Christian Saehrendt: Kunst als Botschafter einer künstlichen Nation. Studien zur Rolle der bildenden Kunst in der Auswärtigen Kulturpolitik der DDR (= Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte; Bd. 27), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2009, 197 S., ISBN 978-3-515-09227-2, EUR 34,00
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Im Gegensatz zu den "harten" politikwissenschaftlichen Themen werden Untersuchungen über Kunst und Alltagskultur in einigen DDR-Forscherkreisen noch mit Skepsis betrachtet. Mit Christian Saehrendts Publikation über die auswärtige Kulturpolitik der DDR ist eine Arbeit erschienen, die das Zusammenwirken beider Sphären, das Zusammenspiel von Politik, Machtanspruch und Kunst aufzeigt. Gibt es zur Kulturpolitik und Kunstentwicklung innerhalb der DDR bereits einige grundlegende Publikationen, so wurden die kulturellen Beziehungen zum Ausland bislang nur sehr partiell behandelt. Saehrendt betrachtet nun in seiner Studie zur Rolle der (überwiegend zeitgenössischen) bildenden Kunst in der auswärtigen Kulturpolitik der DDR nicht nur die deutsch-deutschen Kulturbeziehungen, sondern die Gesamtheit der auswärtigen Kulturpolitik, wobei er den Schwerpunkt auf die alte Bundesrepublik und die westlichen Alliierten legt und dafür umfangreiches Archivmaterial und Interviews mit beteiligten Akteuren auswertet.
In seinem Kapitel zu den Grundlagen der auswärtigen, zentralistisch durch die Führungsgremien der SED geplanten Kulturpolitik der DDR skizziert der Autor knapp die beteiligten Akteure, Institutionen und Mittlerorganisationen, zu denen die Liga für Völkerfreundschaft und der Verband Bildender Künstler der DDR gehörten, sowie deren Absichten in den westlichen, östlichen und in den blockfreien Staaten. Im "nichtsozialistischen Ausland" war es bis zur Aufnahme der DDR in die UNO das Ziel der auswärtigen Kulturpolitik, auf "Nebengleisen" (62) die internationale Anerkennung zu erlangen. Häufig konnte in dieser Zeit aber nur auf nicht-staatlicher Ebene mit den kommunistischen Gruppierungen und den aus Sicht der DDR "progressiven Künstlern" dieser Länder zusammengearbeitet werden. Saehrendt zeigt auf, dass die Reichweite dieser Bemühungen jedoch - auch aufgrund der chronischen Devisenknappheit der DDR - begrenzt blieb.
Im Kulturaustausch mit den verbündeten Staaten im Osten galt es laut Saehrendt zunächst, die kriegsbedingten, antideutschen Vorbehalte abzubauen - die deutsche Position im östlichen Bündnis musste erst noch legitimiert werden. Dafür präsentierte man Kunst unter den Stichworten Antifaschismus und Antimilitarismus und initiierte Gemeinschaftsprojekte, die den gemeinsamen Widerstandskampf gegen die Nationalsozialisten beschwören sollten. Die häufig liberalere Kunstpolitik in den "sozialistischen Bruderländern", z.B. in Polen, barg für die DDR aber auch Bedrohungen. Zum Ende der DDR, so Saehrendt, war das westliche Interesse an Kunst aus der DDR größer und lukrativer als das aus dem Osten, sodass nur die "zweite Wahl" an Kunstwerken in die Ostblockstaaten exportiert wurde. Das mag die geringe Resonanz im Osten noch verstärkt haben, die Bevölkerung Polens zumindest "blickte quasi über die DDR hinweg nach Westen." (77)
Ausstellungen bildender Kunst "als internationales Aushängeschild der DDR" sowie die bildende Kunst als devisenbringendes Exportgut bilden dann den Schwerpunkt des nächsten Kapitels. Während die bildende Kunst der DDR bis weit in die 1960er Jahre keine internationale Beachtung erfuhr, wuchs das Interesse im Zuge der Entspannungspolitik. Dies war laut Saehrendt auch bedingt durch die gleichzeitige Liberalisierung der Kunstpolitik der SED, die eine größere Formen- und Themenvielfalt zuließ. Ab Mitte der 1970er Jahre wurden dann über den Staatlichen Kunsthandel zunehmend Verkaufsausstellungen durchgeführt - die dadurch gewonnenen Einnahmen konnten jedoch (trotz Zugeständnissen an devisenbringende Sammler) nicht im geplanten Umfang gesteigert werden.
Die Teilnahme von Willi Sitte, Wolfgang Mattheuer, Werner Tübke und Bernhard Heisig an der documenta 6 im Jahr 1977 machte die vier Maler aus der DDR schlagartig bekannt. Wie der Autor im Kapitel zu Kunstausstellungen im innerdeutschen Verhältnis zeigt, wurden sie und dann auch ihre Schüler in den 1980er Jahren vermehrt in Westdeutschland ausgestellt. Damit wurden aber auch Bilder gezeigt, die Kritik an den Lebensverhältnissen der DDR enthielten. Der politische Prestigegewinn dieser Ausstellungen war daher auch umstritten: Während sie auf der einen Seite als "Beweis" für geistige Freiheit gelten konnten, interpretierte die westliche Presse die Kunst junger DDR-Künstler auch als Zeugnis oppositioneller Stimmungen oder Leiderfahrungen.
