Rezension über:

Ruth Butler: Hidden in the Shadow of the Master. The Model-Wives of Cézanne, Monet, and Rodin, New Haven / London: Yale University Press 2008, xiv + 354 S., ISBN 978-0-300-12624-2, EUR 18,99
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Rezension von:
Barbara Schaefer
Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln
Redaktionelle Betreuung:
Ekaterini Kepetzis
Empfohlene Zitierweise:
Barbara Schaefer: Rezension von: Ruth Butler: Hidden in the Shadow of the Master. The Model-Wives of Cézanne, Monet, and Rodin, New Haven / London: Yale University Press 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 12 [15.12.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/12/14845.html


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Ruth Butler: Hidden in the Shadow of the Master

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Paul Cézanne, Claude Monet und Auguste Rodin gehören heute zweifelsohne zu den berühmtesten Künstlern ihrer Generation. Geboren um die Mitte des 19. Jahrhunderts, hatten alle drei an der Weiterentwicklung von Malerei und Skulptur am Beginn der Moderne entscheidenden Anteil; entsprechend hoch ist der Rang, den ihnen die Kunstgeschichtsschreibung zuweist. Wer aber weiß um Hortense Fiquet, Camille Doncieux und Rose Beuret - die Frauen an der Seite dieser Künstler? Wer weiß um diese Ehefrauen, ohne die es viele Kunstwerke heute gar nicht gäbe, die ihren Gatten so häufig Modell standen, dass ihre Gesichter einem vielleicht vertrauter sind als die Porträts von Cézanne, Monet oder Rodin selbst?

In drei Kapiteln, die den einzelnen Paarkonstellationen (Fiquet und Cézanne, Doncieux und Monet, Beuret und Rodin) gewidmet sind, erzählt Hidden in the Shadow of the Master nun erstmals die Geschichte dieser drei Frauen. Der Autorin Ruth Butler gelingt es, den Frauen, die (von der Kunstgeschichte fast unbeachtet) bislang ganz im Schatten ihrer Ehemänner gestanden haben, ein eigenes Gesicht zu geben - das über das auf Leinwand oder in Marmor gebannte Konterfei weit hinausreicht - und ihren bislang eher flüchtigen Persönlichkeiten Substanz zu verleihen.

Das Buch beleuchtet zudem anschaulich den historischen Kontext, in dem die oben genannten Paarbeziehungen gesehen werden müssen. Denn nicht allein ein im Entstehen begriffener freier Kunstmarkt barg für die Künstler in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neue Herausforderungen; zu einem Zeitpunkt, als sie sich mehr und mehr den Themen des alltäglichen Lebens zuwandten, waren die Künstler zudem gezwungen, sich auf die Suche nach neuen Modellen zu begeben.

Dass dies im Fall von Cézanne, Monet und Rodin ihre Geliebten und späteren Ehefrauen waren, mutet indes fast revolutionär an. Schließlich erwartete man in jener Zeit von einem "wahren" Künstler, dass er sein Leben in inspirierender Einsamkeit fristete; allein dem ungebundenen Einzelgänger mochte man künstlerische Genialität zutrauen. Ein Leben an der Seite einer Frau hingegen schien die Gefahr zu bergen, dass die Banalitäten des Alltagslebens von der "großen Kunst" ablenkten.

Aber nicht genug damit, dass sich die Herren Cézanne, Monet und Rodin überhaupt zu weiblicher Begleitung bekannten: Indem sie ihre Frauen auch noch zu Modellen wählten, gestalteten sie gar die Grenzen zwischen dem häuslichem Bereich und ihrer Kunst fließend!

Vor dem Hintergrund solch zeitgeschichtlicher Aspekte beleuchtet Hidden in the Shadow of the Master die Biografien von drei Frauen, die sich den Gegebenheiten einer stark im Umbruch begriffenen Gesellschaft ebenso stellen mussten wie den Anforderungen, die aus dem Leben an der Seite eines stetig auf der Suche befindlichen künstlerischen Genies erwuchsen. Dabei offenbaren sich weniger Unterschiede denn Parallelen in Bezug auf die Lebensumstände der Frauen.

Alle drei wurden von ihren späteren Ehemännern zufällig auf den Straßen von Paris entdeckt; offensichtlich haben Cézanne, Monet und Rodin die Qualitäten ihrer jeweiligen Muse sofort mit untrüglichem Gespür erkannt. Mithin begannen alle drei Frauen die Beziehung zu ihren späteren Ehemännern als deren Modelle.

Parallelen offenbaren aber auch die weiteren Lebensläufe: Unausweichlich war das Dasein der drei Musen-Frauen fortan mit dem Leben und Schaffen ihrer Künstler-Männer verbunden - dabei größtenteils behaftet mit Ungleichberechtigung. Und mehr noch: Viele der annehmlichen Positionen, die Frauen zur damaligen Zeit durch eine Ehe anstrebten - finanzielle Sicherheit, sozialer Status und Legitimität als verheiratete Frau -, blieben Hortense, Camille und Rose verwehrt.

