragestellung. Im Vordergrund steht also - kurz gesagt - die Erforschung dieser Objekte, der Dialog mit ihnen und die Suche nach neuen Antworten.
Dies mutet im Zeitalter von "visual studies" und "Bildwissenschaft" auf den ersten Blick etwas altertümlich an, doch bleibt zu bedenken, dass das eine nicht ohne das andere sinnvoll ist. Der Katalog liefert denn auch ein eindrückliches Beispiel dafür, wie Erkenntnisse der kunsthistorischen Grundlagenforschung und kontextbezogene Studien stärker miteinander verknüpft werden können.
Schon der zweite Abschnitt zum sogenannten Limestone Project erweist sich hier als ein Paradefall, denn die Herkunft der Objekte lässt sich zumeist nicht lückenlos verfolgen. Georgia Wright und Lore L. Holmes skizzieren in ihrem Beitrag (46-73) das Verfahren, die Zusammensetzung der Kalksteine exakt zu bestimmen und auf dieser Grundlage nicht nur den Steinbruch sondern bestenfalls auch das Bauwerk zu benennen, von dem das Objekt stammt. So konnte beispielsweise der Kopf eines Apostels im Art Institute Chicago (Kat.-nr. 14), der zuvor mit Notre Dame in Paris und der Kathedrale in Sens in Verbindung gebracht worden war, eindeutig mit den für Notre Dame verwendeten Steinbrüchen in Bezug gesetzt werden.
Der dritte Abschnitt schlägt einen weiten Bogen, indem er die zahlreichen Fragmente - viele von ihnen Könige, Propheten oder Gestalten biblischer Geschichten - im Hinblick auf die gängige Vorstellung von Portalprogrammen als monumentale steinerne Bibel befragt (74-99). Jacqueline E. Jung revidiert und erweitert die von vielen Forschern aufgegriffene Vorstellung der Bildzyklen als "Stone Bible" für die des Lesens unkundigen Laien. Am Beispiel der Visitatio an der Westfassade der Kathedrale von Reims macht sie deutlich, dass die Darstellung über die Schilderung in den Texten hinausgeht. Häufig findet man eine gezielte Modernisierung, man denke nur an die Szenen am Naumburger Westlettner, um den Betrachter durch zeitgenössische Verhaltensmuster anzusprechen. Man sollte also eher von einer Ergänzung der Texte sprechen, um zeigen zu können, was darin nicht anschaulich wird.
Ein eigener Abschnitt, eingeleitet von Janetta Rebold Benton, ist den sogenannten "marginalia" gewidmet (100-119), also in erster Linie Bildnissen an Konsolen, Kapitellen oder Archivolten, die dem Betrachter in der Regel erst bei genauerem Hinsehen auffallen. Auf diese Weise findet eine Forschungsrichtung Berücksichtigung, die Michael Camille 1992 mit seiner Studie "Image on the Edge" angestoßen hat. [2]
Mit dem den Porträtdarstellungen gewidmeten Kapitel "Sculpting Identity" kehren wir wieder an den Ausgangspunkt zurück (120-145): Die Auswahl der Objekte führt die auffallende Lücke vor Augen: Nach einer Folge spätantiker und byzantinischer Porträtbüsten (Kat.-nr. 47-56) werden wir unvermittelt in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts geführt. Stephen Perkinson verweist in seiner Einführung auf die unterschiedlichen Strategien, ein Individuum darzustellen. So sehr man sich auch vor Verallgemeinerungen in Acht nehmen muss, lässt sich als ein entscheidendes Kriterium doch festhalten, dass die wahre Natur einer Sache oder eines Individuums für den mittelalterlichen Menschen nicht durch ihre äußere Erscheinung wiedergegeben werden konnte.
Dies knüpft unmittelbar an die einführenden Überlegungen Willibald Sauerländers an (3-17), der Hugo von St. Viktor (1096-1141) anführt, das Gesicht sei der Spiegel der Disziplin. Auch wenn diese Einzelstimme nicht ohne weiteres auf das ganze Mittelalter übertragen werden darf, wird doch deutlich, warum mittelalterliche Künstler der äußeren Erscheinung ein so anderes Gewicht beimaßen, als wir dies heute kennen. Lange wurde die Wiedergabe von Emotionen als sündhaft angesehen, bis im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts eine Zäsur erkennbar wird, als das Lächeln im Kontext höfischer Verhaltensmuster seine negative Konnotation offenkundig verloren hatte. Sauerländer deutet die Zusammenhänge mit einem umfassenderen Veränderungsprozess an, der ein neu erwachtes Interesse an der menschlichen Physiognomie, eine verstärkte Beobachtung der Natur, aber nicht zuletzt auch ein individualisiertes Frömmigkeitsempfinden einschloss. Es erscheint deshalb durchaus plausibel, wenn Sauerländer hier seine Schwerpunkte setzt.
