Prince Charles-Joseph de Ligne: Mon Journal de la guerre de Sept Ans. Textes inédits introduits, établis et annotés par Jeroom Vercruysse et Bruno Colson (= L'Âge des Lumières; 44), Paris: Editions Honoré Champion 2008, 552 S., ISBN 978-2-7453-1711-7, EUR 85,00
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Im Gegensatz zur angelsächsischen Geschichtsschreibung ist der Siebenjährige Krieg in Deutschland und in Frankreich, von Ausnahmen abgesehen, weitgehend aus dem Blickfeld der Forschung verschwunden. In Deutschland wird er noch immer in erster Linie aus der Perspektive des österreichisch-preußischen Dualismus betrachtet, in Frankreich mag man ungern an das Scheitern der Außenpolitik Ludwigs XV. erinnert werden, so hat es den Anschein - das "Grand Siecle" Ludwigs XIV. überstrahlt alles und zieht auch die Frühneuzeitforscher magisch an. Dies gilt auch für Quellen: Die meisten Editionen zum Siebenjährigen Krieg stammen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert.
Daher ist die vorliegende Edition umso mehr zu begrüßen, eröffnet sie doch einen direkten Zugang zum Schlachtengetümmel des Siebenjährigen Krieges. Es handelt sich hierbei um das Manuskript des Kriegstagebuchs des berühmten Prinzen Charles-Joseph de Ligne (1735-1814), das von Johannes Willms 1991 in den Archives du Service historique de de l'armée de terre in Vincennes entdeckt wurde und von dem bislang nur eine 1796 publizierte Fassung bekannt war. Von dieser wusste man, dass sie erheblich überarbeitet ("entschärft" (9)) war.[1] Da auch die seit ihrer Erstpublikation nicht mehr aufgelegte gedruckte Fassung in der Edition enthalten ist, (245-474) wird dem Leser ermöglicht, den Umfang der Veränderungen und damit dem Wandel der Aussage des "Journals" nachzuspüren.
Der Prinz de Ligne verkörpert als einer der letzten Repräsentanten den alteuropäischen Adel des Ancien Régime. Als Angehöriger eines alten Adelsgeschlechts aus dem Hennegau trat er 1752 als Fähnrich in das Regiment seines Vaters und damit in die Dienste des Hauses Habsburg ein, dem er bis zu seinem Tode treu blieb. Er war zeitlebens Literat und Militär in Personalunion; geistreich, weltoffen, mit den großen Philosophes der Zeit bekannt und mit Sympathien für die moderate Aufklärung. Der Ausbruch der Revolutionskriege und die Besetzung der Österreichischen Niederlande zwang Ligne ins Exil an den Kaiserhof.[2]
Bei Ausbruch des Siebenjährigen Krieges ein junger Offizier von 21 Jahren (Capitaine d'infanterie), wurde Ligne nach der Schlacht bei Leuthen zum Lieutenant-Colonel ernannt (24) und kommandierte seit den Feldzügen 1758-59 das Regiment Prince de Ligne, im Kampf und in der Etappe. Ligne war mit Begeisterung und mit Inbrunst Soldat. Er war ein hervorragender Offizier, der sich beständig theoretisch und praktisch weiterbildete und eine sehr reiche Sammlung von militärtheoretischen und -historischen Schriften besaß. Die Erlebnisse des Siebenjährigen Krieges ließen ihn nicht los (23), wie die im Anhang edierten Fragmente seiner Kommentare über die zeitgenössischen Historiker des Siebenjährigen Krieges aus dem Jahre 1812 belegen (479-492).
In ihrer Einleitung skizzieren die Herausgeber, beides ausgewiesene Kenner des Prince de Ligne und seiner Epoche, den Charakter des Journals und den Stellenwert des Krieges für die Biographie Lignes. Gesicherte Informationen über die Herkunft des detailliert beschriebenen Manuskriptes (39-42) und wie es in das französische Militärarchiv gelangt ist, gibt es nicht. Die Verfasser verzichten auf Spekulationen, die Vielzahl der am Manuskript feststellbaren Schreiber lässt zumindest die Vermutung zu, dass es sich um eine zwischen Original und Manuskript der Druckfassung anzusiedelnde Bearbeitungsstufe handelt.
