Markus Dahlem: Die Professionalisierung des Bankbetriebs. Studien zur institutionellen Struktur deutscher Banken im Kaiserreich 1871-1914 (= Bochumer Schriften zur Unternehmens- und Industriegeschichte; Bd. 17), Essen: Klartext 2009, III + 361 S., ISBN 978-3-8375-0011-0, EUR 38,00
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Zur Geschichte der Banken im Deutschen Kaiserreich sind in der jüngsten Zeit mehrere Studien zu einzelnen Kreditinstituten wie auch vergleichende Untersuchungen erschienen. Markus Dahlem behandelt nun als Querschnittsthema die Professionalisierung des Bankbetriebs im Kaiserreich bis zum Jahr 1914. Bei dem Buch handelt es sich um die überarbeitete Fassung seiner Dissertation, die 2006 an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main angenommen wurde.
Dahlem plädiert dafür, eine theoretische Perspektive auf die Bankgeschichte anzuwenden. Er möchte über "allgemeinhistorisch geprägte Untersuchungen" sowie über Arbeiten hinausgehen, die "weitgehend auf die personale Ebene konzentriert" (5) blieben. Stattdessen müssten "Faktoren wie etwa Informationsflüsse im Unternehmen als Basis von Entscheidungsprozessen" (5) berücksichtigt werden. Dabei stützt er sich auf das Theorieangebot der Neuen Institutionenökonomik. Demnach haben Unternehmen die Fähigkeit, Transaktionskosten zu senken und damit billiger als der Markt zu sein. Auf Banken angewendet heißt dies, dass Kreditinstitute Organisationsstrukturen und Netzwerke aufbauen müssen, um das Problem ungleich verteilter Informationen ("Informationsasymmetrien") zu lösen. Zugleich ergänzt Dahlem diesen Ansatz, indem er zusätzlich mit dem Modell der Pfadabhängigkeit eine evolutorische Perspektive einführt, um auch die langfristige Entwicklungsdynamik von Unternehmen zu berücksichtigen.
Als Fallbeispiele wählt der Verfasser vier bekannte Bankinstitute: Deutsche Bank, Disconto-Gesellschaft, Berliner Handels-Gesellschaft und das Bankhaus Gebr. Bethmann. Die Auswahl ist zum einen durch die Quellenüberlieferung bedingt. Zum anderen repräsentieren die Bankinstitute unterschiedliche Geschäftsmodelle und Rechtsformen.
Mit großer Detailkenntnis arbeitet Markus Dahlem die jeweiligen organisatorischen und geschäftlichen Besonderheiten heraus. Kennzeichnend für die Deutsche Bank waren im Untersuchungszeitraum eine kollegiale Führungsstruktur sowie die Entwicklung einer ausdifferenzierten Organisationsstruktur. Die Disconto-Gesellschaft entwickelte ebenfalls eine differenzierte Organisationsstruktur, blieb aber lange Zeit auf eine autokratische Führungspersönlichkeit ausgerichtet. Einen Sonderfall bildete die Berliner Handels-Gesellschaft, die sich als Industrie- und Emissionsbank spezialisierte und daher, unter Verzicht auf Filialgründungen, eine zentralistische Konzernstruktur aufwies. Die Privatbank Gebr. Bethmann wiederum fand Nischenfunktionen in der Vermögensverwaltung, als Partner bei internationalen Anleihen sowie als Finanzier mittelgroßer Unternehmen. Wie bei anderen Privatbanken dienten insbesondere Kontakte und Netzwerke zum Abbau von Informationsasymmetrien.
Dahlem gelingt es, die Entwicklung der Organisationsstrukturen gründlich zu erfassen. Dabei lenkt er auch den Blick auf bislang kaum behandelte Themen wie etwa die Gründung von Prüfungs- und Revisionsgesellschaften durch deutsche Banken. Etwas überraschend ist, dass die Entwicklungsgeschichte der behandelten Bankinstitute angesichts des beschriebenen methodischen Anspruchs über manche Strecken durchaus konventionell daherkommt. So war es David Hansemann, der 1851 die Disconto-Gesellschaft gründete, und es war der Person Carl Fürstenbergs zu verdanken, dass die Berliner Handels-Gesellschaft nach 1882 wieder in das Preußenkonsortium aufgenommen wurde. Dahlem verzichtet ferner weitgehend darauf, sich mit der älteren bankhistorischen Literatur kritisch auseinanderzusetzen. Darüber hinaus könnte man sich eine intensivere Berücksichtigung der damaligen bankbetriebswissenschaftlichen Literatur vorstellen, um so Organisationsgrad und -formen der Banken noch besser einzuordnen.
