Erich Donnert (Hg.): Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfordt. Bd. 7: Unbekannte Quellen. Aufsätze zu Entwicklung, Vorstufen, Grenzen und Fortwirken der Frühneuzeit in und um Europa, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2008, XXV + 1242 S., ISBN 978-3-412-10702-4, EUR 89,90
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Erich Donnert (Hg.): Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfordt. Bd. 6: Mittel-, Nord- und Osteuropa, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2002
In vorliegender Rezension ist der Abschluss der wohl opulentesten Edition einer Festschrift zu vermelden, die jemals im deutschen Sprachraum erschienen ist. Begonnen im Jahre 1997 als Festschrift zum 75. Geburtstag von Günter Mühlpfordt (die Bände 1 - 5), verwandelte sie sich mit Band 6 zur Festschrift zum 80. Geburtstag (2002), und nun präsentiert sich Band 7 als Publikation anlässlich des 85. Geburtstages des hallischen Gelehrten. Im Vorwort des Herausgebers wird mit berechtigtem Stolz auf die beeindruckenden Dimensionen des Unternehmens verwiesen: über 350 Autoren aus 26 Ländern, 398 Beiträge auf über 6000 Seiten. Die dann folgenden Zitate von "Autoritäten" zu Mühlpfordts Leistungen und die (auch illustrierte) Aufzählung von Preisen, die dem Jubilar verliehen wurden, sind gut gemeint, wirken aber eher befremdlich. Mühlpfordt hat äußere Bestätigungen, er sei ein bedeutender Geisteswissenschaftler unserer Zeit, nicht nötig.
Der vorliegende Band enthält insgesamt 50 Beiträge. Der Untertitel (s.o.) versucht, dem Textkorpus eine gemeinsame inhaltliche Ausrichtung unter einer zentralen Fragestellung zu verleihen. Den Rezensenten kann dieser Ansatz allerdings nicht so recht überzeugen. Wenn von der Entwicklung, von Vorstufen, von Grenzen und Fortwirken der Frühneuzeit die Rede ist, sollte schon definiert werden, was unter Frühneuzeit konkret verstanden wird. Die rein formale Festlegung, damit seien die Jahrhunderte zwischen 1500 und 1800 gemeint, kann hier nicht gelten. Es muss sich nach Auffassung des Herausgebers offenkundig um ein spezifisch inhaltliches Verständnis dieser Zeitepoche handeln, das aber an keiner Stelle des Buches irgendwie deutlich wird. Der Titel des Bandes hängt so als uneingelöstes Versprechen gleichsam in der Luft. Diese eher aufgesetzte als inhaltlich begründete Etikettierung war im Übrigen bereits bei den vorangegangenen Bänden zu beobachten, wenn auch nicht in dieser Deutlichkeit (vgl. meine Rezension des 6. Bandes in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 5).
Die Aufsätze bieten im ersten Teil des Bandes (knapp 700 Seiten) einen thematisch bunt gemischten Strauß, der "Beiträge zur allgemeinen und deutschen Geschichte" präsentiert. Das beginnt mit der Beziehung zwischen Abaelard und Heloisa (also 12. Jahrhundert) und endet mit dem Spirutuskreis in Halle (also 20. Jahrhundert). Ein guter Teil der Aufsätze widmet sich Themenkomplexen, die im Verlauf seines langen Forscherlebens auch immer wieder das Interesse des Jubilars gefunden hatten: Universitäts- und Akademiegeschichte, Freimaurer und Geheimbünde, religiöse Außenseiter. Es fehlt jedoch, wie bei Festschriften üblich, nicht an Artikeln, die sich mit recht heterogenen Themen beschäftigen: zur höfischen Hornmusik in Dessau (fast 50 Seiten), zur medizinhistorischen Sammlung des Leipziger Sudhoff-Institutes oder über Augenärzte in Berlin (40 Seiten). Sichtbares Gewicht wurde auf die Präsentation unbekannter oder kaum bekannter Quellen gelegt (insbesondere autobiographische Texte). Solche Beiträge sind in der Regel von besonderem Wert, und ihre Verfallszeit liegt deutlich höher als bei reinen Abhandlungen. Ob allerdings eine Festschrift, also ein Band mit Aufsätzen, der geeignete Ort ist, um eine mehr als 130 Seiten umfassende, übrigens äußerst informative Autobiographie (des Theologen Wilhelm Gabriel Wegener) abzudrucken bzw. zu verstecken, mag doch bezweifelt werden. Eine separate Publikation ist in solchen Fällen immer vorzuziehen.
