Richard Stoneman: Alexander the Great. A life in Legend, New Haven / London: Yale University Press 2008, xvii + 314 S., ISBN 978-0-300-11203-0, GBP 20,00
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Die Thematik der ebenso vielfältigen wie vielschichtigen bildlichen und literarischen Rezeption Alexanders III. von Makedonien erfreut sich eines ungebrochenen Interesses. [1] Zu den renommiertesten Experten auf dem Feld der Legendenbildung in Ost und West um die Person des antiken Herrschers und Eroberers von der Spätantike bis in die Moderne zählt Richard Stoneman, Honorary Fellow der University of Exeter. Der vorliegende Band ist ein Ertrag aus seinen Forschungen, die ihn seit über zwanzig Jahren beschäftigen. Ihren Ausgangspunkt nehmen sie in der Analyse der Alexanderfigur in den verschiedenen Rezensionen des griechischen Alexanderromans und seiner Rezeption in Mittelalter und Neuzeit.
Mit der vorliegenden Studie beabsichtigt Stoneman "a map for others who find the subject of interest" (xi). Hierzu erläutert er die Legendenvielfalt, die Alexander "as everything from a brutal conqueror whose only skill was killing to a visionary who aspired to unite the whole world in brotherhood to a proud tyrant" gestaltet (228), vor ihrem jeweiligen historischen Hintergrund. Auf diesem Weg versucht er zu klären, weshalb Alexanders Mythos nicht an Aktualität eingebüßt hat (4).
Strukturiert ist der Band nach einem chronologisch-systematischen Prinzip: Stoneman untersucht die Legenden in zwölf thematischen Kapiteln von Alexanders Geburt bis zu seinem Tod und Nachleben jeweils epochenübergreifend in ihren unterschiedlichen kulturellen Kontexten.
Zu Beginn steht die Behandlung der ägyptisch beeinflussten Geburtsmythen Alexanders als Sohn des als Gott Ammon kostümierten Pharaos Nektanebos und ihrer Anklänge an die antiken Ausdeutungen von Alexanders historischem Besuch des Ammoneion in Siwa (6-26). Anschließend wendet sich Stoneman Alexanders Eroberung Persiens in der ambivalenten östlichen Rezeption zu (27-48). Das positive Image Alexanders als eines königlichen Helden, wie es bei den einflussreichen Autoren des persischen Mittelalters Firdausi und Nizami gestaltet ist, steht im Kontrast zur Darstellung Alexanders als eines blindwütigen Usurpators und Zerstörers. Dieses Negativbild hat seinen Ursprung in dem legitimatorischen Anspruch der Sassaniden in ihrer Selbstdarstellung, das Achaimenidenreich wiederherzustellen.
Alexanders Porträt in der jüdischen Tradition behandelt Stoneman am Beispiel seines legendären Besuchs von Jerusalem (49-52), seine Darstellung als Städtegründer exemplarisch anhand der Legenden zur Gründung des ägyptischen Alexandria und zum Bau des Leuchtturms von Pharos in arabischen Überlieferungen (53-66).
Einem seiner Spezialgebiete widmet Stoneman zwei Kapitel: den Legenden über Indien als mythisiertes Wunderland voll Gold und fremdartiger Wesen am Ende der Welt und der dort verorteten, vor allem in philosophischen Kontexten rezipierten Begegnung Alexanders mit den indischen Brahmanen, die ihm die Nichtigkeit des Strebens nach irdischen Gütern vor Augen führen (67-106).
Es folgt die Besprechung der Episoden von Alexanders Tauchfahrt zum Meeresgrund und seiner Himmelsfahrt im Greifenwagen. Im Mittelalter zählten sie zu Alexanders beliebtesten und dementsprechend auch bildlich präsentesten Abenteuern, die als Exempla sowohl für Hoffart als auch für Demut dienten. Von Stoneman werden sie indes primär im Kontext von Alexanders Darstellung als Erfinder und Forscher beleuchtet (107-127).
