Hans Reichelt: Die deutschen Kriegsheimkehrer. Was hat die DDR für sie getan?, Berlin: edition ost 2008, 224 S., ISBN 978-3-360-01089-6, EUR 14,90
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Hans Reichelt, geboren 1925, befand sich von Mai 1945 bis Dezember 1949 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Dort engagierte sich der Wehrmachtleutnant und kurzzeitige Anwärter auf eine NSDAP-Parteimitgliedschaft in der Antifa. Vor seiner Rückkehr nach Deutschland Ende 1949 absolvierte Reichelt einen Lehrgang auf der Zentralen Antifa-Schule in Talica, dann trat er in der DDR als überzeugter Kommunist (31f.) der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands (DBD) bei. In der DBD bekleidete er schnell hohe Ämter. Ab 1950 war er zudem Abgeordneter der Volkskammer und - mit kurzer Unterbrechung - von 1953 bis 1963 Minister für Land- und Forstwirtschaft der DDR. Den Mauerfall 1989 schließlich erlebte Reichelt, mittlerweile stellvertretender Vorsitzender der DBD, als Minister für Umweltschutz und Wasserwirtschaft; er spielte aber schon 1990 keine bedeutsame politische Rolle mehr.
Angesichts dieses Lebenslaufs könnte eine Geschichte deutscher Kriegsgefangener in der UdSSR aus der Feder von Hans Reichelt aufschlussreich und spannend zu lesen sein: Die dramatischen individuellen Lernprozesse, die der Wandlung soldatischer Antikommunisten zu Kommunisten zugrunde lagen, sind bis heute nicht eingehend aufgearbeitet und werden oft von traditionellen Plattitüden des vergangenen Ost-West-Konflikts überdeckt. Reichelts Leben dokumentiert Aufstiegschancen und -grenzen ehemaliger Antifa-Kader in DDR-Strukturen: Hier ließe sich den verschlungenen Karrierewegen im Spannungsfeld innerer Machtkämpfe, der ostdeutschen Parteienlandschaft und dem ostdeutsch-sowjetischen Verhältnis nachspüren. Zudem war Reichelt als Mitglied der ostdeutschen Regierungsdelegation, die im August 1953 im Vorfeld von Massenentlassungen von deutschen Gefangenen aus der UdSSR in Moskau weilte, direkter Augenzeuge sowjetischer und ostdeutscher Kriegsgefangenenpolitik.
Die vorliegende Veröffentlichung leistet allerdings zur Aufarbeitung dieser Themenfelder keinen Beitrag. Das Buch liest sich vielmehr als bloße Fortsetzung althergebrachter SED-Propaganda. So wird die Instrumentalisierung der Entlassungen 1948 für die SED-Wahlkampagne, wie bereits 1946, zum Beleg für angebliche Bemühungen Ostberlins uminterpretiert. Die sowjetische Verantwortung für die Verzögerung der Repatriierung bis Ende 1949 - und die entsprechende Passivität der SED - wird unter Nebelkerzen verdeckt (58f.). Entlassungen von 1953, die die UdSSR aus innenpolitischen Gründen heraus betrieb, aber offiziell bewusst zur Imagepflege der DDR gutschrieb, werden von Reichelt auf Basis eben dieser bewusst irreführenden offiziellen Verlautbarungen auf dem Positivkonto der SED verbucht, ebenso die letzten Entlassungen von 1955/1956 - und das alles ohne jede Beachtung der relevanten Publikationen und Quelleneditionen aus deutschen oder russischen Archiven, die in den letzten 15 Jahren erarbeitet wurden. [1] Auffallend ist auch, dass sich die Darstellung anderen wichtigen Fragen verschließt: Dass sich unter den Entlassenen der 1950er Jahre ein hoher Anteil von Zivilgefangenen befand, ist Reichelt keine Diskussion wert. Dabei waren diese Zivilisten immerhin nach dem Krieg von sowjetischen Tribunalen verurteilt und als Häftlinge in die UdSSR deportiert worden. Die ganze DDR-Politik gegenüber den offiziell als "Kriegsverbrechern" apostrophierten Gefangenen lässt sich sinnvoll nur unter Einbeziehung beider Personengruppen schreiben. Die weiteren historischen Lücken, Fehler und Missinterpretationen müssen hier gar nicht weiter aufgelistet werden. Unappetitlich wird es, wenn Reichelt polemische Analogien zwischen frühen westdeutschen "Kameradenschinderprozessen" und heutigen Verfahren gegen "IM" (120f.) oder zwischen Otto Grotewohl und Oskar Lafontaine (110f.) zieht. Nicht nur an solchen Stellen verliert das Buch endgültig jeglichen Boden unter den Füßen und degeneriert zur reinen Kampfschrift.