Der zweite, etwas knapper gehaltene Teil (400 Seiten) bietet "Studien zur Geschichte Ost- und Ostmitteleuropas", bekanntlich ein besonderer Schwerpunkt der Arbeiten Mühlpfordts, aber auch des Herausgebers Erich Donnert, der immerhin sechs eigene Aufsätze in dieser Abteilung untergebracht hat (insgesamt ca. 120 Seiten, was einen eigenen Band ergeben würde). In den "Studien" geht es in zahlreichen Beiträgen um Einzelaspekte der berühmten Sibirienreisen des 18. Jahrhunderts, die schon in den vorangegangenen Bänden häufige Beachtung gefunden hatten. Das Reisethema wiederum bildet gleichsam eine Unterabteilung der Forschungen zu den Wissenschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Osteuropa. Die Schule von Eduard Winter, deren maßgeblicher Vertreter Mühlpfordt ist, hat sich über Jahrzehnte hinweg mit diesem Gegenstand beschäftigt. Der 7. Band bringt mehrere Aufsätze zum Abdruck, die sich mit einzelnen Vertretern der deutsch-russischen Wissenschaftsbeziehungen befassen. Neben bekannten Personen, so Goethe oder Rudolf Virchow, stehen weniger bekannte Figuren wie Ludwig Heinrich von Jacob (1759 - 1827), Carl Rauchfuss (1835 - 1915) oder Johann Leopold Fuchs (1785 - 1827).
Ein (insbesondere auch vom Rezensenten) lange erwartetes Hilfsmittel für die Arbeit mit den "Mühlpfordt-Bänden" bietet das Personenregister über alle sieben Bände. [1] Damit erst werden die fast vierhundert Aufsätze für die Forschung wirklich zugänglich und handhabbar. Ideal wäre die Beigabe eines Ortsregisters gewesen. Dass dies einen weiteren sehr großen Arbeitsaufwand erfordert hätte, ist dem Kritiker selbstredend bekannt.
Ob nun der vorliegende Band tatsächlich das Gesamtwerk zum wirklichen Abschluss bringt, mag jedoch noch angezweifelt werden. Anlass zu dieser Vermutung bietet eine Mitteilung des Herausgeber im letzten Absatz seiner Einleitung. Dort wird ein "Beiheft" angekündigt, das ein Schriftenverzeichnis des Jubilars enthält und "Schlussbetrachtungen" bieten wird, u.a. mit Ausführungen zur Frühneuzeitforschung, zur mitteldeutschen Bildungslandschaft, zur europäischen und mitteldeutschen Aufklärung, zu "Reformationen aus Mitteldeutschland". Bei einem so relativ umfangreichen Programm dürfte es nicht auszuschließen sein, dass das Beiheft unter der Hand eine Mutation zu Band 8 der Festschrift erfahren könnte. Es bleibt zu hoffen und zu wünschen, dass die Forschungen zur Frühen Neuzeit die gewaltige Aufsatzsammlung ihrer Bedeutung entsprechend rezipieren wird.
Anmerkung:
[1] Leider enhält das Register ärgerliche Fehler, wie bereits nur flüchtige Stichproben ergeben. So wird verschiedentlich nicht zwischen den einzelnen Trägern eines Familiennamens unterschieden; der Jurist Benedict Carpzov wird als Samuel Benedict Carzpzov (Theologe) angeführt, die unterschiedlichen Mitglieder der Familie Clodius laufen alle unter Christian August Heinrich Clodius, die verschiedenen Träger des Namens Crusius werden alle als Christian August Crusius verbucht usw.
Detlef Döring