Dietmar Grypa: Der Diplomatische Dienst des Königreichs Preußen (1815-1866). Institutioneller Aufbau und soziale Zusammensetzung (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte; Bd. 37), Berlin: Duncker & Humblot 2008, 600 S., ISBN 978-3-428-12363-6, EUR 98,00
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Dietmar Grypas Habilitationsschrift zum Diplomatischen Dienst Preußens schließt gleich mehrere wichtige und bereits lange angemahnte Lücken. So fehlte bislang eine fundierte Studie zur preußischen Funktionselite und Ministerialbürokratie wie auch zur preußischen Diplomatiegeschichte im frühen 19. Jahrhundert (13-17). [1] Auch wenn es ihm ausdrücklich nicht um eine - nach Jahrzehnten der Konzentration auf die Innenpolitik längst überfällige [2] - Neubetrachtung der preußischen Außenpolitik vor der Reichseinigung geht, so liefert er mit seiner institutionengeschichtlichen wie kollektivbiografisch angelegten Betrachtung des Auswärtigen Dienstes Preußens eine wichtige Grundlage für weitere Studien in diesem Bereich.
Für Grypa zentral ist die Frage des Generationswechsels und historischen Wandels sowie der Grad der Professionalisierung und ob letztlich "Geburt" oder "Leistung" über den Werdegang im Corps diplomatique entschieden. Diesen Schwerpunkten entsprechend gliedert sich die Arbeit in zwei große Abschnitte, in denen zunächst der "institutionelle Aufbau des Diplomatischen Dienstes" im Vordergrund steht (35-195). Dabei wird hervorgehoben, dass die äußere Politik neben dem militärischen Oberbefehl stets zur Prärogative des jeweiligen Monarchen gehörte (35). Sowohl Friedrich Wilhelm III. als auch Friedrich Wilhelm IV. nahmen immer wieder Einfluss auf den äußeren Kurs während Wilhelm I. letztlich im Schatten Bismarcks blieb (384). Eine besondere Rolle fiel dem königlichen Kabinett zu (52-65), dem Hof und der Hofgesellschaft (66-83) als Ganzes jedoch kam nur eine marginale Rolle zu (385). Das Ministerium selbst betrachtet Grypa aus dem Blickwinkel der Berliner Zentrale, der jeweiligen Ressorts und der einzelnen Minister - immerhin 20 Personen (84-157) - sowie einzelner Missionen und Gesandtschaften (158-195).
Anders als in der wilhelminischen Epoche verfügte der überwiegende Teil der Außenminister über eigene diplomatische Erfahrungen als Botschafter oder Gesandte am Frankfurter Bundestag (142). Viel mehr erfährt man indes leider nicht über die einzelnen Minister, deren Behandlung, insbesondere bei so interessanten Persönlichkeiten wie Ancillon oder Hardenberg, oftmals zu kursorisch und lexikalisch ausfällt. Die "gravierendste Zäsur" nicht nur für den außenpolitischen Kurs, sondern auch für das Ministerium als solches wird in der Ernennung Bismarcks zum Minister 1862 erkannt (395). Bismarcks Charisma, sein Führungsstil, wie auch seine Grundüberzeugungen führten zu "grundlegenden Veränderungen". Der "Gewaltmensch", der keine verdienten Diplomaten neben sich duldete, erkannte in seinen Mitarbeitern, insbesondere den einzelnen Gesandten und Botschaftern lediglich Erfüllungsgehilfen (155-157). Zuvor hatten insbesondere die Leiter der diplomatischen Missionen in Frankfurt, Österreich, Frankreich, Großbritannien und Russland durchaus beratende Expertenfunktionen inne (176). Aber auch einzelne Beamte, wie der Personalreferent und Kurator der Legationskasse, Johann Philipsborn, oder die Leiter der Zweiten Sektion, wie etwa Johann Friedrich Himly oder Friedrich August Pfeiffer (90-103), verfügten in der vorbismarckischen Ära über ein gehöriges Maß an politischem Einfluss (141). Aus der Ersten Sektion rekrutierte sich auch der spätere Außenminister Jean Ancillon. Bis 1848 waren es vor allem die fachlichen Kenntnisse, die über den diplomatischen Werdegang entschieden. Danach wirkte vor allem das neue parlamentarische Budgetrecht selektiv auf die Stellenbesetzungen innerhalb des Amtes und der Gesandtschaften (393).