Die Lektüre bringt indes auch Positives: Der Autor bestätigt quasi wider Willen die bisherige Forschung bezüglich der Einflusslosigkeit der SED-Führung auf fundamentale Entscheidungen sowjetischer Kriegsgefangenenpolitik. Zudem legt Reichelt indirekt offen, dass es der SED in der "Kriegsgefangenenfrage" weniger um frühe und allgemeine Heimführungen ging, als um eine adäquate - politische? - "Betreuung in den sowjetischen Lagern, [...] die Ausbildung künftiger Kader", die anschließende Aufnahme der Heimkehrer in Deutschland "und deren Einbindung in die zu entwickelnde neue Gesellschaft" (49). Auch das ist ein Befund, der sich durchaus mit wissenschaftlichen Untersuchungen in Deckung bringen lässt. Schließlich erinnert das Buch an die zynische Kaltschnäuzigkeit, mit der ostdeutsche Größen sich der Problematik mitunter näherten. Grotewohl spielte noch 1955 wider besseres Wissen die Bedeutung von Gefangenen in sowjetischem Gewahrsam herunter. Reichelt hat ebenfalls die "tatsächliche gesellschaftliche Bedeutung des Vorgangs" nicht begriffen. Diese war keineswegs "unerheblich" (141). Natürlich machten sich Regierungen in Ost und West die "Kriegsgefangenenfrage" im Kalten Krieg zunutze. Dies gelang aber nur, weil das Thema in beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften virulent war.
Aus der Sicht der Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen ist die Schrift Reichelts nur ein misslungener Versuch von ideologisch angetriebenem Geschichtsrevisionismus. Dies entspricht den Bemühungen ehemaliger MfS-Kader, die aus ihrer Perspektive Geschichte und Staat der DDR, ihrer Parteien und Organe verklären. Im Kontext der Diskussionen über die heutige öffentliche Auseinandersetzung mit der DDR und dem öffentlichen Gedenken an die DDR hat Martin Sabrow mit gutem Recht davor gewarnt, den "deutschen Vergangenheitsdiskurs in ein öffentliches Diktaturgedächtnis und ein privates Lebensgedächtnis" zu spalten. "Die öffentliche Erinnerung", so Sabrow weiter, "hat die Wahl, ob sie die Erfahrungen der Zeitgenossen dauerhaft ausgrenzen will oder kritisch aufzunehmen bereit ist, um sie mit den Mitteln der fachwissenschaftlichen Aufklärung, der politischen Bildung und der historischen Musealisierung zu befragen und in ihren geschichtlichen Kontext einzubetten. Entscheidet sie sich für die Ausgrenzung, wird die historische Identitätssuche der ostdeutschen Mehrheitsbevölkerung sich auch weiterhin ihre eigenen Erinnerungsorte in Gestalt von Ostalgie-Shows und DDR-Alltagsmuseen schaffen." [2] Die öffentliche Erinnerung ist, nimmt man die Publikation von Hans Reichelt als Beispiel, gut beraten, diesen komplexen Prozess der "historischen Identitätssuche" Ostdeutschlands nicht von privaten Schwelgereien, Rechtfertigungsversuchen und Beschwörungen alter Entscheidungsträger ad absurdum führen zu lassen, und gerade hier ist die Begleitung durch eine kritische Geschichtswissenschaft besonders gefordert.
Anmerkungen:
[1] Vgl. bereits Beate Ihme-Tuchel: Die Entlassung der deutschen Kriegsgefangenen im Herbst 1955 im Spiegel der Diskussion zwischen der SED und der KPdSU, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 53 (1994), 449-465. Zum Forschungsstand u.a. Frank Biess: Homecomings: returning POWs and the legacies of defeat in postwar Germany, Princeton 2006.
[2] Martin Sabrow: Die Zukunft der Aufarbeitung und die Argumente der Vergangenheit. Zur Kritik an den Empfehlungen der Expertenkommission für die öffentliche Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur, in: Deutschland Archiv 39 (2006), 905.
Andreas Hilger