Ulrike Koenen / Martina Müller-Wiener (Hgg.): Grenzgänge im östlichen Mittelmeerraum. Byzanz und die islamische Welt vom 9. bis 13. Jahrhundert, Wiesbaden: Reichert Verlag 2008, 215 S., ISBN 978-3-89500-403-2, EUR 58,00
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Kulturkontakte im Mittelmeerraum sind ein ergiebiges Thema historischer und kunsthistorischer Untersuchungen, nicht erst seit der neuerlichen Entdeckung einer "Konfrontation der Kulturen". [1] Ein Werk wie Strzygowskis und van Berchems "Amida" [2], in dem schon 1910 zwei Vertreter ganz verschiedener Disziplinen und Arbeitsweisen versucht hatten, sich dem Thema christlich-muslimischer Kulturkontakte (mit dem Fokus auf dem nordmesopotamischen Raum) zu nähern, beweist trotz seiner Sperrigkeit fortgesetzte Aktualität.
Schon damals stellte sich am Beispiel der sogenannten "Artukidenschale" im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum die Frage: Welches kulturelle Milieu konnte dieses einzigartige Werk hervorbringen? Die Schale kann zwar inschriftlich einem Besitzer oder Empfänger zugeordnet werden, nämlich dem Artukidenfürsten Rukn ad-Daula Dawud, der in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts in Hisn Kaifa am oberen Tigris regierte; technische und ikonografische Eigenheiten wurden aber mehrfach als Hinweis auf einen byzantinischen Entstehungszusammenhang gewertet.
Der vorliegende Sammelband erkundet verschiedene Phänomene "kulturellen Austauschs" im östlichen Mittelmeerraum und in angrenzenden Gebieten. Dabei zeigt sich, dass das "von Vielfalt geprägte politische, soziale und kulturelle Umfeld Nordsyriens und der Ǧazīra [Nordmesopotamiens]" (163) zum Verständnis entscheidend beitragen kann. Der Ansatz der Herausgeberinnen wird im Einleitungskapitel diskutiert. Sie streben an, etablierte Perspektiven zu überwinden, die von religiösen und politischen Horizonten der Neuzeit geprägt sind. In dem wissenschaftsgeschichtlich gehaltvollen "Prolog" benennen sie Defizite dieser gängigen Sichtweise: "Stichworte wie 'Rezeption' oder 'Einfluß' deuten an, daß Beziehungen unter dem Gesichtspunkt eines unmittelbaren Gebens und Nehmens gesehen werden, nicht aber im Sinne eines gemeinsamen Werdens" (24).
Allerdings wird schon an dieser Stelle einigermaßen deutlich, wie schwierig sich der interdisziplinäre Zugang zu einem Themenbereich gestalten kann, der an sich mit breiterem Interesse rechnen könnte. Die "Grenzgänge" versammeln als Ergebnis einer Tagung Beiträge aus der byzantinischen und islamischen Kunstgeschichte und Archäologie sowie benachbarten Disziplinen. Die Texte bauen auf einer Vielzahl früherer Studien aus verschiedenen Fächern auf und setzen sowohl Gründlichkeit als auch einen weiten Horizont voraus. Sie sind darauf angewiesen, dass der Leser über reichlich Hintergrundinformation verfügt und zwischen den verschiedensten politischen Einheiten und den Landschaften differenziert. In Bezug auf Nordmesopotamien wird dies durch die heutige Situation der politischen Aufteilung zwischen der Türkei, Syrien und dem Irak nicht gerade erleichtert. Sie erschwert die Vorstellung von einem historischen Raum, in dem sich der Verkehr zwischen Mossul und Antiochia, zwischen Kairo, Konstantinopel, dem Kaukasus und Iran ohne große Schwierigkeiten vollzog.
Zwei Beiträge überschreiten den chronologischen und geografischen Rahmen, wie er im Untertitel angegeben ist, tragen aber durchaus zum Thema bei: Stefan Hauser gibt einen Überblick zur "Archäologie des Christentums im Sasanidenreich", der umfassend und fundiert den derzeitigen Kenntnisstand darstellt. Arne Effenberger behandelt in einer Fallstudie zu den Veduten von Konstantinopel/Istanbul im 15.-16. Jahrhundert die Minarette, die an den Kirchenbau der Hagia Sophia angefügt wurden, und deren Chronologie.
Innerhalb der thematischen Eingrenzung bleiben die Beiträge von Neslihan Asutay-Effenberger zur Rezeption seldschukischer Elemente in Byzanz und von Avinoam Shalem zur Frage, wie stark der berühmte Schatz der Fatimiden von byzantinischen Elementen geprägt war. Beide Aufsätze beleuchten verschiedene Phänomene von Rezeptionsästhetik. Sie tragen damit zum Kernthema des Buches, den "interkulturellen" Verbindungen, bei.
Im Zentrum stehen die drei Beiträge von Antje Bosselmann-Ruickbie zu Ohrringen aus dem östlichen Mittelmeerraum sowie der beiden Herausgeberinnen, die sich der Innsbrucker Artukidenschale jeweils aus "byzantinischer" wie aus "islamischer" Perspektive nähern.
