Wolfgang Benz: Auftrag Demokratie. Die Gründungsgeschichte der Bundesrepublik und die Entstehung der DDR 1945-1949, Berlin: Metropol 2009, 528 S., ISBN 978-3-940938-42-8, EUR 29,90
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Stefan Berger / Burkhard Dietz / Helmut Müller-Enbergs (Hgg.): Das Ruhrgebiet im Fokus der Westarbeit der DDR, Essen: Klartext 2020
Mathias Uhl: Die Teilung Deutschlands. Niederlage, Ost-West-Spaltung und Wiederaufbau 1945-1949, Berlin: BeBra Verlag 2009
Andreas Malycha / Peter Jochen Winters: Die SED. Geschichte einer deutschen Partei, München: C.H.Beck 2009
Wolfgang Benz (Hg.): Antisemitismus in der DDR. Manifestationen und Folgen des Feindbildes Israel, Berlin: Metropol 2018
Wolfgang Benz: Sinti und Roma: Die unerwünschte Minderheit. Über das Vorurteil Antiziganismus, Berlin: Metropol 2014
Wolfgang Benz / Michael F. Scholz: Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte Band 22. Deutschland unter alliierter Besatzung 1945-1949, Die DDR 1949-1990, Stuttgart: Klett-Cotta 2009
Wolfgang Benz verfolgt mit seiner jüngst erschienenen Monographie das Ziel, im geschichtsträchtigen Jubiläumsjahr 2009 die "in den Schatten gedrängte Kenntnis über die Entstehungs- und Gründungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland (BRD) wie der Deutschen Demokratischen Republik (DDR)" wieder hervorzuholen. Benz kritisiert, dass sich in der öffentlichen Meinung die "griffige Metapher von der 'Stunde Null'", die sich vom Zusammenbruch des NS-Regimes im Mai 1945 bis zu den beiden Staatsgründungen im September bzw. im Oktober 1949 ausgedehnt haben soll, zur "bequemen Legende" (9, 478) geworden sei. Die Entwicklung im Vier-Zonen-Deutschland unter alliierter Besatzungsherrschaft "wäre dann reduziert auf den vermeintlich selbstverursachten Wiederaufbauerfolg im Westen" und die "selbstgefällige moralische Überlegenheit im Osten" (9), mit dem "praktizierten Antifaschismus" die richtigen Lehren aus der Geschichte gezogen zu haben. Die unangenehmen Assoziationen der Besatzungszeit - Hunger und Flüchtlingsnot, Demontage und Entnazifizierung, Demut, Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit bei den Deutschen - würden lieber verdrängt als wahrgenommen. Auf alliierte Weisung nämlich wurde in Deutschland Demokratie gegründet: im Westen durch Wahlen, durch legitimierte parlamentarische Repräsentation, im Osten als "antifaschistisch-demokratisches" Ordnungsmodell auf Weisung Moskaus. Damit seien aber, so Benz, die Ergebnisse der beiden Staatsgründungen noch nicht vorweggenommen, weder der ökonomische und politische Erfolg der BRD noch das Scheitern der DDR: "Nach unterschiedlichen Konzeptionen ins Leben getreten, hatten beide deutsche Staaten die Chance des Neubeginns [...] Aber weder war die BRD zum Restaurationsregime determiniert noch musste die DDR sich zwangsläufig zur stalinistischen Diktatur entwickeln." (10)
Wolfgang Benz will mit seinem Buch die dramatischen Entstehungsbedingungen, die politischen und ökonomischen Strukturen der beiden Staatsgründungen nachzeichnen und damit einer "Legenden- und Mythenbildung" (10, 477) entgegenwirken. In sieben Kapiteln - Besatzungsherrschaft 1945/46, Bizone, Marshallplan und Währungsreform im Westen, Volkskongreßbewegung und Berlin-Blockade im Osten, Weg zum Grundgesetz, Bundestagswahlkampf, zwei Staatsgründungen - wird dargestellt, wie sich auf vielen Handlungsebenen Wiederaufbau und Neubau im Vier-Zonen-Deutschland unter alliierten Vorgaben und Kontrollen vollzog.