In einem Zwischenfazit geht Dahlem auf den Zusammenhang zwischen der institutionellen Verfassung und dem ökonomischen Erfolg der untersuchten Banken ein. Dabei wird deutlich, dass die verschiedenen Banktypen durchaus ansehnliche ökonomische Erfolge erzielen konnten. Allerdings scheint eine vorsichtige, kontinuierliche Geschäftsstrategie in Verbindung mit einem diversifizierten Geschäftsmodell einen besonders nachhaltigen Erfolg zu ermöglichen - das vor einiger Zeit noch als veraltet geltende Modell der Universalbank wäre demnach aktueller denn je.
Ein weiteres Kapitel thematisiert "Fallstudien zur Organisation und Ausgestaltung von Geschäftsbeziehungen zwischen Banken und Industrie". Untersucht werden die Beziehungen zwischen Banken und Unternehmen wie Adler & Oppenheimer Lederfabrik, AEG, Arthur Koppel, Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. sowie Norddeutscher Lloyd. Dabei entwickelten sich äußerst vielfältige institutionelle Formen, um Informationsflüsse zwischen Banken und Unternehmen zu strukturieren. Vor allem über die Wahrnehmung von Aufsichtsratsmandaten konnten Banken Einblicke insbesondere in die finanziellen Verhältnisse ihrer Kunden gewinnen. Eine auffallende Gemeinsamkeit der Fallbeispiele ist allerdings, dass sie sich alle auf Kapitalmarkttransaktionen beziehen. Die Frage, wie sich Informationsflüsse beispielsweise im Kreditgeschäft gestalteten, bleibt daher offen.
Kann dieses Buch die Erwartung erfüllen, dass das Theorieangebot der neuen Institutionenökonomik geeignet ist, um empirische Studien zur Bankengeschichte zu ermöglichen und damit die bankhistorische Forschung weiterbringt? Zweifellos wird die Perspektive der Forschung auf den Zusammenhang zwischen Geschäftsentwicklung, Organisationsstrukturen, Entscheidungen und Konflikten gerichtet. Dahlems Publikation ist eine material- und detailreiche Geschichte der Organisationsstrukturen von Banken im Deutschen Kaiserreich. Überraschenderweise wird der Begriff der "Professionalisierung" von Dahlem aber nicht weiter hinterfragt. Hätte sich in diesem Zusammenhang nicht auch das Konzept der "Bürokratisierung" angeboten?
Weitere, grundsätzliche Fragen stellen sich. Wird das Konzept der Informationsasymmetrie nicht etwa überdehnt? Besteht nicht vielmehr die Gefahr, dass mit der Betonung der (empirisch kaum fassbaren) Transaktionskosten die primären ökonomischen Tätigkeiten wie auch die Rahmenbedingungen des Bankgeschäfts aus dem Blickfeld geraten? Wie kann beispielsweise eine Bank Zinsen und Provisionen generieren? Welches Eigenkapital und welche "human ressources" stehen ihr zur Verfügung? Welchen Einfluss hat das Konkurrenzverhalten? Welche Bankgeschäfte sind vor dem Hintergrund der konjunkturellen Entwicklung in der Realwirtschaft langfristig überhaupt möglich? Und: Welche regulatorischen und bilanziellen Regeln gelten auf den Märkten? Dass zudem eine Kreditentscheidung sowohl von materiellen Faktoren wie Bilanz, Kapital und Sicherheiten des Kreditnehmers wie auch immateriellen Faktoren ("Standing", "Vertrauen" des Kunden) abhängt, erschließt sich schon mit einem flüchtigen Blick in eine beliebige Kreditakte.
Forschungen zur Bankengeschichte bedürfen eines breiten methodischen Ansatzes. Die neue Institutionenökonomik muss dabei nicht der "Königsweg" sein. Dies schmälert aber nicht Dahlems Leistung, der die bankhistorische Forschung mit seiner quellennahen Studie und seinem vergleichenden Ansatz sicherlich bereichert hat.
Detlef Krause