Rose zumindest, die Rodin nicht nur Modell war, sondern lange Jahre auch als helfende Hand in dessen Atelier wirkte, durfte noch erleben, wie der Ruhm des Meisters stetig wuchs. Weder für Hortense Fiquet noch für Camille Doncieux war es demgegenüber materiell spürbar, dass sie mit zwei der dereinst berühmtesten Maler ihrer Zeit verheiratet waren.

Zudem machten beide - wie auch Rose Beuret - die leidvolle Erfahrung, mit Männern zusammenzuleben, die ihr vordringliches Interesse und ihre ausschließliche Wirkungskraft ihrer Arbeit widmeten. Alle drei Frauen lebten denn auch zeitweise allein mit ihren Kindern und erduldeten zudem andere Frauen im Leben ihrer Ehepartner.

Es sind in der Tat interessante Details, die sich dem Leser eröffnen, und er gewahrt tiefen Einblick in die Einzigartigkeit der jeweiligen Beziehungen. Wie stark Hortense, Camille und Rose - jede auf ihre Weise - die Bemühungen ihrer Männer zu unterstützen und zu fördern vermochten, ist dabei eine neue Erkenntnis.

So argumentiert Butler, dass Cézanne, Monet und Rodin in Gestalt ihrer Frauen Modelle fanden, deren Gesichter respektive Figuren etwas Besonderes auszusagen imstande waren - Aussagen, die zu treffen die Künstler anderweitig nicht befähigt gewesen wären. "These women", schreibt Butler, "weren't just models; they brought a whole spectrum of feelings with them, giving their husbands' art emotional texture and substance, contributing elements for art as important as the light in which a scene is bathed, the space where an object sits, or movements that provide real character in a scene or to a figure." (XIV)

Hidden in the Shadow of the Master macht mithin anschaulich, welchen wesentlichen Anteil die Frauen an den künstlerischen Errungenschaften ihrer Ehemänner hatten, und bietet daneben zahlreiche neue Ansätze zur Deutung längst bekannt geglaubter Bildwerke. Tatsächlich liefert Ruth Butler gute Gründe, die Werke von Monet, Cézanne und Rodin erneut einer genauen Betrachtung zu unterziehen, indem ein jeder Blick neue Erkenntnisse eröffnet - und damit ein Stück der verloren geglaubten Persönlichkeiten von Camille, Hortense und Rose ans Licht bringt. [1]

Während Biografien großer Künstlerpersönlichkeiten meterweise die Regale der Bibliotheken füllen, ist selten ein Buch in der Hauptsache der Lebensgeschichte eines ihrer Modelle gewidmet worden. Entsprechend trägt Hidden in the Shadow of the Master dazu bei, eine eklatante Lücke innerhalb der Forschung zu schließen, indem es die Biografien gleich drei solcher Modelle behandelt - mit dem Anspruch, den individuellen Charakteren der drei Frauen gerecht zu werden und ihre persönlichen Leistungen als "model-wives" zu würdigen.

Dass dabei nicht wenige Aussagen allein auf der Vorstellungskraft der Autorin beruhen (die sich vielfach nur auf Sekundärliteratur berufen kann, wo Primärquellen schlichtweg fehlen), macht die Darstellung nicht weniger faszinierend - dank der reifen Intuition und schlüssigen Interpretation Ruth Butlers. Entsprechend sind ihre Folgerungen einleuchtend, die Thesen nachvollziehbar; Worte wie "möglicherweise" und "sicherlich" dürfen jedoch nicht überlesen werden. Gleichwohl hat Butler intensive Recherchearbeit geleistet; angesichts des umfangreichen Materials darf man von beispielhafter Forschungsarbeit sprechen.

Zu hoffen bleibt, dass die Publikation nicht vorrangig dahingehend Wertung erfährt, bislang unberücksichtigte Aspekte in Bezug auf Leben und Schaffen Monets, Cézannes und Rodins zu beleuchten - womit nämlich einmal mehr die Persönlichkeiten der genannten Künstler in den Fokus rücken und diejenigen von Camille, Hortense und Rose erneut überschattet würden. Dass diese "stummen Musen" aus eigenem Recht eine würdigende Darstellung verdienen, macht Hidden in the Shadow of the Master deutlich.


Anmerkung:

[1] Wohlgemerkt sind nicht alle Bildwerke, in denen wir Camille, Hortense und Rose wiedererkennen, tatsächlich als Porträts aufgefasst; vielfach dienen die drei Frauen in ihrer Gestalt als Verkörperung bestimmter Charaktere.

Barbara Schaefer