Rolf Reichardt / Hubertus Kohle: Visualizing the Revolution: Politics and Pictorial Arts in Late Eighteenth-Century France, London: Reaktion Books 2008, 296 S., 187 ill., ISBN 978-1-86189-312-3, GBP 25,00
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Nicht ohne Grund nahm die politische Propagandakunst der Französischen Revolution in der Forschung der letzten Jahre eine Schlüsselstellung ein. Spätestens seit Klaus Herdings und Rolf Reichardts Arbeiten sowie dem an der Justus-Liebig-Universität Gießen angesiedelten und von Rolf Reichardt geleiteten ambitionierten Unternehmen "Lexikon der Revolutions-Ikonographie" ist evident, dass ohne ein tieferes Verständnis der Revolutionsmedien eine adäquate Beurteilung der Mechanismen politischer Identitätsstiftung kaum möglich ist. Nach einer Einleitung, die sich mit dem Themenkomplex im Ganzen beschäftigt, ist der vorliegende Band in verschiedene Abschnitte gegliedert, die den unterschiedlichen Komplexen der Materie entsprechen (revolutionärer Wechsel, Bilder "neuer" Ordnung, Lebensbereiche der künstlerischen Praxis, die Idee des "neuen Menschen", die Ambivalenz der Französischen Revolution zwischen Terrorpraxis und Freiheitsideal und die Visualisierung der Revolution als Beschleunigung gesellschaftlicher Zustände).
In der äußerst sorgfältigen Analyse der Autoren, die nicht nur dem Inhalt der zumeist grafischen Blätter Rechnung trägt, sondern auch ihrer Kontextualisierung durch die politische Situation nachspürt, werden die wichtigsten Problemkreise thematisiert: die Konflikte zwischen den alten (christlichen und mythologischen) Bildtypen und den neuen (zeitgenössischen) Inhalten, die zunehmende Vermischung der Bildgattungen sowie der dezidiert politisch-didaktische Charakter der "Kunst der Französischen Revolution", die treffend als "amorphous, hybrid, multifarious artistic production" (10) bezeichnet wird. Die Produkte dieser kurzlebigen Gattung, wie es die Revolutionsgrafik war, waren häufig gefährdet durch die immer schneller ablaufenden politischen Ereignisse überrollt zu werden. Eine Analyse der revolutionären Kunstproduktion, wie sie hier geleistet wurde, hat demnach die frühneuzeitliche "Vorgeschichte" ebenso einzubeziehen wie die zeitgenössische Publizistik, die in manchen Blättern auch direkt thematisiert wird (40, Abb. 22). Zuweilen lesen sich manche Blattlegenden überhaupt wie eigenständige schriftstellerische Zeugnisse mit reportageartiger Ausrichtung (57f.). In ihren programmatischen Schlussfolgerungen (31-34) kommen die Autoren zu übergreifenden Fragestellungen, die in der Analyse der einzelnen Werke Anwendung finden: Die "Kunst der Französischen Revolution", die durch einen intensiven Austausch aller Gattungen und Lebensbereiche charakterisiert werden kann, war demnach unmittelbar auf Funktion und Effekt berechnet. Das ikonografische Repertoire ist als "hybrid" zu kennzeichnen, da die ikonografischen Traditionen zumeist in einem "great melting pot" (32), der zudem Interaktionen zwischen unterschiedlichen Gattungen, Stilen, Motiven und Bildtypen ermöglichte, anzutreffen sind. Ob immer eine raffinierte Strategie in der Kompilation antiker und christlicher Vorlagen im Sinne einer "unité révolutionnaire" vorliegt, wie 1983 von Klaus Herding für Davids "Marat" postuliert (169), darf bezweifelt werden. Die Zielfunktionen der politischen Propaganda, die vor allem durch hohe Auflagen wirkte, bewegen sich auf unterschiedlichen "Sprachhöhen" von der derben Karikatur bis zur weihevollen Verewigung der Heroen im Pariser Panthéon. In bekannten Zeugnissen wie Villeneuves Darstellung des guillotinierten Ludwig XVI. (82, Abb. 68) scheinen ikonografische Tradition (Perseus mit dem Medusenhaupt) und der Aspekt der Reportage gleichsam zusammenzufallen.
