Uli Steiger: Die Schenken und Herren von Erbach. Eine Familie zwischen Reichsministerialität und Reichsstandschaft (1165/70 bis 1422) (= Heidelberger Veröffentlichungen zur Landesgeschichte und Landeskunde; Bd. 12), Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2007, 366 S., ISBN 978-3-8253-5332-2, EUR 44,00
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Die Geschichte einer hoch- und spätmittelalterlichen Dynastie aus dem Grafen- und Herrenmilieu umfassend zu erarbeiten, ist im Rahmen einer Dissertation erstens kein leichtes und zweitens kein Unterfangen, mit dem man weithin Aufsehen erregt. Denn "spannende" Makro-Thesen sind anhand von Einzelfällen kaum zu belegen; zur Sichtung des Materials aber sind für diesen "einen Fall" in der Regel weit gespannte Archiv-Recherchen unvermeidlich. Uli Steiger hat sich in der von Stefan Weinfurter betreuten Heidelberger Dissertation dieser Herausforderung gleichwohl gestellt und bemerkenswerte Ergebnisse dabei erzielt. Die Voraussetzungen hierfür waren im Falle der Schenken von Erbach zugleich günstig wie auch schwierig: Schwierig, weil das Erbachische Gesamthausarchiv im Zweiten Weltkrieg völlig vernichtet worden ist; günstig, weil aus dem 18., 19. und 20. Jahrhundert umfangreiche genealogische und besitzgeschichtliche Urkundenbücher und Studien zur Geschichte der Schenken von Erbach und zur Territorialgeschichte des hinteren Odenwaldes zur Verfügung stehen.
Die weitgehend sekundär in diesen älteren Publikationen erhalten gebliebene Überlieferung über die Schenken von Erbach hat der Verfasser nun unter zum Teil neuen Fragestellungen revidiert, wobei Genealogie und Besitzgeschichte aufgrund der Vorarbeiten meist nur zu korrigieren bzw. zu ergänzen waren. Die Ergebnisse der Arbeit sind in fünf Hauptkapiteln angeordnet; einige aus Sicht des Rezensenten besonders wichtige Aspekte werden im Folgenden näher besprochen bzw. diskutiert:
Der erste, umfangreichste Abschnitt behandelt die politisch-dynastische Geschichte der Erbacher in ihrem historischen Umfeld: Steiger zeigt, dass die Erbacher bereits vor ihrer, hier neu datierten Ersterwähnung von 1165/70 aus der Ministerialität bzw. aus dem Dienst bei den Vögten des Klosters Lorsch zur Ministerialität der Pfalzgrafen aus staufischem Hause übergangen sind. Im 13. Jahrhundert kann er dann wahrscheinlich machen, dass die Erbacher zumindest in einem Zweig der Familie auch über 1223 hinaus, als die Kinder Schenk Gerhards vom Reich an Pfalzgraf Ludwig I. übergeben wurden, weiterhin der Ministerialität der Staufer angehörten. Erst in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts seien die Erbacher insgesamt in die Ministerialität der wittelsbachischen Pfalzgrafen bei Rhein übergegangen. Nach der Einbindung der Erbacher in den pfälzischen Klientelverband im frühen 14. Jahrhundert, als die Pfalzgrafen Konflikte zwischen den verschiedenen Linien der Erbacher ausnutzten und durch erzwungene Lehensauftragungen auch auf deren Stammgüter zugriffen, arbeitet Steiger Schenk Konrad IV. als zentrale Gestalt heraus, der die Konsolidierung der Erbacher Herrschaften einleitete. Die Anerkennung der Erbacher als Mitglieder des Herrenstandes war Ende des 14. Jahrhunderts auch in den pfalzgräflichen Zeugnissen erreicht (158f.). Der chronologische Schlusspunkt mit der Aufnahme der Erbacher in die Reichsmatrikel von 1422 erscheint allerdings etwas willkürlich gewählt, weil es "die Reichsstandschaft", die erst ein Ergebnis der politischen Geschichte des Reiches im 15. Jahrhundert war, zu dieser Zeit noch nicht gegeben hat. Die Anerkennung ihrer Stellung innerhalb der insgesamt in den Matrikeln von Beginn an verzeichneten südwestdeutschen Grafen und Herren aber hatten die Erbacher ja nach den Forschungen Steigers bereits im späten 14. Jahrhundert erreicht.
