Rezension über:

Mikael Hård / Thomas J. Misa (eds.): Urban Machinery. Inside Modern European Cities, Cambridge, Mass.: MIT Press 2008, viii + 351 S., ISBN 978-0-262-08369-0, GBP 29,95
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Rezension von:
Imke Sturm-Martin
Köln
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Imke Sturm-Martin: Rezension von: Mikael Hård / Thomas J. Misa (eds.): Urban Machinery. Inside Modern European Cities, Cambridge, Mass.: MIT Press 2008, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 1 [15.01.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/01/14301.html


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Mikael Hård / Thomas J. Misa (eds.): Urban Machinery

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Eine Universalgeschichte der Modernisierung aus der europäischen Stadtentwicklung erzählt? Kein Problem, liest man die Einleitung zu diesem Band: Die europäische Stadt ist Dreh- und Angelpunkt der Moderne, Städte werden neu gegründet für den Tourismus im 19. Jahrhundert, sie sind Motor technischer Neuerungen mit U-Bahn-Bau und Elektrifizierung bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein, Spiegel des wachsenden amerikanischen Einflusses in der Nachkriegszeit und natürlich Schauplätze der Weltgeschichte - Berlin für den Kalten Krieg zwischen Luftbrücke und Mauerfall, Rom zwischen Mussolinis "Marsch" und den Römischen Verträgen. Hård und Misa, beide ausgewiesen im Bereich der modernen Technikgeschichte, beschreiben die europäische Stadt als Schauplatz und Sinnbild der Auseinandersetzung zwischen Modernisierung und Tradition.

So weit, so nachvollziehbar, doch ein Spannungsbogen für die angekündigte Enthüllungsgeschichte - "Inside modern European cities" - will aus der Einleitung heraus nicht entstehen. Worin genau besteht die "technologische" Dimension der modernen Stadt, die hier untersucht wird? Die zwölf Beiträge befassen sich mit interessanten, aber auf den ersten Blick sehr disparaten Themen, und die Zuordnung zu vier Abschnitten wirkt teilweise genauso erzwungen wie die Alliterationen in den wenig aussagekräftigen Abschnittstiteln ("Modernism and Mastery"; "Representation and Reform"; "Industry and Innovation"; "Planning and Power"). Es geht um Kanalisation und Straßenbau, um die Industriestadt im Sozialismus und die Wissenschaftsstadt nach amerikanischem Modell, um die Entwicklung von Konsumstädten seit dem 19. Jahrhundert bis zur umweltgerechten Stadtplanung der Gegenwart. Der große Zeitraum, mehr noch der große geografische Raum sind für die Schaffung eines thematisch einheitlichen Bandes Herausforderung genug. Kombiniert mit den vielen verschiedenen Aspekten, die Hård und Misa in ihrem Verständnis der "technologischen" Dimension vereinen, wäre dieser Ansatz geeignet, jeglichen roten Faden zum Verschwinden zu bringen. Das ist zum Glück nicht der Fall, vielmehr addieren sich die so unterschiedlichen Beispiele und Ansätze zu einem dichten Panorama der europäischen Stadtentwicklung der vergangenen 150 Jahre, den "joint effort" widerspiegelnd, in dem dieser Band laut Vorwort von den beteiligten international vernetzten Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen über mehrere Jahre hinweg geschrieben worden ist. "This is not a typical 'conference volume'", konstatieren die Herausgeber im Vorwort, und sie bieten tatsächlich eine konsistent redigierte, thematisch schlüssige Zusammenstellung von durchgängig qualitätsvollen Beiträgen, die in ihrer Lesbarkeit einer Monografie kaum nachsteht und aus der Expertise von dreizehn Stadtforschern schöpft.

Dabei lassen sich zwei Leitfragen identifizieren: 1. Welche internationalen Einflüsse, Vernetzungen und Vorbilder prägten innerhalb Europas und darüber hinaus die Akteure der Stadtplanung? 2. Wo kann die Wechselwirkung von gesellschaftlicher und politischer Entwicklung und "technologischer" Entwicklung der Stadt verortet werden? Anhand der Eckkonzepte der "circulation" als Verbreitung neuer technischer Systeme und Praktiken über den europäischen Raum sowie der "appropriation", dem Prozess der lokalen Aneignung und Einpassung der Systeme und Praktiken in einzelnen Städten, wird das Spannungsfeld zwischen wachsender Gleichheit durch technische Entwicklung und kultureller Differenzierung ausgelotet. Die Breite des Zugriffs auf diese Themen ist beeindruckend, und die meisten Beiträge liefern für mehr als eine der Leitfragen neue Aspekte.