Mithilfe der erwähnten Grundlagen wird von den Autoren das ganze Kaleidoskop der Produktion exemplarisch untersucht. Bereits durch Rolf Reichardt bekannt gemachte Werke wechseln mit interessanten Neufunden, die das bisher bekannte Bildrepertoire ergänzen. Zuweilen vermisst man einen Hinweis auf das frühe 16. Jahrhundert als die eigentliche Wurzel politischer Massenkommunikation - dies um so mehr, als die Französische Revolution auf das besonders im 16. Jahrhundert ausgebildete Mittel kontrastierender Bildpaare (47-49) zurückgegriffen zu haben scheint und zudem bekannte katholische und im Konfessionsstreit häufig verwendete ikonografische Typen wie "Christus in der Kelter" (49, Abb. 33) im späten 18. Jahrhundert eine Rolle spielten. Wie zu Beginn der Frühen Neuzeit sind auch im späten 18. Jahrhundert die meisten grafischen Produkte als Werke von wendigen Geschäftsleuten anzusehen, die aus eigener Initiative und in selbständiger Einschätzung der jeweiligen Marktsituation ihre Produkte herstellten, welche die unterschiedlichen Stimmungen einfingen und so den politischen Gruppierungen gleichsam "entgegenarbeiteten". Die besondere Raffinesse dieser Bildzeugnisse ist auch daran zu erkennen, dass diese nicht nur auf tradierten ikonografischen Modellen basierten, sondern selbst wieder modellbildend wurden, indem man bei neuen Lösungen einfach bestimmte Personen durch andere ersetzte (44f., Abb. 24-27). Wenn Ludwig XVI. als "Schweinekönig" (74, Abb. 57) verunglimpft wurde, dann kann von Reichardt und Kohle deutlich gemacht werden, wie sehr die Zeugnisse politischer Propaganda mit den Mitteln umgangssprachlicher Kommunikation (Abb. 154) und inhaltlicher Codierung arbeiteten, da sich hier das grobe Schimpfwort mit der dem König zugewiesenen und in der Legende ausführlich dargestellten Funktion als Parasit und Verschwender paart. Diese Brandmarkung des politischen Gegners erfüllte in der Auseinandersetzung insofern eine wichtige Funktion, als sie leicht den Aufruf zur gewalttätigen Aktion zur Folge haben konnte (76f.): So erreichte die Aggression gegenüber Ludwig XVI. bereits im Sommer 1792 einen Höhepunkt, ehe noch der Prozess gegen den Bourbonenkönig überhaupt begonnen hatte. Die unerhörte Schnelligkeit der Auseinandersetzung illustrieren die Autoren anschaulich mit der karikaturhaften Darstellung des rührseligen - und von royalistischer Seite häufig thematisierten - Abschieds Ludwigs XVI. von seiner Familie durch den Engländer James Gillray (87, Abb. 70, 71).
Das revolutionäre Programm hätte nicht seinen endgültigen Zweck erfüllt, wenn nicht zur tagespolitischen Ebene die "überzeitlichen" Leitbegriffe wie Auferstehung, Regeneration und Erneuerung zu zählen wären. Die "Umcodierung" traditioneller royalistischer Symbolik (Herkules) durch das emphatisch gefeierte neue Zeitalter war eines der wesentlichsten Kennzeichen dieser Ära. Bestimmend für die künstlerische Umsetzung ist hier vor allem die Betonung "universeller" Werte wie "Freiheit" und "Gleichheit", die allerdings einer bestimmten Schwankungsbreite in der Interpretation unterlagen (117). Zurecht weisen hier Reichardt und Kohle auf die "revolutionary mania for novelty" (128) hin, welche überhaupt das Grundgesetz symbolischen Handelns dieser Epoche zu beschreiben scheint. Der Verweis auf Louis-Léopold Boillys "Flaggenträger" (1792, Paris, Musée Carnavalet, Abb. 118) und die kennzeichnende Charakterisierung dieses Gemäldes als "combination of extreme idealism and extreme realism" (167) zeigen die enorme Spannweite der "Revolutionskunst" auf. Von den "exempla virtutis" bis zur Tagespublizistik breiten Reichardt und Kohle ein präzise analysiertes Spektrum aus, das zum Teil zur Fundgrube von Napoleon Bonaparte bis Hitler werden sollte.
Werner Telesko