Um die "soziale Zusammensetzung" geht es im zweiten Hauptteil der Studie (196-366). Detailliert und gewinnbringend werden dabei die adlige wie regionale Herkunft (236-270), die Konfession (271-288) und Ausbildungsabschnitte (293-297) der preußischen Diplomaten dargestellt. Bis zum Amtsantritt Bismarcks, so stellt Grypa wiederholt fest, habe nicht der Adelstitel, sondern die "mehrjährige Ausbildung" für die Karriere gesorgt (389). Allerdings sind hier durchaus Zweifel gerechtfertigt, schließlich waren ca. 90 Prozent aller Missionsleiter eben doch adelig (248), auch wenn sie eine Diplomatenprüfung absolvieren mussten. Zweifellos prägten auch "bürgerliche" Diplomaten die preußische Außenpolitik, aber letztlich wird nicht klar, ob es sich hier nicht doch eher um die berühmten Ausnahmen der Regel handelte (247-266, 261). Problematisch erscheint auch die Kontinuitätsfrage. Immer wieder hebt Grypa die Zäsur der Amtsübernahme Bismarcks hervor, die nicht nur inhaltlich, sondern auch personell einen Bruch dargestellt habe. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass eine Vielzahl preußischer Diplomaten eine enorme Dienstzeit von nicht selten über 50 Jahren aufzuweisen hatte. Hauptgrund dafür war jedoch nicht ihre Unentbehrlichkeit, sondern vor allem eine mangelnde Pensionsregelung, die eine oftmals lebenslange Beschäftigung zwingend erforderlich machte (362).
Nichtsdestoweniger liefert Dietmar Grypa eine überaus fleißige, wohldurchdachte und wohlstrukturierte Studie. Auch wenn die Themen, wie etwa der rechtliche Rahmen diplomatischer Missionen, oder die diplomatische Laufbahn vom Subalternbeamtentum zum höheren Dienst, die Versetzungs- und Beurlaubungsmechanismen oder Fragen zu Pensionsbezügen und Witwenversorgung, so manchem Leser vordergründig doch eher trocken erscheinen mögen, wird diese Kärrnerarbeit akribisch und gut lesbar umgesetzt und präsentiert. Umso erstaunlicher und lobenswerter ist auch, dass diese Qualifikationsarbeit weitgehend ohne den inzwischen alltäglichen Hang zum Theoretisieren auskommt. Auch überwiegend darstellende Arbeiten gehören zum Kerngeschäft des Historikers dazu und diese sind umso wichtiger, je mehr Neuland sie betreten. Grypas Untersuchung bietet ohne Zweifel viel Neues und er liefert eine ausgezeichnete Grundlage für weitere Forschungen sowohl zum Diplomatischen Dienst als auch zur Außenpolitik des frühen 19. Jahrhunderts. Ohne genaue Kenntnisse über die Strukturen und Akteure der Außenpolitik wäre beispielsweise ein ideengeschichtlicher Zugriff wie er sich etwa in der Person Ancillons anböte nur halb soviel wert. So ist zu hoffen, dass dieser wertvollen Studie, die zweifellos das Zeug zu einem Standardhandbuch hat, weitere Forschungen folgen.
Anmerkungen:
[1] Eckart Conze: Abschied von Staat und Politik?, in: Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerung und Erweiterung einer historischen Disziplin, hg. von Eckart Conze / Ulrich Lappenküper / Guido Müller, Köln 2004, 33; Dieter Langewiesche: Europa zwischen Restauration und Revolution 1815-1849, 5. Auflage, München 2007, 123.
[2] Winfried Baumgart: Europäisches Konzert und nationale Bewegung. Internationale Beziehungen 1830-1878 (=Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen, Bd. 6), Paderborn u.a. 1999, 259.
Andreas Rose