Christian Freigang: Meisterwerke des Kirchenbaus (= Reclams Universal-Bibliothek; Nr. 18599), Stuttgart: Reclam 2009, 343 S., mit 151 Abbildungen und 96 Grundrissen, ISBN 978-3-15-018599-5, EUR 8,80
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Wer einen Überblick zur Architekturgeschichte und Hauptwerken einzelner Epochen gewinnen will, findet auf dem Buchmarkt eine große Auswahl. Mittlerweile sind einige Verlage entsprechend den verschiedenen Bauaufgaben dazu übergegangen, ausgewählte Objektgruppen wie mittelalterliche Klöster, Burgen oder Pfalzen in Überblicken darzustellen. Was liegt also näher, sich auch dem Kirchengebäude intensiver zu widmen?
Seit der Spätantike gibt es in der europäischen Architekturgeschichte wohl kaum eine bedeutendere Bauaufgabe als den christlichen Kirchenbau. Seine Tradition reicht zurück bis in das 4. Jahrhundert, in der das Christentum zur Staatsreligion des Römischen Reiches erhoben wurde. Als Kultbauten der neuen Religion besaßen die Kirchen höchste Priorität und bedeuten bis heute für Architekten Bauaufträge von besonderem Reiz. Im Kirchenbau manifestieren sich künstlerische wie auch technologische Spitzenleistungen, verbunden mit dem Repräsentationsanspruch und der Leistungsfähigkeit einzelner Institutionen und ganzer Gesellschaftszweige. Diese Bedeutung verlor der Sakralbau stückweise seit der Aufklärung und steht heute gleichberechtigt neben dem Profanbau.
Es erstaunt nicht, wenn ein renommierter Kunst- und Architekturhistoriker wie Christian Freigang sich dieser klassischen Baugattung annimmt. Seine breite Kenntnis der mittelalterlichen wie der modernen Architektur kamen dem Professor für Kunstgeschichte an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main bei der Erstellung seiner immerhin 150 Objekte umfassenden Zusammenstellung zugute. Das Büchlein, erschienen in der "Universal-Bibliothek" des Reclam-Verlags, kommt in der klassischen Aufmachung daher und steht in einer Reihe mit vergleichbaren Übersichtswerken. So erschienen im gleichen Verlag bereits ähnliche Publikationen zu den "Meisterwerken" [1] und den "Klassikern" [2] der Architektur. Die jetzige Konzentration auf das Kirchengebäude erinnert an Versuche, eine Differenzierung der Gattung Architektur in ihre vielen kleinen Verästelungen vorzunehmen. Diesen an Formen und Funktionen orientierten, vielversprechenden Ansatz verfolgte jüngst Ernst Seidl in seinem "Lexikon der Bautypen". [3]
Freigang widmet jeder der von ihm ausgewählten Kirche eine Doppelseite. Dabei stehen Großbauten wie der Kölner Dom gleichberechtigt neben wesentlich kleineren Projekten wie Peter Zumthors Kapelle Sogn Benedetg in Somvix (Graubünden/CH). Die linke Bildseite zeigt entweder eine Innenraumaufnahme oder das Äußere der Kirche, häufig ergänzt durch recht kleine, maßstabslose Grundrisse. Leider bieten die Reclam-Hefte keine gute Abbildungsqualität, was den Genuss ein wenig schmälert, den Leser aber vielleicht dazu motiviert, das eine oder andere Objekt vor Ort aufzusuchen. Die rechte Textseite führt die wichtigsten Daten zur Baugeschichte an, die aus Platzgründen sehr knapp gehalten sind. Dieser Chronologie folgt eine kurze Beschreibung und Würdigung des Baues. Dabei ist die architektonische Qualität der ausgewählten Bauten gleichbleibend hoch und verdeutlicht dem Leser den Bautypus Kirche in der Vielgestaltigkeit seiner Objekte über die Epochen hinweg.
Mit seiner repräsentativen Gesamtschau auf den europäischen Kirchenbau gibt Freigang sowohl dem architekturhistorischen Laien als auch dem Studentenanfänger einen ersten Überblick. Folglich stellt sich nicht die Frage ob nun Speyer, Mainz oder Worms für die romanische Architektur, oder gar Chartres, Reims oder Amiens für die französische Hochgotik am aussagekräftigsten sind. Freigang bleibt mit seiner Darstellung auf einem allgemein verständlichen Niveau, was für eine derartige Zusammenschau nachvollziehbar ist, auch wenn im Literaturverzeichnis Schriften aufgeführt sind, die seine tiefer gehende Kenntnis der aktuellen Forschungslage dokumentieren. Anspruchsvoller hätte dagegen zumindest die mit gut zwölf Seiten sehr knapp und zu allgemein gehaltene Einführung ausfallen können, um Form und Funktion von Kirchenbauten im Wandel der Zeit stärker herauszuarbeiten. Beispielsweise die Rolle der Liturgie oder die Bedeutung einzelner Bauteile, beide konstitutiv für jede Kirche, werden von Freigang nicht explizit herausgearbeitet. Dieses Manko wird jedoch bei der Betrachtung einzelner Kirchen teilweise kompensiert.
Ohne Übertreibung kann man Freigangs Überblick als ein Nebenprodukt seiner architekturhistorischen Forschungen und Interessen bezeichnen. Mit Blick auf interessierte Laien und Studienanfänger besitzt das Buch seine Qualitäten und ermöglicht einen komprimierten Blick auf zwei Jahrtausende europäischer Kirchenbaugeschichte. Und doch fragt man sich, ob es denn eines solchen Überblicks zwingend bedurfte? Angesichts der Reichhaltigkeit des architektonischen Erbes in Europa bieten sich für derartige Darstellungen durchaus andere, ebenso reizvolle und vielleicht auch zeitgemäßere Bauaufgaben an. Blicken wir also erwartungsvoll in die Zukunft und freuen uns auf vergleichbare Publikationen zu "Meisterwerken der Industriebaukunst" oder "Klassikern des Museumsbaus".
Anmerkungen:
[1] Günter Baumann: Meisterwerke der Architektur, 3. Aufl. Stuttgart 2007.
[2] Boris von Brauchitsch: Klassiker der Architektur, Stuttgart 2009.
[3] Ernst Seidl: Lexikon der Bautypen. Funktionen und Formen der Architektur, Stuttgart 2006.
Ralf Dorn