Reinhard Wolters: Die Schlacht im Teutoburger Wald. Arminius, Varus und das römische Germanien, München: C.H.Beck 2008, 225 S., 19 Abb., 2 Stammbäume, 9 Karten, ISBN 978-3-406-57674-4, EUR 19,90
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Im Jahre 9 n.Chr. sind im "Teutoburger Wald" drei römische Legionen vernichtend geschlagen worden; ihr Befehlshaber, der Legat P. Quin(c)tilius Varus, fand den Tod. Das Ereignis ist nur aus römischen Quellen bekannt. Weil aber der Historiker Tacitus den Sieger, den aus einem königlichen Geschlecht der Cherusker stammenden römischen Ritter Arminius in einem Nachruf "unbezweifelbar den Befreier Germaniens" nennt [1], hat das Geschehen seit dem frühen 16. Jahrhundert für die sich als Erben der Germanen verstehenden Deutschen eine wichtige Rolle im historischen Selbstverständnis gespielt. Schon im Umkreis Luthers wurde der Verräter seiner römischen Förderer zu "Hermann" eingedeutscht und agierte fortan meist als Held im antirömischen Kampf, richtete der sich nun gegen eine überlegene humanistische Kultur, die päpstliche Kirche oder das "romanische" Frankreich. Nach 1945 wurde es ruhiger um den vormaligen Geburtshelfer an der Wiege der deutschen Nation, aber die Klischees lebten weiter, wenn man nun auch öfters geneigt war, Hermanns Leistung eher als Fluch zu werten. Die Parteinahme hat gar nicht mehr fraglich werden lassen, was Tacitus so dezidiert als "unbezweifelbar" bezeichnet hatte. Man übersah, dass die ältere Überlieferung, ja dass Tacitus selbst in seiner früheren Schrift "Germania" von einer epochemachenden Tat im "Teutoburger Wald" nichts wussten, und fragte deswegen gar nicht mehr nach den Voraussetzungen und Zielsetzungen dieses Urteils. Vielmehr fühlte man sich dazu herausgefordert, immer wieder danach zu suchen, ob man über die dürre Überlieferung hinaus nicht doch noch mehr über den schicksalhaften Heros der eigenen Frühzeit in Erfahrungen bringen könnte. Die Versuche, im Siegfried der Nibelungensage einen Nachhall der Gründerfigur zu sehen, sind niemals auf einen breiten Konsens gestoßen und heute zu Recht vergessen. Das Bemühen aber, den Ort der Ereignisse zu identifizieren, hat zu vielen hundert Mutmaßungen Anlass gegeben, die nur theorieferne Naivität als "Theorien" zu bezeichnen erlaubt.
Die seit 1987 auf die Ausgrabungen von Kalkriese bei Osnabrück gestützten Überlegungen unterscheiden sich grundsätzlich von diesen Spekulationen, weil hier in beachtlichem Umfang Funde und Befunde ausgewertet wurden. Allerdings haben auch diese archäologischen Forschungen es bislang nicht vermocht, Wesentliches zu allgemeineren geschichtswissenschaftlichen Diskussionen beizutragen. Der Ertrag von "Kalkriese" liegt in der erfolgreichen Grundlegung einer interdisziplinär vernetzten Schlachtfeldarchäologie. Trotz aller Bemühungen und Polemiken muss es als möglich, aber eben auch als ungesichert gelten, ob und gegebenenfalls wie die dort ausgefochtenen Kämpfe mit dem Gefecht im Teutoburger Wald und der Katastrophe des Varus zu verbinden sind. Die übrige rege Grabungstätigkeit der letzten Jahrzehnte hingegen hat vor allem die Einschätzung der Vorgeschichte und damit die Voraussetzungen der Ereignisse des Jahres 9 enorm zu bereichern vermocht. Nicht zuletzt beispielsweise die Erforschung einer römischen Siedlung in Waldgirmes mit ehemals repräsentativen und monumentalen Bauten oder der Nachweis von kaiserlichen Bleiminen im Sauerland lassen erkennen, wie weit die römische Durchdringung der rechtsrheinischen Gebiete fortgeschritten war.
