Jens Wegener: Die Organisation Gehlen und die USA. Deutsch-amerikanische Geheimdienstbeziehungen, 1945-1949 (= Studies in Intelligence History; Vol. 2), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2008, 146 S., ISBN 978-3-8258-1395-6, EUR 19,90
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Jahrzehntelang stammten alle Informationen über die Anfangsjahre des westdeutschen Auslandsnachrichtendienstes aus nur zwei Quellen: Den 1971 veröffentlichten Memoiren "Der Dienst" von dessen Chef Reinhard Gehlen und dem im selben Jahr erschienenen Buch "Pullach intern" der Journalisten Hermann Zolling und Heinz Höhne. Zolling und Höhne waren über die Spionagetätigkeit der "Organisation Gehlen" (OG) und des Bundesnachrichtendienstes (BND), wie der Apparat seit Übernahme in die Verwaltung des Bundes 1956 hieß, nicht schlecht informiert. Ihr Buch war jedoch auch ein politisches Projekt: Es sollte nicht zuletzt zeigen, welcher Machtkampf sich hinter den Mauern des Dienstsitzes in Pullach bei München nach Übernahme der Regierungsgeschäfte durch die SPD/FDP-Koalition 1969 abspielte. Kanzleramtsminister Horst Ehmke und von ihm ausgewählte Spitzenbeamte zielten darauf, die alten Seilschaften aus den Tagen des 'Dritten Reiches' und der Ära Adenauer unter Kontrolle zu bekommen. Trotz ihres kritischen Zugangs folgen aber letztlich auch Zolling und Höhne mit wenigen Abstrichen dem Gründungsmythos Gehlens, dieser habe den Amerikanern quasi die Spielregeln für den Aufbau des Dienstes diktiert. Nur wenige Generale der Wehrmacht mögen am Bild der sauber kämpfenden Truppe, die durch politisches Vabanque in den Ruin geführt wurde, so erfolgreich gefeilt haben wie Erich von Manstein in seinen "Verlorenen Siegen". Ganz sicher aber hat es kein anderer so gut verstanden, um sich herum einen Schleier des Geheimnisses aufzubauen wie Reinhard Gehlen, der seit 1942 im Generalstab des Heeres die Abteilung "Fremde Heere Ost" geleitet hatte und nach Kriegsende bis 1968 an der Spitze der OG und des BND stand. Besonders die Gründungsgeschichte der OG erscheint in Gehlens Memoiren als Deal zwischen Amerikanern und - gleichberechtigten - deutschen Offizieren.
Erst in den vergangenen Jahren brachten freigegebene Akten neue Kenntnisse ans Licht und zogen weitere Publikationen nach sich. [1] So hat Wolfgang Krieger auf der Grundlage der amerikanischen Aktenedition in einem Aufsatz die entscheidende Rolle des amerikanischen Militärs und der nachrichtendienstlichen Community in Washington hervorgehoben. [2] In seiner Magisterarbeit folgt Jens Wegener diesem Pfad. Er stützt sich neben der noch immer überschaubaren Literatur vor allem auf Quellen aus den National Archives in Maryland. In seinem schmalen Bändchen wird aus der vornehmlich deutschen Saga Gehlens eine sehr amerikanische Geschichte, welche die Gründung der OG in gelungener Weise in die Entnazifizierungs- und Entmilitarisierungspolitik sowie die unterschiedlichen Konzeptionen nachrichtendienstlicher Tätigkeit gegen die Sowjets einbettet.