Die folgenden Jahrzehnte zwischen ca. 1250 und 1350 treten vergleichsweise zurück. Zum Teil ist dies den Objekten geschuldet, zum Teil aber auch der Forschungslage. Betont schockierende Bildwerke, wie etwa das Kruzifix in St. Maria im Kapitol in Köln, treten neben eigentümlich entrückte Darstellungen, deren Bezug auf den Betrachter allenfalls auf eine sehr indirekte Weise zu erschließen ist. Auch im Katalog schimmert dies durch, wenn man beispielsweise den Kopf einer Muttergottes, entstanden gegen 1330 in der Île-de-France (Kat.-nr. 35), mit dem etwa gleichzeitigen Haupt Johannes' des Täufers aus dem Umkreis des Hofs Ludwigs des Bayern (Kat.-nr. 79) konfrontiert. Gerade hier stehen künftige Forschungen vor der Herausforderung, übergreifende Erklärungsmodelle weiter zu differenzieren.
Die beiden letzten Abschnitte der Ausstellung erweitern das Blickfeld in geografischer und thematischer Hinsicht. Christine Verzar und Charles T. Little leiten zu italienischen Bildnissen über (146-167), die schon durch ihre Antikennähe mit den nordalpinen Beispielen nur eingeschränkt vergleichbar sind. In der Zeit Friedrichs II. entstand vermutlich eine Büste Julius Cäsars aus einer amerikanischen Privatsammlung (Kat.-nr. 63), die mit ihrer Physiognomie jeder Vorstellung mittelalterlicher Bildwerke zu widersprechen scheint und deshalb auch lebhafte Diskussionen hervorgerufen hat. Ein weiterer Beleg für die Antikenrezeption und -adaption ist die Büste einer gekrönten Frau aus Ravello (Kat.-nr. 66), eine im Kern antike Figur, die - aktuellsten Untersuchungen zufolge (VII) - wohl im 13. Jahrhundert überarbeitet wurde.
Zuletzt wird mit einem Abschnitt zu Reliquienbüsten, eingeleitet von Barbara Drake Boehm (168-197), der Blick auf einen Bereich gelenkt, der für die Geschichte des mittelalterlichen Bildnisses zumeist ohne Beachtung blieb. Dass diese Bildwerke jedoch eine zentrale Stellung einnehmen, macht Boehm zu Recht deutlich. Sie verweist darauf, dass sich der mittelalterliche Gläubige Heilige häufig über seine Visualisierung, zum Beispiel als Kopfreliquiar, vergegenwärtigte, auch wenn man sich der unterschiedlichen visuellen Wirkung eines glänzenden Reliquiars, seiner Präsentation und Aufstellung bewusst sein muss.
Wendet man das Augenmerk auf die Publikation im Ganzen, ist hervorzuheben, dass sämtliche Objekte zum Teil mit mehreren Ansichten überwiegend hervorragend farbig bebildert sind. Die begleitenden ausführlichen Katalogtexte befragen die Objekte in erster Linie hinsichtlich ihrer Herkunft, Entstehung und kunsthistorischen Einordnung. Hier wäre es freilich von Vorteil gewesen, wenn einige der Katalogautoren ihre Objekttexte noch um einen Absatz zur Relevanz des jeweiligen Stücks für die Fragestellung der Ausstellung ergänzt hätten.
Insgesamt bleibt aber festzuhalten, dass mit "Set in Stone" eine überaus anregende Veröffentlichung vorliegt, die deutlich macht, dass gerade die kunstgeschichtliche Mittelalterforschung an den Museen über die Entwicklung neuer Fragestellungen die Faszination mittelalterlicher Kultur veranschaulichen kann. Welche Impulse von einer solchen Schau ausgehen können, zeigte sich schnell, als ein weiterer Kopf im New Yorker Kunsthandel auftauchte, der noch in die Präsentation integriert werden konnte. Erste Untersuchungen haben nun ergeben, dass es sich wohl um den fehlenden Kopf des Joseph aus der Geburtsszene des Chartreser Lettners handelt. [3] Dies macht die Publikation insgesamt zu einer würdigen Gabe anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des in New York beheimateten "International Center of Medieval Art", dem Ausstellung und Publikation gewidmet sind.
Anmerkungen:
[1] Das Porträt vor der Erfindung des Porträts, hg. von Martin Büchsel, Mainz am Rhein 2003; Kopf / Bild. Die Büste in Mittelalter und Früher Neuzeit (= Italienische Forschungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz, I Mandorli), hg. von Jeanette Kohl / Rebecca Müller, München, Berlin 2007. - Einige weiterführende Titel zu mittelalterlichen Bildnissen finden sich in dem Beitrag von Stephen Perkinson (123).
[2] Michael Camille: Image on the Edge. The Margins of Medieval Art, Essays in Art and Culture, Cambridge 1992.
[3] Charles T. Little in: Recent Acquisitions. A Selection: 2006-2007, in: The Metropolitan Museum of Art Bulletin, Fall 2007, 12.
Gerhard Lutz