Harriet Guest: Empire, Barbarism, and Civilisation. Captain Cook, William Hodges and the Return to the Pacific, Cambridge: Cambridge University Press 2007, xx + 249 S., ISBN 978-0-521-88194-4, GBP 55,00
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Das reich ausgestattete Buch der Anglistin Harriet Guest untersucht die Ambivalenzen in der europäischen Imagination vom Südpazifik. Der Fokus liegt auf Cooks zweiter Weltumsegelung (1772-1775) und der Fülle ihrer Darstellungen. Schauplätze im Südpazifik sind Tahiti und die Gesellschaftsinseln (Kap. 1-3), Tonga, die Neuen Hebriden (Kap. 4) und Neuseeland (Kap. 5), denen immer wieder London und das British Empire gegenübergestellt werden.
Guest behandelt drei Problemkomplexe: die Verflechtung von Wissbegierde und erotischem Verlangen in der britischen Erforschung des Südpazifik, die Repräsentierbarkeit des Fremden und sich durch den Fremdkontakt verändernde Geschlechterrollen. Vereinigt sind sechs thematische Essays, die großteils auf früheren Aufsätzen der Autorin beruhen.
Guest geht von der These aus, dass die Darstellungen der Erforschung fremder Kulturen Unsicherheiten im 'europäischen Projekt einer Expansion im Südpazifik' (48) aufdecken. Ihr Interesse gilt Begegnungen, welche "a fragility or uncertainty" (21) der eigenen Position bloßlegten. Damit geht die Autorin zwar von dem in postkolonialen Ansätzen analysierten westlichen Leitnarrativ einer Machtasymmetrie zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten aus, lotet aber die Erosion dieser Differenz aus. Wer nach einer kritischen Auseinandersetzung mit postkolonialen Theorien sucht, wird allerdings leer ausgehen.
Stattdessen unternimmt die Autorin nuancierte Neulektüren der Quellen, mit dem Ziel, die darin enthaltenen Widersprüche und irritierenden Antriebe freizulegen. Indem sie Hodges' Gemälde in verschiedenartige Kontexte wie zeitgenössische Reiseberichte, Moralphilosophie oder Menschheitsgeschichten stellt und diese durch feinsinnige Beobachtungen übereinander schichtet, setzt sie ihr Ziel auch performativ um. Die Methode der Komplexitätssteigerung macht unterschiedlichste Genres zu gleichwertigen Untersuchungsgegenständen. Das Genre der Essaysammlung gibt Raum für Kommentare zu bestehenden Studien, allen voran die wegweisenden Arbeiten von Rüdiger Joppien und Bernard Smith The Art of Captain Cook's Voyages I-III (New Haven 1985, 1988). [1] In ethnologischer Hinsicht knüpft Guest an die faszinierenden Südpazifikforschungen des britischen Kulturanthropologen Nicholas Thomas an. [2]
Zentral ist die Annahme von flexiblen und komplexen Gender-Zuschreibungen. Im ersten Kapitel "The great distinction" stellt Guest eine Parallele zwischen der Effeminisierung in Hodges' Bild von Hindu-Händlern und der Darstellung des Südseeparadieses Tahiti her, wo auch Männern eine 'weibliche Schönheit' (32) eigne und "feminine leisure" dominiere (33). Wir erfahren, dass im späten 18. Jahrhundert die Untätigkeit der Frau auf die Arbeit des Mannes verweise, während männliche Untätigkeit als 'barbarisch' angesehen werde. Vor diesem Hintergrund changiere die Bewertung weiblichen Müßiggangs zwischen unverdienter Bequemlichkeit und sexueller Unbekümmertheit.