Zur Textgestaltung: Von einer textkritischen Edition wurde abgesehen zugunsten einer pragmatischen Lösung mit einer behutsamen Modernisierung (Schreibweise, Vereinheitlichung, Satzzeichen), die die Lesbarkeit in den Vordergrund stellt. Den Lesern werden als Hilfsmittel ein Glossar, eine Chronologie, Karten und sorgfältiges, die verschiedenen Schreibweisen vor allem von Namen und Orten dokumentierendes Register zur Verfügung gestellt. Eine Bibliographie über Ligne und über den Siebenjährigen Krieg aber fehlt.
In seinem noch während oder kurz vor Ende des Krieges verfassten "Vorwort" reflektiert Ligne über die Natur seiner Aufzeichnungen und setzt sie bewusst von der Geschichtsschreibung ab: Es gebe einen großen Unterschied zwischen dem Schreiben von Geschichte und dem Schreiben von Geschichten, seine Geschichten aber seien wahr. Es seien Berichte ("Relations") von seinen Feldzügen, "Kriegserinnerungen", Erlebtes. (55 f.) Was das "Journal" von Historikern wie Voltaire unterscheide sei letztlich sein unmittelbarer Charakter: Es seien Fehler enthalten, Leerstellen, vielleicht auch falsche Angaben, die sich erklären lassen aus den begrenzten Informationen, die ihm während der Feldzüge zur Verfügung standen. Ligne kündigt an, das Manuskript noch einmal überarbeiten zu wollen, nicht zuletzt um die sprachlichen Unebenheiten zu glätten.
Es ist in der Tat das unmittelbare Erleben und Empfinden eines standesbewussten und sich zum Militärdienst berufen fühlenden Offiziers, das dem Leser des Journals entgegentritt. Stolz vermerkt Ligne, wie sich sein Regiment in den Schlachten - etwa bei Kollin, Leuthen und Hochkirch - schlägt und listet - typisch für die Kriegswahrnehmung eines Offiziers - die Toten und Verletzten unter den Offizieren auf (78, 88, 93, 142). Über die Verluste unter den Mannschaften kein Wort, nur Andeutungen über die Brutalität der Kämpfe, die an die Wortwahl Voltaires erinnern: von "Schlachterei" ("Boucherie" (76); Voltaire spricht im Candide von der "boucherie héroïque") oder von der "Verbissenheit sondergleichen" ("acharnement sans égal" (65)) der Kämpfe ist die Rede.
Den Leistungen des Feindes - Friedrich der Große erscheint in den Aufzeichnungen immer nur als "der König" - zollt Ligne professionellen Respekt, etwa wenn er von dem Vorrücken der preußischen Infanterie in der Schlacht bei Leuthen berichtet, dies sei in einer Ordnung wie beim Manöver erfolgt (97). Das Offiziersethos des 18. Jahrhundert ermöglichte die Konversation mit dem Gegner in Kampfpausen, so beschrieben bei der Belagerung von Schweidnitz 1757 (86).
Lignes Journal ist eine hervorragende Ergänzung bislang bekannter "Ego-Dokumente" über den Siebenjährigen Krieg. Es eignet sich aber nicht nur für Untersuchungen über die Erfahrungs- und Lebenswelt eines adeligen Offiziers des 18. Jahrhunderts, Lignes Reflexionen über Ursachen der österreichischen Niederlagen im Siebenjährigen Krieg laden zur Prüfung der gängigen Erklärungen des Ausgangs dieses Konflikts ein. Einerseits führt Ligne als Ursache der Niederlagen die bekannten Argumente an (Zögern, fehlende Risikobereitschaft der Österreicher, Genialität der Feldherrenkunst Friedrichs des Großen). Andererseits wird deutlich, dass die österreichische Armee ihre eigenen Stärken entwickelte, die sogar von Feinde (bezeichnenderweise vom Prinzen Heinrich) übernommen wurde (29). Die Österreicher standen den Preußen keineswegs ohnmächtig gegenüber. Doch erst in der gedruckten Version dominieren die Negativurteile über die österreichische Kriegführung. Ob bewusst oder unbewusst: Ligne leistet, indem er die verpassten Chancen der Österreicher größer macht als sie vielleicht tatsächlich waren, einen Beitrag zur Konstruktion und Festigung des Friedrich-Mythos.
Anmerkungen:
[1] Johannes Willms: Prince de Ligne, Mes mémoires de la guerre de 1757 à 1762. La première rédaction du Journal de la guerre de Sept Ans, in: Nouvelles Annales Prince de Ligne 6 (1991), 47-62.
[2] Detaillierte Informationen über den Prince de Ligne bietet die Website: http://www.princechjdeligne.be/.
Sven Externbrink