Während Gehlen mit einigen seiner Mitarbeiter im August 1945 zu Verhören in die USA ausgeflogen wurde, begann schon im Spätsommer dieses Jahres durch deutsche Wehrmachtoffiziere die Informationsbeschaffung aus der Sowjetischen Besatzungszone - unter Leitung der U.S. Army. Hermann Baun, ein des Russischen mächtiger Profi der früheren deutschen UdSSR-Aufklärung, führte auf deutscher Seite die Offiziersgruppe. Doch die Interessen der Amerikaner waren durchaus widersprüchlich. Während die Army und in der ersten Berlinkrise alsbald auch die Air Force schnell Kenntnisse zum Streitkräftedispositiv der Sowjets und deren taktisch-operativen Möglichkeiten erlangen wollten, misstraute die Heeresspionageabwehr den deutschen Offizieren. Das nicht etwa vorrangig, weil dort Nazis saßen - das CIC kooperierte selbst zum Beispiel mit dem ehemaligen Gestapo-Chef von Lyon, Klaus Barbie. Vielmehr wollte man unmittelbar nach dem Krieg keinen offensiv agierenden deutschen Geheimdienst unter amerikanischer Flagge gegen den sowjetischen Kriegsalliierten in Stellung bringen. Die hohe Zahl von Wehrmachtoffizieren gab Anlass zu der Sorge, dass in Pullach der deutsche Generalstab verdeckt überlebte. Die neu gegründete zivile Central Intelligence Group, aus der 1947 die Central Intelligence Agency (CIA) hervorging, teilte zunächst solche Vorbehalte und erkannte zu Recht, dass in Pullach zwei Projekte parallel liefen: Denn in der Tat versammelte Gehlen um sich ehemalige Generalstabsoffiziere, die bei Weitem nicht alle einen nachrichtendienstlichen Hintergrund besaßen. Damit bildete der Aufklärungsdienst zugleich ein Reservoir für den vorerst nicht absehbaren, bei den Offizieren aber für früher oder später wahrscheinlich gehaltenen Wiederaufbau einer bewaffneten deutschen Macht.
Entscheidend aus amerikanischer Sicht war allerdings, dass die CIA als ziviler Geheimdienst an politisch-strategischem Wissen und nicht an militärischen Fakten aus der Graswurzelperspektive interessiert war. Doch als 1946/47 deutlich wurde, dass sich die Sowjetunion zum weltpolitischen Gegenspieler wandelte, begannen auch die US-Geheimdienste allmählich, die militärischen Kenntnisse von Gehlens Leuten zu schätzen. Wichtiger noch, die Agency erkannte die Möglichkeit, mit den Informationen aus deutscher Hand die eigene Stellung gegenüber dem State Department wesentlich zu verbessern und mit dem militärischem Sachverstand des deutschen Dienstes auch gegenüber dem Pentagon zu punkten. Die Army musste dagegen einsehen, dass die Kosten für die Pullacher Aufklärer längst die eigenen finanziellen Möglichkeiten überstiegen: Für das Finanzjahr 1950 beanspruchten die Deutschen ein Budget von 12 Millionen Dollar, in Europa standen der Army für diese sogenannten G2-Geschäfte aber überhaupt nur 2,6 Millionen Dollar zur Verfügung. Im Juli 1949 schließlich übernahm die CIA nach längerem Ringen in Washington den deutschen Aufklärungsdienst.
Wegeners Arbeit bringt mehr Licht in das Dunkel der frühen Jahre der "Organisation Gehlen" - ein Name, der erst im Nachhinein von dem CIA-Berater James Critchfield Ende 1948 geprägt wurde, nicht von der U.S. Army und nicht von Gehlen selbst. Dessen Geschick, sich gegenüber seinem internen Konkurrenten Baun durchzusetzen, die Zügel innerhalb des Dienstes in der Hand zu halten und sich im politischen Bonn als der richtige Mann für die Leitung der westdeutschen Spionage zu positionieren, bleibt unbestritten. Aber zwischen 1945 und 1949 war er nicht das mastermind, das über das Schicksal des Dienstes bestimmte, wie es Gehlen später selbst gerne darstellte. Er profitierte allerdings von der inneramerikanischen Kontroverse um Kontrolle und Zukunft des deutschen Apparates.
Eine Reihe von naheliegenden Schlussfolgerungen führt den Autor zu neuen Interpretationen auch im Detail. Die quellengestützte Beweisführung muss hier und da noch ausgeweitet werden, das Thema ist nicht ausgeschöpft. Aber um zu verstehen, was sich in Pullach abspielte, muss der Historiker künftig verstärkt darauf achten, was eigentlich hinter den Kulissen in Washington geschah.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Donald Steury (ed.): On the Front Lines of the Cold War. Documents on the Intelligence War in Berlin, 1946 to 1961. Washington (D.C.) 1999; James H. Critchfield: Partners at the Creation. The Men Behind Postwar Germany's Defense and Intelligence Establishment, Annapolis 2003; Timothy Naftali: Reinhard Gehlen and the United States, in: Richard Breitmann (et al.): U.S. Intelligence and the Nazis, Washington (D.C.) 2004, 375-418.
[2] Vgl. Wolfgang Krieger: US patronage of German postwar intelligence, in: Loch K. Johnson (ed.): Handbook of Intelligence Studies, London/New York 2007, 91-102.
Armin Wagner