Ausgehend von dieser Ambivalenz wendet sich die Autorin Hodges' Landschaftsgemälde "A View Taken in the Bay of Otaheite Peha" (1776) zu. Im von Bergen und Bäumen umsäumten Gewässer in der Bildmitte ist eine nackte, weibliche Figur dargestellt, die sich treiben lässt. Am rechten Bildrand ist ein weiblicher Rückenakt mit detaillierten Tätowierungen zu sehen, flankiert von einer phallisch aufragenden Tiki-Statue. Guest zufolge ruft das Bild mit seinem 'doppelten Fokus' von Vagheit und ethnografischem Detail inkongruente visuelle Sprachen auf. Während die in die Landschaft eingebundene Badende das sinnliche Vergnügen des Betrachters anspreche, fordere die tätowierte Frau zu einer neugierigen Besichtigung auf. Diese beunruhigende Ambivalenz von 'goldenem Zeitalter' und 'Wissbegierde' interpretiert die Autorin im Kontext des 'Barbarischen' und 'Zivilisierten'. Mit Bezugnahme auf den schottischen Philosophen Henry Homes erläutert sie das 'Barbarische' als die mangelnde Fähigkeit, Ähnlichkeiten zu erkennen, die sich in den "diverse specificities" (41) 'primitiver' Gesellschaften abbilde, während für die 'Zivilisierten' die Herstellung von Ähnlichkeiten und Generalisierungen charakteristisch sei.
Interessant ist, dass Guest diese Opposition auf das zeitgenössische Verhältnis von empirischer Philosophie und Kunsttheorie überträgt. Während die Schriften Johann Reinhold Forsters einen Sinn für das Partikulare der anthropologischen Beobachtung aufwiesen, desavouierten kunsttheoretische Schriften von Reynolds oder Barry das Partikulare als ästhetische Unvollkommenheit. Die in der Südseedarstellung notorische Sexualisierung der 'Insulaner' unterliege dieser Spannung, welche charakteristisch für den Status des Europäischen Projekts kolonialer Expansion sei (48).
Ein weiteres Beispiel liefert das dritte Kapitel "Curiously marked". Ausgehend von Reynolds' Porträt des Polynesiers Omai als 'edler Wilder' (1775-76) geht Guest der Frage nach, wie durch die Betrachtung der Tätowierung von 'Südseeinsulanern' die englische männliche Identität neu bestimmt wurde. Der Porträtierte ist ein junger Mann aus einer Nachbarinsel Tahitis, der auf Cooks zweiter Weltreise mit nach London fuhr und dort zur Attraktion für Monarchen, Gelehrte und Künstlerkreise diente. Smiths These, Omai nehme die Pose eines 'selbstbewussten Patriziers' ein, konfrontiert die Autorin mit Cooks Bezeichnung von Omai als 'dunkel' und 'hässlich' (71). Guest führt aus, dass die Tätowierungen auf Omais Händen dem Porträt eine 'inkongruente ethnographische Genauigkeit' (72) verliehen, welche ihn zu einem "simple barbarian" (72) stempelten, stigmatisiert als 'authentisches Objekt europäischer Wissbegierde'.
Im Kontext von Reynolds Bemerkungen zum Stellenwert von Ornament und Verzierung stellt Guest heraus, dass die Tätowierung einen ethnischen Brauch spezifiziere, weshalb ihr auf der Schönheitsskala ein minderer Stellenwert zukomme. Auch William Parrys Gemälde "Omai, Joseph Banks und Dr. Solander" (1775-76) marginalisiere Omai, der in fließender heller Robe als "ornamental spectacle" (76) dargestellt sei, wohingegen der Anzug und die aneignende Geste Banks für Männlichkeit stünden. Wie sehr solche gender-Zuschreibungen durch die Begegnung mit fremden Kulturen in Frage gestellt würden, soll das Porträt "Joseph Banks" (1771-73) von Benjamin West belegen, welches den Naturforscher in einem hellem 'exotischen' (78) Umhang über dem englischen Anzug zeigt. Allerdings bleibt die Identifizierung von togaartigem Überwurf mit Weiblichkeit (z.B. auch 99) grundsätzlich zweifelhaft.
Interessant ist der Gedanke, dass sich Seeleute wie die Meuterer auf der Bounty oder die "knights of Bora Bora" (89) durch Tätowierungen eine fremde, exotische Identität 'parodistisch' angeeignet und zugleich Gruppenidentität hergestellt hätten. Solche Vorgänge, die in den letzten Jahren unter dem Aspekt einer nur der Metropole zugänglichen Hybridisierung diskutiert werden, nimmt Guest als Beleg für ihre These der "fragility and permeability of distinctions between national characters" (90).