Ein weiterer wichtiger Abschnitt des Buches behandelt das Schenkenamt der Erbacher und kommt, abweichend zur bisherigen Forschung, zu dem Ergebnis, dass die Erbacher noch unter Heinrich (VII.) das königliche Schenkenamt versahen. Das pfalzgräfliche Schenkenamt, für das interessanterweise einmal ein Stab als Amtssymbol erwähnt wird, übernahmen sie hingegen frühestens um die Mitte des 13. Jahrhunderts, als sie mit allen ihren Zweigen in die pfälzische Ministerialität übergegangen waren (120, 140-142). Die von Steiger konstatierten, scheinbar unerklärlichen Widersprüche der schriftlichen Überlieferung des 14./15. Jahrhunderts hinsichtlich der Existenz eines pfälzischen Schenkenamtes bzw. eines Erbschenkenamtes sowie hinsichtlich der Ausübung dieses Amtes bzw. dieser Ämter durch einzelne Zweige des Geschlechts oder durch den Familienältesten dürften Folge dessen sein, dass dergleichen weitgehend immaterielle Vorrechte, Ehrenämter und Fragen des Zeremoniells bei Hofe selten schriftlich präzise definiert wurden. Die offenbar um 1400 neu eingeführte Delegation des Erbschenkenamtes an den Ältesten der Familie wie auch der Abschluss des "schleichenden" Aufstiegs aller Erbacher in den Herrenstand bis zu diesem Zeitpunkt könnten, so der Vorschlag des Rezensenten, im Kontext der übrigen pfälzischen Erbämter als der Prozess einer sozialen Homogenisierung nach oben gedeutet werden, der im Interesse sowohl der Pfalzgrafen wie ihrer Amtsträger lag. Denn auch die Inhaber der anderen pfälzischen Erbämter gehörten, so hat bereits die Arbeit von Eberhard Klafki gezeigt [1], entweder seit jeher dem Hochadel an (Wild- bzw. Rheingrafen im Marschallamt; Raugrafen als Truchsessen zu Alzey) oder aber sie gewannen, ebenfalls aus der Ministerialität stammend, etwa zum selben Zeitpunkt wie die Schenken an diesen Anschluss (Herren zu Scharfeneck).
Im dritten Kapitel zur Herrschaftsrepräsentation wird unter anderem das Totengedächtnis der Erbacher behandelt. Bemerkenswert ist hier der Wechsel von künstlerisch wertvollen Figurengrabmalen des späten 13. Jahrhunderts hin zu einfachen Wappengrabplatten ab den 1320er Jahren und dann zurück zu Figurengrabplatten seit der Mitte des 14. Jahrhunderts; eine Entwicklung beim Aufwand für die Grabmäler, die wie ein Abbild des Auf und Ab der Erbachischen Geschichte in diesem Zeitraum erscheint.
Im Anschluss an das vierte Kapitel zur territorialen Entwicklung, in dem sich Steiger für den Kernbereich der Herrschaft auf die ältere Arbeit von Kleberger zum hinteren Odenwaldraum stützen kann, widmet sich der fünfte und letzte Abschnitt unter der Überschrift "Beziehungsfelder" dem Verhältnis zum Königtum, dann dem zwar wachsenden, aber in das pfälzische System eingebundenen Erbacher Lehenhof und schließlich unter Anknüpfung an die Arbeit von Karl-Heinz Spieß dem Konnubium des Geschlechts. Steiger hebt zu Recht die Heiraten zwischen verschiedenen Linien des Geschlechts hervor, die offensichtlich auf Herrschaftsintegration und innerdynastische Netzwerkbildung abzielten. Unverkennbar ist die wiederholte Einflussnahme der Pfalzgrafen auf das Konnubium der zu ihrem Klientelsystem zählenden Erbacher.
Am Ende (312) resümiert Steiger, Ausbau und Anerkennung der reichsunmittelbaren Erbachischen Herrschaft sei "nicht das Resultat eines 'planmäßig' verfolgten Aufstiegs" gewesen. Diese Herrschaftsstellung war vielmehr das Ergebnis vieler durchaus typischer, aber wie immer individuell zu gewichtender Faktoren (Sammlung von Besitz- und Herrschaftsrechten, machtpolitische Unterwerfung und Behauptung, vorteilhafte Heiratsverbindungen, dynastische Zufälle und Teilungen). Dies alles führte hier, wie an den Mitgiften und am Konnubium ablesbar, zu einer Positionierung im unteren Drittel der südwestdeutschen Grafen- und Herrenfamilien. Die Studie von Uli Steiger belegt damit in instruktiver Weise die Geschichte eines in Grenzen dynamischen sozialen Aufstiegs. Dabei hat das Buch besondere Stärken in der Untersuchung der noch bruchstückhaften Überlieferung des 12. und früheren 13. Jahrhunderts, wodurch die anfänglichen Impulse dieses Aufstiegs nun in neuem Licht erscheinen.
Anmerkung:
[1] Eberhard Klafki: Die kurpfälzischen Erbhofämter. Mit einem Überblick über die bayerischen Erbhofämter unter den wittelsbachischen Herzögen bis zur Trennung der Pfalz von Bayern 1329 (= VKGLBW B 35), Stuttgart 1966.
Joachim Schneider