Die internationale Dimension der Stadtplanung durchzieht als wichtiges Leitmotiv alle Beiträge des Bandes. Für die Neugestaltung Istanbuls werden seit dem späten 19. Jahrhundert französische Ingenieure und Architekten herangezogen, in der Bewertung von Noyan Dinçkal eher Ausdruck des großen Interesses osmanischer Eliten an urbaner Modernisierung denn Beleg einer von außen aufgezwungenen Dominanz westlicher Muster. Ganz Europa scheint sich in der Zeit der beschleunigten Modernisierung der Städte in regem Austausch zu finden, niederländische Ingenieure suchen im Ausland nach den passendsten Modellen technischer Modernisierung für die heimischen Städte (Hans Buiter), europäische Architekten gründen 1928 den Verband CIAM, der mit Schlüsselfiguren wie Le Corbusier und Giedion einen Modernismus mit regionalen Varianten - Beispiele sind hier tschechische und niederländische Interpretationen - vertritt (Thomas Misa). Wie sich die Einrichtung von Gas- und Elektrizitätsversorgung in europäischen Städten darstellte, beschreibt Dieter Schott. Als europäisch übergreifende Entwicklung ordnet Paolo Capuzzo in seinem Beitrag zur europäischen Stadt als Konsumzentrum nicht nur die Architektur des Konsums von der Arkade zum Kaufhaus, sondern auch den Städtetourismus ein und beschreibt die touristische Urbanisierung vom mitteleuropäischen Kurort des 19. Jahrhunderts bis zur Costa del Sol der 1970er-Jahre. Blicken amerikanische Stadtreformer während der 'Progressive Era' noch mit Bewunderung auf die modernen europäischen Städte (Mikael Hård und Marcus Stippak), kopieren in der zweiten Jahrhunderthälfte europäische Planer Elemente der amerikanischen Stadt, insbesondere die Idee der autogerechten Stadt, deren Umsetzung in Stockholm auf Kosten typisch europäischer Strukturen Per Lundin beschreibt. Auch für die Gründung des Wissenschaftsstandorts Garching und das entsprechende Stadtmarketing ist der amerikanische Einfluss bedeutend, wie Martina Heßler ausführt. Selbst jenseitig des "Eisernen Vorhangs", im sozialistischen Osteuropa, ist eine Vernetzung nach Westen die Voraussetzung für einige Architekten in Ungarn, gegen die Moskauer Direktiven eigene stadtplanerische Vorstellungen umzusetzen (Pál Germuska). Das gelingt nicht überall, wie Dagmara Jajeśniak-Quast am Beispiel von Stalinstadt / Eisenhüttenstadt (DDR), Nowa Huta (Polen), und Kunčice (Tschechoslowakei) zeigt, deren "sozialistisches" Stadtleben den sowjetischen Plänen gemäß weitgehend bestimmt war von der ansässigen Stahlindustrie. Im 19. Jahrhundert hingegen ermöglicht der technische Fortschritt die Ausdehnung der Rheinschifffahrt nach Süden, aber erst die Interaktion von kommunalen, regionalen und nationalen Akteuren schafft zunächst für Mannheim, dann für Strasbourg und schließlich für Basel neue Entwicklungsmöglichkeiten (Cornelis Disco). Für die Gegenwart identifiziert Andrew Jamison in der Nachhaltigkeit ein wichtiges neues Thema moderner Stadtplanung. Seine kritische Bewertung zeitgenössischer urbaner Architektur (Calatravas "Turning Torso" in Malmö) steht im Gegensatz zur historischen Stimmung der Begeisterung an der Moderne, die in einigen Beiträgen des Bandes aufblitzt.

Ob Nachhaltigkeit und Urbanität sich als ähnlich schwer vereinbar erweisen wie technische Stadtentwicklung und Traditionsbewusstsein, kann der Band nicht klären. Am Ende bleibt es Sache des Lesers, der Kategorie "Europa" in diesem Zusammenhang eine vertiefte Dimension zu geben, auch wenn der vorliegende Band denkbar gut auf diese Aufgabe vorbereitet.

Imke Sturm-Martin