Reinhard Wolters, der nach zahlreichen Publikationen zum Thema als einer der besten Kenner der frühkaiserzeitlichen Germanienpolitik ausgewiesen ist, hat eine umsichtige und nützliche Zusammenschau der archäologischen und der althistorischen Forschung vorgelegt und sein Ziel erreicht, eine quellennahe, ebenso kritische wie transparente Orientierung über den aktuellen Diskussionsstand zu bieten. Eindringlich legt er die kulturellen und sozialen Bedingungen sowie die machtpolitischen Zusammenhänge der römischen Expansion über den Rhein dar, entwickelt in detailreichen Argumentationen seine Ansicht von einer in mehrere Phasen zu gliedernden Eroberungspolitik, die erst allmählich die Elbe als Begrenzungslinie vorgesehen habe, rückt mit der jüngeren Forschung das Bild vom schwächlichen Dummkopf Varus zurecht, diskutiert ausführlich die kontroversen Positionen über die Rolle und die Absichten des Arminius, entwickelt in kleinteiligen Quellenstudien eine umfassende Anschauung vom Verlauf und von der Bedeutung der Schlacht im "saltus Teutoburgiensis", stellt die weit ausgreifenden Feldzüge des Germanicus in den folgenden Jahren dar und erschließt eine Wende der römischen Politik zu einer größeren Defensive erst unter Tiberius, die dieser mit der Abberufung des Germanicus durchgesetzt habe. Selbst wenn man sich nicht allen Ansichten anschließen will und etwa ältere Argumente, dass die Elbe als Fluss, auf dessen beiden Seiten mächtige suebische Gruppen gelebt haben, gar nicht als Grenzlinie getaugt habe, nicht widerlegt sieht, oder sich gewünscht hätte, dass die auch von Wolters verfochtene Orthodoxie, wonach insbesondere die "tabula Siarensis" eine tiefgreifende Änderung der Germanienpolitik bezeuge, ausführlich begründete Zweifel an dieser Deutung [2] wenigstens zur Kenntnis nähme, wird man die ersten 150 Seiten als eine gelungene Darstellung der Problematik und der mit ihr verknüpften Kontroversen anerkennen müssen. 25 Seiten über die "Suche nach dem Ort der Varuskatastrophe" sind hingegen überproportional viel; methodisch wichtig und richtig bleibt aber der Hinweis auf die Schwierigkeiten mit exakten Datierungen, weil die Münzen es kaum erlaubten, Spuren militärischer Auseinandersetzungen eindeutig den Jahren vor der Schlacht oder den Germanicus-Feldzügen zuzuweisen (150-173). Man darf vermuten, dass dieses Ungleichgewicht in der Darstellung wahrscheinlich auf "den großen Einsatz" zurückgeht, den der Verlagslektor gezeigt hat. Ähnliches gilt dann auch für den flüchtigen [3] Überblick der Entwicklung von "Arminius dem Cherusker zum deutschen Hermann" (174-201), der sichtlich aus Lesefrüchten kompiliert und ebenso unangemessen präsentiert ist, wie Karl von Pilotys farbenprächtiges Monumentalgemälde als Schwarzweißwiedergabe im Format eines Zigarrensammelbildchens (192). Unverständlich und ärgerlich insbesondere für die wissenschaftliche Arbeit ist die neuerdings grassierende Unart, die Anmerkungen statt in Fußnoten in Endnoten zu präsentieren; erfreut hingegen wird man die Orts-, Personen- und Sachregister nutzen.
Anmerkungen:
[1] Tac. ann. II 88.
[2] Dazu T. Schmitt: Die drei Bögen für Germanicus und die römische Politik in frühtiberischer Zeit, Rivista storica dell'antichità 27 (1997), 73-137, bes. 78-88.
[3] Beispielsweise wird die "Inschrift" auf dem Titelholzschnitt der Erstausgabe von Velleius Paterculus' Geschichtswerk nicht als abgewandeltes Floruszitat (4, 12, 37) nachgewiesen zugleich aber unverändert so übersetzt, wie es bei Florus steht (179f.). Wichtige Literatur ist nicht berücksichtigt; so fehlen zum Beispiel Ch. Tacke: Denkmal im sozialen Raum. Nationale Symbole in Deutschland und Frankreich im 19. Jahrhundert, Göttingen 1995; C. Steinhardt-Hirsch: Thusnelda im Triumphzug des Germanicus, in: R. Baumstark / F. Büttner (Hgg.): Großer Auftritt. Piloty und die Historienmalerei, München 2003, 318-349.
Tassilo Schmitt