Das vierte Kapitel über Tonga und Vanuatu (Neue Hebriden) geht auf die Wahrnehmungen der Einwohner ein. Guest arbeitet die unterschiedlichen Bewertungen der Tannesen, der Einwohner Vanuatus, bei Cook und den beiden Forsters heraus: Während Cook deren misstrauisch-zögerliches Verhalten als Beleg für kaufmännische Absichten und kulturellen Fortschritt deutet, erklärt Georg Forster Feindseligkeit als Folge gewaltsamer Übergriffe, wobei er den Tannesen ursprüngliche Gutmütigkeit zuspricht und deren kultivierte Landschaft lobt. Vor dieser Folie seien auch die uneinheitlichen Aussagen in den Gemälden Hodges' wie etwa "Landing at Tanna One of the New Hebrides" (1775-76) zu verstehen. Wenn Guest hier Cooks 'wirtschaftlichen Diskurs' Georg Forsters 'philanthropischen Paternalismus' (123) gegenüber stellt, wäre eine Auseinandersetzung mit Russell Bermans Sonderwegsthese angebracht gewesen. Diese besagt, dass Georg Forsters "emancipatory reason" mit einer angeblichen Toleranz gegenüber dem Fremden positiv von James Cooks typisch britischer, kolonial konnotierter "instrumental rationality" abgehoben werden könne. [3]
Im sechsten Kapitel kommt die Autorin zurück zu Omais anachronistischer Rolle in London. Die widersprüchliche Wahrnehmung Omais in der britischen Gesellschaft wird kontrastiert mit der Stilisierung Cooks als 'aktiver, heroischer Genius' (166) in Hodges' bekannten Ölgemälden (1775 u. 1775-76). Die beiden Cook-Porträts John Webbers (1776-80 u. 1782) hingegen würden eher den praktisch-professionellen Mann aus Yorkshire abbilden. Guest interpretiert Hodges' Porträts im Kontext von Cooks Heroisierung als 'Märtyrer', die verstärkt nach dessen Tod auf Hawaii einsetzte. Der Epilog rekonstruiert die Umstände von Hodges' letzter Ausstellung 1794/95, die mit "The Effects of Peace" und "The Consequences of War" zwei heute verschollene Gemälde zeigte, die als Reflexion auf die desaströsen Konsequenzen des Kriegs gegen Frankreich verstanden werden konnten. Das Verbot der Ausstellung durch den Duke of York leitete das tragische Ende von Hodges' Künstlerkarriere ein.
Insgesamt ist Guests Studie ein großer Gewinn, insbesondere für die Hodges-Forschung. Die Fundierung seiner Malerei in den Debatten der Zeit machen die Gemälde und deren äußerst ambivalente Rezeption verständlich und rücken sie in ein neues Licht. Die eindringliche Vorstellung seiner Werke, die zudem in hervorragender Qualität abgebildet sind, bereichert die Südpazifikforschung von kunst- und literaturwissenschaftlicher Seite.
Anmerkungen:
[1] Wie auch Bernard Smith: European Vision and the South Pacific, 1768-1850, 2. Aufl., New Haven 1985 [1960] und ders.: Imaging the Pacific in the Wake of the Cook Voyages, New Haven 1992.
[2] Nicholas Thomas: Colonialism's Culture. Anthropology, Travel and Government, Cambridge 1994; ders.: In Oceania. Visions, Artifacts, Histories, Durham / London 1997; ders.: Discoveries. The Voyages of Captain Cook, London 2003.
[3] Russell A. Berman: Enlightenment or Empire. Colonial Discourse in German Culture, Lincoln / London 1998, 40. Vgl. dazu Robert J.C. Young: Postcolonialism's Straw Man, in: Radical Philosophy (1999), Nr. 95, 48-51.
Gabriele Dürbeck