Klaus Militzer (Hg.): Stadtkölnische Reiserechnungen des Mittelalters (= Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde; LXXV), Köln: Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 2007, LIX + 639 S., ISBN 978-3-7700-7628-4, EUR 81,00
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In der hier besprochenen voluminösen Edition publiziert Klaus Militzer 125 Abrechnungen von Reisen stadtkölnischer Amtsträger aus dem Zeitraum ca. 1394-1506/07, von denen einige der Forschung in älteren Drucken zwar bereits bekannt waren, nun aber in korrigierter und genauerer Form vorliegen. Das überaus reiche Material wird von Militzer in einer längeren Einleitung, in der die Reisepraxis geschildert wird, ausführlich vorgestellt, auch wenn die intensive Erforschung des Boten- und Gesandtenwesens der vergangenen Jahre etwas kurz wegkommt (XIII, Anm. 14 wird nur auf den 1985 von Peter Moraw herausgegebenen Band Unterwegssein im Spätmittelalter hingewiesen). Dieses mindert aber nicht die Bedeutung der Edition der Rechnungen, die zudem durch ein ausführliches Glossar der volkssprachlich-ripuarischen Ausdrücke, ein Orts- und Personenregister sowie ein genaues Sachregister erschlossen werden, so dass man schnell beispielsweise Hinweise zu den zu Unrecht oft vergessenen Herolden und Poursuivants findet oder zur heraldischen Repräsentation, wenn die Gesandten das Köhler Wappen an ihrer Herberge anschlagen lassen.
Die meisten Rechnungen sind nicht besonders ausführlich. Doch gibt es auch einige längere Texte, aus denen ersichtlich wird, dass die Reisegesellschaften zu Beginn mit einer Kasse ausgestattet wurden, aus der die Ausgaben während der Reise bestritten wurden, und über die bei der Rückkunft abgerechnet wurde, wobei manches Mal ein Fehlbetrag ausgeglichen werden musste. Immer wieder findet man Kosten für Lebensmittel- und Brennstoffeinkauf, Fähren, Treidler, Geleitsmänner, Herbergen, Pferdefutter usw., die weite Einblicke in die materielle Alltagskultur erlauben. Einige Rechnungen sind in der 1. Pers. Sg. gehalten, so dass deutlich wird, dass wirklich der Reisende bzw. der Kassenführende abrechnete.
Den Auftakt machen gleich zwei Reisen nach Rom (1, Nr. 1, und 2-6, Nr. 2), doch bleiben solche Fernreisen spektakuläre Ausnahmen. Die meisten Rechnungen betreffen Gesandtschaften nach Bonn oder Koblenz oder andere Ziele im niederrheinischen Raum. Von Interesse für die allgemeine Geschichte sind besonders die Reisen, die im Zusammenhang mit den großen politischen Ereignissen der Zeit stehen. So gibt es mehrere Reisen zum Konstanzer Konzil 1415 und 1417 (31-60, Nr. 4, 60f., Nr. 5, 74-84, Nr. 8 und 85-98, Nr. 9) und zum Basler Konzil 1433/1434 und 1434 (229-250, Nr. 35, 250-277, Nr. 36), zum Frankfurter Wahlreichstag 1442 (317-334, Nr. 46), zum bedeutenden Lübecker Hansetag 1447 (374-388, Nr. 60) und mehrere andere. Die Abrechnungen der Reisen nach Wien zu König Friedrich III. im Jahr 1448 sind wiederum knapp gehalten (389-393, Nrr.61-63).
Die systematische Betrachtung des historisch-politischen Kontexts hätte den Umfang des ohnehin bereits stattlichen Bandes sicherlich noch weiter anschwellen lassen, so dass der Herausgeber sich dafür entschieden hat, dieses außen vor zu lassen, weswegen man auch keine biographischen Hinweise zu einzelnen Gesandten findet, allenfalls knappe Bemerkungen über Amtsjahre. Unter ihnen befinden sich jedoch bedeutende Personen der Stadtkölner Geschichte wie beispielsweise der Bürgermeister und Hansepolitiker Gerhard von Wesel (zu ihm 543, Anm. 2831, die Reise zum Lübecker Hansetag 1487 betreffend, 543-545, Nr. 116).
Besonders interessant ist meines Erachtens die Abrechnung eines Boten, die höchstwahrscheinlich sogar von dem Boten selbst geschrieben wurde. Derartige Texte sind nicht besonders häufig. Es handelt sich dabei um den letzten Text der Sammlung (551-554, Nr. 125), in dem gleich eine Vielzahl von Reisen summarisch verzeichnet wurden, so nach Düren, in die Eifel, nach Augsburg, Mainz, Koblenz, Bonn, mehrmals nach Antwerpen usw. Die Rechnung ist nicht datiert, kann aber wegen der erwähnten Ratsherren, die den Boten bezahlten, zeitlich auf die Jahre 1506 oder 1507 eingegrenzt werden. Die jeweilige Dauer wird in Tagen angegeben. Für eine Interpretation ist zu berücksichtigen, dass damit wohl nicht die faktische Reisezeit gemeint ist, sondern auch der eventuell längere Aufenthalt am Zielort eingeschlossen ist. Zehn Tage dauerte beispielsweise die Reise nach St. Hubert in den Ardennen, umb zo vernemen na den Frantzosen (552). Als Hypothese sei formuliert, dass die Stadtobrigkeit bzw. einer der Bürgermeister oder Ratsherren den Boten gezielt zum Wallfahrtsort der (Jäger und) Adeligen entsandt hatte, wo man sich allerlei von den Rüstungsplänen Ludwigs XII. zu erzählen wusste und so einen Informationsvorsprung vor der bei Lichte betrachtet eigentlich doch auch gut vernetzten Stadt Köln hatte.
Dergleichen Vermutungen bleiben gewiss zu prüfen. Hoffentlich finden sich bald interessierte Historikerinnen und Historiker, die sich dieser viel versprechenden Quellen annehmen.
Harm von Seggern