Der rechtsstaatliche Weg wurde den Deutschen im Westen von den Westalliierten förmlich aufgedrängt, so Benz. Es habe einen "Auftrag Demokratie" gegeben, dem oft westdeutscher Widerstand entgegentrat. Ein Beispiel dafür war die Neugestaltung des Rundfunksystems, das die Alliierten gegen die deutschen Vorstellungen einführten und über dessen Funktionieren sie bis 1955 wachten. Die (West)deutschen wollten zwar ein Art "Propagandaministerium" vermeiden, konnten sich einen öffentlichen Rundfunk ohne staatliche Kontrolle jedoch nicht vorstellen. Aus Großbritannien und den USA wurde das Konzept der Unabhängigkeit des Rundfunks vom Staat und die Dezentralisierung der Sender und Radiostationen eingeführt. Für öffentlich-rechtliche Anstalten, die nicht dem Zugriff des Staatsapparates ausgesetzt waren, gab es in Deutschland keine Vorbilder. In der SBZ entwickelte die SMAD hingegen den Rundfunk zur Lenkung der öffentlichen Meinung; die Kontrolle des zentralisierten Mediums erfolgte dann durch eine Abteilung der Ost-Berliner SED-Zentrale.
Auch angesichts des alliierten Auftrags zur Weststaatsgründung (Frankfurter Dokumente) sowie bei den Beratungen und der Verabschiedung des Grundgesetzes als Verfassung eines westdeutschen Staates regte sich zunächst Widerstand bei allen Parteienvertretern: Westdeutsche Politiker wollten das Odium und die Verantwortung der Spaltung Deutschlands nicht auf sich nehmen.
Irritierend bei der Lektüre der Studie sind Sätze bzw. ganze Absätze, die wortwörtlich an verschiedenen Stellen der Darstellung wiederholt werden (95, 96, 98, 141, 144, 217 usw.). So schien Benz der halbseitige Absatz - die rhetorische Frage und Antwort danach, warum es von Seiten der Deutschen gegen die Besatzungsmächte nirgendwo und nirgendwann zu nennenswerten Aktivitäten, Sabotage oder Widerstandshandlungen gekommen sei - so wichtig, dass er zwei Mal in verschiedenen Zusammenhängen auftaucht (95, 217).
Während der Weg zur Errichtung der Bundesrepublik detailliert, faktenreich und archivgestützt erörtert wird - u. a. lassen längere Zitate von Zeitzeugen auch einen Blick auf die deutsche Befindlichkeit unter der Besatzung zu -, gilt dies für die dargestellten Ereignisse sowie die politisch Handelnden in der SBZ nicht. Nicht nur quantitativ gesehen geht Benz allzu schnell und undifferenziert über die ostdeutsche Nachkriegsgeschichte hinweg, auch seine Literaturnachweise verwundern. [1] Der Leser gewinnt den Eindruck, als habe der Autor die Forschungsliteratur zur SBZ/DDR-Geschichte der letzten zwanzig Jahre nicht wahrgenommen. An verschiedenen Textstellen behauptet er sogar, es existieren noch keine Forschungsergebnisse über bestimmten Themenfelder - wie über die Schaffung und Stalinisierung der SED, über den Gründungsprozess der DDR oder zur ostdeutschen Verfassungsdiskussion. In einem anderen Textabschnitt wird erklärt, die Höhe der Reparationsleistungen aus der SBZ an die Sowjetunion sei unbekannt, um dann einige Seiten weiter darüber zu referieren und neue Forschungsliteratur anzugeben! Memoiren von ostdeutschen oder sowjetischen Politikern werden ebenso wie Biographien über diese nicht berücksichtigt.
Wolfgang Benz fasst mit seinem neuen Buch Ergebnisse aus drei Jahrzehnten eigener Forschung zur deutschen Nachkriegsgeschichte zusammen. Die Studie ist sicher ein Standardwerk zur Vorgeschichte der Bundesrepublik. Als Standardwerk zur Gründungsgeschichte der DDR kann es hingegen nicht bezeichnet werden.
Anmerkung:
[1] Oft zitiert Benz: Autorenkollektiv unter Leitung von Rolf Badstübner: Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin (Ost) 1981; Rolf Badstübner: DDR. Werden und Wachsen. Zur Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik, Frankfurt a. M. 1975; Wolfgang Meinicke: Die Entnazifizierung in der sowjetischen Besatzungszone 1945 bis 1948, in: ZfG 32 (1984), 968-979; Hermann Weber, Geschichte der DDR, München 1985.
Heike Amos