D.G. Tor: Violent Order. Religious Warfare, Chivalry, and the 'Ayyār Phenomenon in the Medieval Islamic World (= Istanbuler Texte und Studien; Bd. 11), Würzburg: Ergon 2007, 318 S., ISBN 978-3-89913-553-4, EUR 58,00
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D. G. Tor beabsichtigt mit ihrer Studie, den Begriff der 'Ayyārān im mittelalterlichen Islam neu zu definieren. Dabei geht sie von der These aus, dass diese Gruppe einen größeren Einfluss auf die islamische Welt hatte als bisher angenommen. Als Ursache nimmt sie an, dass man in der Forschung die Geschichte der Bewegung vernachlässigt und das Phänomen selbst missverstanden hat. Auch vertritt Tor die Auffassung, dass es spätestens ab dem 10. Jahrhundert ein ideologisches Element der Ritterlichkeit bei den 'Ayyārān gab.
Bisher wurden die 'Ayyārān im Wesentlichen unter zwei Gesichtspunkten betrachtet: einerseits als Kämpfer an der Seite des Kalifen al-Amīn im Bürgerkrieg 811-813 und andererseits als Gründer der Ṣaffāriden-Dynastie im Hindukusch. Diese Studien sehen die 'Ayyārān weitgehend negativ, wobei sie sich zumeist auf eine einzige Quelle stützen. Hierbei handelt es sich um die im 19. Jahrhundert von Nöldeke verfasste Kurzbiografie des ersten Ṣaffāriden-Herrschers. Tor nimmt diese Problematik als Ausgangspunkt seiner Forschungsarbeit, die auf einer kritischen Analyse alles Quellen beruht. Dabei betritt sie Neuland, indem sie Chroniken, populäre Lieder und Werke von 'Ulamā' in Arabisch und Persisch berücksichtigt. Letzten Endes gelingt es ihr nachzuweisen, dass der Begriff 'Ayyār vom 9. bis zum 11. Jahrhundert einem Bedeutungswandel unterlag.
Entsprechend geht Tor zunächst den etymologischen Wurzeln des Begriffs anhand arabischer Lexika nach. Sie stellt fest, dass dieser erstmals im 9. Jahrhundert mit Bezug zu Pferden aufkam und meist eine positiv-neutrale Bedeutung hatte. Das folgende Kapitel befasst sich dann mit dem 'Ayyār-Begriff im 9. Jahrhundert. Die Autorin stellt dabei die Rolle des ǧihād im Osten und die Entwicklung einer vom Staat unabhängigen Kriegeraristokratie in Tarsus in den Vordergrund, den Mutaṭawwi'a. Dabei zeigt sie, dass es einen klaren Zusammenhang zwischen diesen Kriegern und der Sunni-Tradition gab, insbesondere durch ihre asketische Haltung und ihre Beziehung zu Proto-Sufis. Tor präsentiert die Mutaṭawwi'a als Vorläufer der 'Ayyārān und charakterisiert sie als freiwillige Krieger. Diese missachteten die etablierte Autorität gänzlich, sahen Gott als ihren alleinigen Befehlshaber und kämpften vor allem gegen die Ḫāriǧiten.
Basierend auf dieser Grundlage präsentiert Tor die 'Ayyārān als Gruppe freiwilliger Religionskämpfer. Sie entstand, weil sich die Regierung ihrer Meinung nach nicht intensiv genug für den ǧihād einsetzte. Als Ausgangspunkt verwendet die Autorin dabei die Quellen zur Biografie des bekanntesten 'Ayyār und Gründers der Ṣaffāriden-Dynastie, Ya'qūb al-Layṯ, und die Viten seiner Nachfolger. Dabei stellt Tor heraus, dass die Mutaṭawwi'a und die 'Ayyārān das gleiche Ziel hatten. Sie wollten Gottes Gesetz im Dār al-Islām im sunnitischen Sinne gegen die Schiiten durchsetzen; es ging ihnen weniger um den ǧihād nach außen. In diesem Sinne bewertet Tor die Auseinandersetzung von Ya'qūb mit dem Abbasidenkalifat neu und zeigt, dass der Machthaber der Ṣaffāriden in den Texten zum "Ideal" eines 'Ayyār stilisiert wird. Auch stellt sie eine eindeutige Verbindung von 'Ayyārān-Aktivitäten mit anti-schiitischen Bewegungen fest, wobei sie mangels Berichten in Quellen davon ausgeht, dass es keine schiitschen 'Ayyārān gab.
Als Ursache für die zunehmend negative Sicht der 'Ayyārān sieht die Verfasserin deren Verbindung zu den Sufis. Darüber hinaus vertritt sie die Ansicht, dass gerade dieses Verhältnis entscheidend für die Ritterlichkeit der Gruppe war. Sie konstatiert, dass man den Futuwwa-Benimm-Kodex als ein gemeinsames Charakteristikum von Sufis und 'Ayyārān ansehen kann. Im Hinblick auf den Aspekt der Gewalt zeigt Tor ferner, dass diese im 10. und 11. Jahrhundert notwendigerweise mit Ritterlichkeit zusammenhing.
Als Ergebnis ihrer Studie kommt Tor zu einer neuen Sicht der 'Ayyārān und den Ṣaffāriden als heiligen Kriegern. Durch ihre umfassende Nutzung und den Vergleich von 'klerikalen' und höfischen Quellen in persischer und arabischer Sprache weist sie nach, dass die 'Ayyārān von ihren Zeitgenossen durchweg positiv gesehen wurden. Dies erklärt sie auch durch ihren engen Bezug zu vielen Proto-Sufis. Ihr negatives Image entstand erst zu einem späteren Zeitpunkt durch ihre Gegner.
Abschließend stellt Tor noch die hochinteressante These auf, dass der 'Ayyārān-Kodex möglicherweise als Vorbild für die europäischen Ritter diente und durch die Kreuzzüge nach Europa gelangt ist.
Das hier vorgelegte Werk von D. G. Tor überzeugt durch die differenzierte Darstellung des 'Ayyār-Phänomens im Mittelalter. Vor allem wird deutlich, wie sehr sich die Konnotation mit dieser Gruppe im Laufe der Jahrhunderte vom Positiven ins Negative wendete. Allerdings fehlt dem Buch ein einleitendes methodisches Kapitel. Auch stellt Tor ihre Thesen nicht eingangs vor, sondern nennt sie erst in den jeweiligen Kapiteln. Beides beeinträchtigt ein wenig die flüssige Lesbarkeit ihrer Studie.
Tonia Schüller