Die schwach entwickelten kulturellen Beziehungen zu den westlichen Alliierten, die jeweils in einem eigenen Kapitel abgehandelt werden, erfuhren erst in den 1980er Jahren eine Aufwertung. Ein Beleg dafür sind die Abschlüsse offizieller Kulturabkommen mit Frankreich 1980 und Großbritannien 1985 sowie eine Reihe von Ausstellungen, auf die der Autor näher eingeht. Beispiele sind unter anderen die ersten großen Überblicksausstellungen mit Kunst aus der DDR im Jahr 1981 in Paris, 1984/85 in verschiedenen englischen sowie 1989 in amerikanischen Städten. Mit diesen Ländern befanden sich die kulturellen Beziehungen auf dem Höhepunkt, als die DDR kollabierte.
Der Autor fragt auch nach historischen Kontinuitäten und stellt der auswärtigen Kulturpolitik der DDR daher ein Kapitel zur Weimarer Republik und zum "Dritten Reich" voran. In einem anschließenden Kapitel zur auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik, die sich deutlich von der nationalsozialistischen Vergangenheit als auch vom zweiten deutschen Staat abzugrenzen versuchte, geht Saehrendt auf die permanente Konkurrenz der beiden deutschen Staaten in der Darbietung deutscher Kultur im Ausland ein. Die DDR musste dabei trotz einiger gegen die Bundesrepublik gerichteter Kampagnen die Überlegenheit der bundesrepublikanischen Kulturpolitik akzeptieren. Aus der historischen Einordnung zieht der Autor lediglich das Fazit, dass die Bundesrepublik die vermehrt künstlerische Autonomie achtende, pluralistische und mit staatsfernen Mittlerorganisationen arbeitende Kulturpolitik der Weimarer Republik fortgeführt, die DDR sich jedoch stark an die UdSSR angelehnt habe. Diese These wird jedoch von Saehrendt nicht weiter unterfüttert, findet doch die auswärtige Kulturpolitik der UdSSR keine nähere Betrachtung (allein deren zu Genüge bekanntes Dogma des "Sozialistischen Realismus" wird kurz erwähnt). Parallelen zwischen der Kulturpolitik der beiden deutschen Diktaturen, die es bei aller Problematik eines solchen Vergleichs offensichtlich auch gegeben hat (so z.B. die von Saehrendt erwähnte Zentralisierung der Kulturpolitik und weitgehende Zurückdrängung von (halb-) privaten Mittlerorganisationen), werden ebenfalls nicht behandelt. Mit Blick auf diese Ergebnisse stellt sich die Frage, ob anstelle des historischen Vorspanns eine stärkere Konzentration auf die Spezifika der auswärtigen Kulturpolitik der DDR oder lediglich eine stärkere Kontrastierung mit der Bundesrepublik nicht sinnvoller gewesen wäre. Auch der relativ breite Ausblick auf die auswärtige Kulturpolitik der neuen Bundesrepublik und den heutigen Umgang mit dem künstlerischen Erbe der DDR, in das der Autor auch Neo Rauch einbezieht, lenkt vom eigentlichen Thema ab. Dagegen bleiben die Beschreibungen der Aushandlungsprozesse zwischen den Akteuren in der DDR recht kurz. Hier hätten mit Blick auf den eigentlichen Gegenstand der Arbeit noch stärker die mit dem Export bildender Kunst verbundenen Wirkungsabsichten sowie die Widersprüchlichkeit der keineswegs stringenten Kulturpolitik herausgearbeitet werden können. Und auch wenn es der weitgefasste Untersuchungsgegenstand zwangsläufig mit sich bringt, dass viele Aussagen in der vorliegenden Publikation summarisch bleiben müssen, entsteht in der knappen Darstellung der häufig sehr komplexen Prozesse so manches schiefe Bild: So finden sich z.B. die von Saehrendt beschriebenen systemkritischen Momente in den Bildern von Wolfgang Mattheuer tatsächlich, dennoch kann davon abgeleitet nicht einfach pauschal von einer "oppositionellen Leipziger Schule" (95) gesprochen werden.
Dessen ungeachtet liegt mit Saehrendts Buch eine überfällige und begrüßenswerte Überblicksdarstellung vor. Die Leistung liegt insbesondere in der knappen Zusammenschau einzelner Akteure, Themenfelder und Ereignisse innerhalb dieses weiten Politikfeldes. Sie sollte nun als Ausgangspunkt für vertiefende Darstellungen der in dieser Publikation angesprochenen vielfältigen Aspekte dienen.
Kathleen Schroeter