Ein eigenes Kapitel ist der Analyse von Alexanders Beziehung zur Damenwelt in ihren unterschiedlichen Darstellungsweisen in Ost und West gewidmet. In der antiken Tradition ein Randthema, wird in der christlichen und höfischen westlichen Rezeption Alexanders Verhalten gegenüber Frauen - standhaftes Widerstehen der Versuchung oder meist monogame romantische Liebe - ebenso zum genretypischen Standardelement wie in der östlichen Überlieferung, in der ihm keine Askese auferlegt ist (128-149).
Die letzten fünf Kapitel beleuchten thematisch Alexanders Verhältnis zu den Grenzen der irdischen Welt und des menschlichen Daseins. Sie behandeln die Legenden um seine Suche nach dem Wasser des Lebens, das ihm Unsterblichkeit bringen soll (150-169); das Erreichen der Grenzen von Welt und Zeit, das zu seiner Zeichnung als Drachentöter oder Antichrist führt (170-185); Alexanders Tod in Babylon mit den komplexen Traditionen über entsprechende Prophezeiungen und Omen und seine Bestattung in Alexandria, zu deren Mythisierung die bis heute andauernde Suche nach dem Grab nicht unmaßgeblich beigetragen hat (186-198). Zuletzt wird die Darstellung Alexanders als christlicher Weltherrscher mit einem Fokus auf der französischen und deutschen Rezeption vom 12. bis zum 15. Jahrhundert (199-216) sowie sein Porträt als Kosmokrator im byzantinischen Kontext bis hin zu seiner Gestalt in der modernen griechischen Tradition thematisiert (217-226).
Versehen mit reichem Bildmaterial, teils in Farbtafeln, sind dem Band zudem eine Zeittafel von dem Geburtsjahr Alexanders 336 v. Chr. bis zum Todesjahr seiner Halbschwester Thessalonike 296 v. Chr. beigefügt, hilfreiche Appendices, erstens zu den wichtigsten Ausgaben und Rezensionen der Alexanderromane und zweitens zu zentralen literarischen Elementen in den unterschiedlichen Überlieferungen, ein Anmerkungsteil von 29 Seiten und ein umfangreiches Verzeichnis der Quelleneditionen und Literatur auf dem neuesten Stand von 17 Seiten.
Stonemans umfassende, lebendig geschriebene Untersuchung zeichnet sich durch eine fundierte und souveräne Kenntnis nicht nur des beeindruckend reichen Materials zu den verschiedenen Alexanderrezeptionen, sondern auch der antiken Überlieferung zum historischen Alexander und ihrer komplexen Problematik aus. Auf einer ungemein breiten Quellenbasis gelingt es Stoneman, mit weit gespannten Verweisen ein klar strukturiertes, luzides Bild der Behandlung der Alexanderfigur als einer Projektionsfläche vor dem jeweiligen politischen und kulturellen Hintergrund zu entwerfen.
Über das Fazit, Alexanders Legende sei noch immer lebendig, da er in seinen Abenteuern die Träume eines jeden Menschen verkörpere und gerade, weil er am Ende scheiterte, diese Projektionsfläche böte (228-229), kann man sich zwar streiten, da die Negativtraditionen damit nicht hinreichend begründet scheinen. Indes ist der Band allen an der Alexanderfigur Interessierten mit Nachdruck zu empfehlen und hat vor allem auch deswegen das Potential, zu einem Standardwerk zu werden, weil die westliche und östliche Rezeption der verschiedenartigen Alexanderfiguren paritätisch behandelt werden.
Anmerkung:
[1] Über die bei Stoneman selbst aufgeführte Literatur hinaus sind etwa zu nennen: zur spätantiken Alexanderrezeption: Elias Koulakiotis: Genese und Metamorphosen des Alexandermythos im Spiegel der griechischen nicht-historiographischen Überlieferung bis zum 3. Jahrhundert n. Chr., Konstanz 2006. Zur mittelalterlichen Rezeption: Ulrich Mölk (Hg.): Herrschaft, Ideologie und Geschichtskonzeption in Alexanderdichtungen des Mittelalters, Göttingen 2002. Zur primär bildlichen Rezeption: Thomas Noll: Alexander der Große in der nachantiken bildenden Kunst, Mainz 2005; Michael Pfrommer: Alexander der Große. Auf den Spuren eines Mythos, Mainz 2002; Nicos Hadjinicolaou (ed.): Alexander the Great in European art, Thessaloniki 1998.
Sabine Müller