Im Sinne des kulturübergreifenden Ansatzes schreibt Ulrike Koenen: "Daher ist es in meinen Augen gar nicht von vorrangiger Bedeutung, ob die Schale nun in Konstantinopel, in einer Provinz des byzantinischen Reiches oder in byzantinisch beeinflußtem Gebiet, in Georgien, Nordmesopotamien, der Jazira oder im Heiligen Land gefertigt wurde, sondern vielmehr, daß sie [...] mit ihrer Bildsprache ein im gesamten östlichen Mittelmeerraum verständliches Programm vermittelt. Diese Erkenntnis ist meines Erachtens wesentlich ertragreicher als die nicht zu lösende Frage nach ihrer Herkunft und der Lokalisierung ihrer Produktionsstätte." (141)
Man möchte es aber doch genauer wissen. Die Kunstgeschichte ist nun einmal vor die Aufgabe gestellt, die Bedingungen der Entstehung und der Rezeption eines Werkes so gut wie möglich aufzuklären, um ein adäquates Verständnis zu ermöglichen. Natürlich ist die Kontextualisierung, wie sie hier unterstrichen wird, wichtig und richtig - aber verschleiert sie nicht auch die Frage nach der "Provenienz" der Schale?
Der Beitrag von Antje Bosselmann-Ruickbie zeigt, wie beides zu seinem Recht kommen kann. Sie untersucht einen Bestand von Schmuckstücken einer Gattung, die aus dem fraglichen Raum und Zeitabschnitt stammen. Minutiös geht sie den archäologisch gesicherten Parallelen nach. Damit werden die Gemeinsamkeiten zwischen "byzantinischem" und "islamischem" Goldschmuck sichtbar. Es wird aber auch deutlich, dass alles für eine byzantinische Lokalisierung der Emailwerkstätten spricht. Die Schlussfolgerungen werden klar benannt: "Parallele und offensichtlich zeitgleiche Entwicklung sowohl in Byzanz als auch im östlichen, islamisch geprägten Mittelmeerraum" (92), aber spezieller: Entstehung des Typs der "Körbchenohrringe" im fatimidischen Ägypten, Produktion der Email-Ohrringe dagegen im byzantinischen Reich (108). Ob man die Einordnung bis ins Letzte teilt oder nicht - kontextualisierende und definierende Aussage verbindet dieser Beitrag auf glückliche Weise.
Martina Müller-Wiener plädiert für eine "visuelle Tradition", in der ein Objekt wie die Artukidenschale ohne Schwierigkeiten auf der einen wie auf der anderen Seite der politischen Grenzen aufgenommen werden konnte. Die Gemeinsamkeit lag den verschieden ausdifferenzierten Kulturen zugrunde, sie musste nicht erst hergestellt werden. Müller-Wiener stellt das beispielhaft an der Alexandersage in ihrer literarischen und bildlichen Vergegenwärtigung dar; ein Element daraus ist auch auf der Artukidenschale zu sehen. In Bezug auf die Schale fasst sie zusammen, dass sie "vor dem Hintergrund der im Vorangegangenen zusammengetragenen Objekte nicht mehr als der unbequeme Einzelfall erscheint, als der sie in der Literatur bislang dargestellt wurde. In der Zusammenschau mit dem erhaltenen Monument- und Objektbestand fügt sie sich vielmehr ein in das von Vielfalt geprägte politische, soziale und kulturelle Umfeld Nordsyriens und der Ǧazīra" (163).
Das Buch weist neue Wege zum Verständnis von Phänomenen, für die die gängigen Etikette von Epochen und Kulturzugehörigkeiten nicht taugen. Gelegentlich bleibt die Diktion noch hinter der Theorie zurück, wenn Formulierungen wie "kultureller Austausch" oder "Transfer der Techniken und Motive" mit dem Postulat kollidieren, dass es sich im östlichen Mittelmeerraum und im Vorderen Orient um einen Raum handelte, der von gemeinsamen Traditionen geprägt war und in dem Kulturen symbiotisch existierten.
Zunächst würde man sich wohl weitere Einzelstudien wünschen, die diesen Ansatz verfeinern und explizieren: Man könnte sich Untersuchungen zur Buchmalerei vorstellen, zur christlichen und islamischen Architektur im Raum Mossul, zu den Beziehungen zwischen der Kunst der orientalischen Kreuzfahrerstaaten und der sizilischen Normannen. Ob sich dann auch neue Etikette einstellen, die vielleicht zu einer neuen Periodisierung und Klassifizierung führen, ist eher von nachrangiger Bedeutung.
Anmerkungen:
[1] Vgl. z.B. Saladin und die Kreuzfahrer. Begleitband zur Sonderausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale), im Landesmuseum für Natur und Mensch Oldenburg und in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, hg. von Alfried Wieczorek / Mamoun Fansa / Harald Meller, Mainz 2005.
[2] Max van Berchem / Josef Strzygowski: Amida. Beiträge zur Kunstgeschichte des Mittelalters von Nordmesopotamien, Hellas und dem Abendlande, Heidelberg 1910.
Lorenz Korn