Wolfgang Ruppert / Christian Fuhrmeister (Hgg.): Zwischen Deutscher Kunst und internationaler Modernität. Formen der Künstlerausbildung 1918 bis 1968, Weimar: VDG 2007, 260 S., ISBN 978-3-89739-583-1, EUR 29,80
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Obgleich es in den letzten fünfzig Jahren rund um das Thema Künstlerausbildung zahlreiche Gelegenheiten gegeben hätte, deren gravierenden Wandel aus systematischer Perspektive zu erforschen [1], überwiegen in der Literatur zur Künstlerausbildung noch immer Jubiläumsschriften oder biografisch motivierte Darstellungen einzelner Lehrerpersönlichkeiten, wobei auch in den der Institution gewidmeten Arbeiten die Institution kaum wirklich institutionsgeschichtlich, sondern eher als Summe der in ihr handelnden Akteure betrachtet wird. Diskussionen um eine Ausbildungsreform, wie sie von Studierenden in den späten 1960er-Jahren geführt oder 1989 erneut, unter anderen Prämissen und mit anderen Ergebnissen, initiiert wurden [2], fanden nur dann Aufmerksamkeit, wenn sie sich mit Persönlichkeiten verbinden ließen, die sich "zu brauchbaren Spezialisten" für Kunstmarkt und Kunstgeschichtsschreibung entwickelt hatten, wie Joseph Beuys 1968 gegenüber Friedrich Wolfram Heubach formulierte. [3] Die Forschung zur Reform der Künstlerausbildung ist auf die Figuren Beuys und Immendorff fokussiert, während Maurizio Kagels & Co.'s Labor oder Jan Dibbets, Elk van Gerts und Reinier Lucassens The International Institute for Reeducation of Artists - obgleich jeweils eher gegründet - kaum die ihnen gebührende Aufmerksamkeit finden.
Diese Diskrepanz war den Herausgebern des hier rezensierten Bandes offenbar bewusst. Denn obgleich auch sie sich an einem Jubiläum - dem 200-jährigen Bestehen der Münchner Kunstakademie sowie an Beuys' Eklat an der Düsseldorfer Kunstakademie (angezeigt durch die Abbildung auf dem Cover) - orientieren, waren zu der dem Band zugrunde liegenden Tagung auch solche Wissenschaftler/Innen eingeladen, die wie Birgit Jooss und Carola Muysers innerhalb der Erforschung der Künstlerausbildung mit neuen Fragestellungen auf sich aufmerksam gemacht hatten. [4] Birgit Jooss befasst sich als eine der ersten Kunstwissenschaftler mit den Kritiken von Studierenden an den Ausbildungsgängen jenseits der Beuys-Klasse - ein methodisches Vorgehen, das in der 2008 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung lancierten Initiative "Empirische Bildungsforschung" zwar besondere Aufmerksamkeit genießt, in der die Kunstgeschichte jedoch nicht vertreten ist, weil sie sich mit diesem Praxisfeld meist nur historisch reflexiv und biografisch befasst.
Während Wolfgang Ruppert die Tagung und den Band nutzte, um sich einer historischen Fragestellung, d.i. der nationalsozialistischen Vergangenheit der Münchner Kunstakademie, zuzuwenden und damit zum Ausgangsort seiner 1998 publizierten soziologisch-kulturwissenschaftlich orientierten Studie zur Konstitution des modernen Künstlerselbstbildes zurückzukehren, zielt Christian Fuhrmeisters Beitrag auf eine prinzipielle Auseinandersetzung der Kunstgeschichtsschreibung mit diesem wichtigen kunstwissenschaftlichen Bereich, womit der systematische Anspruch des Bandes unterstrichen ist. [5] Urteilt man allerdings nach der im Titel des Bandes betonten Konzentration auf die politischen Indoktrinationen durch die Nationalsozialisten, mutet die Publikation wie eine zwar institutionsgeschichtlich, aber an makrohistorischen Zäsuren orientierte Studie an, die den Dynamiken, die sich aus den Aufgaben der Institution selbst, d.i. der Künstlerausbildung, ergeben, geringere Bedeutung beimisst.
Mit diesen historischen Zäsuren eröffnet der Band ein disparates Argumentationsfeld, was sich in der Ausrichtung mancher Beiträge niedergeschlagen hat. Da wäre als erstes Steffen Krämers Beitrag zu den Diskussionen um die Zusammenlegung der Münchner Kunstgewerbeschule mit der Münchner Kunstakademie zu erwähnen, der sich ausführlich der Modifizierung eines Einzelaspektes der Forschung Winfried Nerdingers zu Karl Caspar hingibt, statt das soziologisch relevantere Argument seines Beitrags, nämlich die mit der Zusammenlegung von freier und angewandter Kunst verbundene habituelle Fragestellung, aktiv zu diskutieren. Auch ein Überblick über die Geschichte dieses Konflikts der handwerklichen Ausbildung an Kunstakademien jenseits Münchens wäre dem Band dienlich gewesen und hätte sich mit der Öffnung der Antikunst-Bewegung gegenüber relegierten Ausbildungsbereichen wie dem Handwerk ohnehin gut verbinden lassen.
Ebenso irritierend, weil ohne Bezug zum Rahmen des Bandes, wirken die zur Geschichte der Münchner Kunstakademie vergleichend herangezogenen Studien, insbesondere zur Kunstakademie Breslau und zur Künstlerausbildung in der DDR, weil sie schlicht kurze Abrisse der jeweiligen Akademiegeschichte darstellen, statt dass sie neue Lehrkonzepte und ihre Kontexte diskutieren und damit an die von Ruppert und Fuhrmeister eröffnete, systematische Perspektive anschließen. Auch dürfte ein mit dem Forschungsgegenstand weniger vertrauter Leser kaum in der Lage sein, deren Argumentation mit den Argumenten der Beiträge von Magdalena Droste und Otto Karl Werckmeister zusammenzubinden. Denn bei den Beiträgen Drostes und Werckmeisters zum Umgang mit tradierten Ritualen wie der Titelvergabe Professor / Werkmeister am Bauhaus in Dessau (Droste) bzw. bei den Debatten um den gänzlichen Verzicht auf den Professorentitel an Kunstakademien in Frankreich zur Zeit der Dritten Republik (Werckmeister) geht es in Anlehnung an die Thesen Pierre Bourdieus um die Gestaltung personeller Rahmenbedingungen bzw. um die Markierung von Hierarchien und Schwellen, die für Lehrsituationen eminent wichtig sind und womit überdies Themen aufgegriffen wurden, die gerade im Umkreis der von Beuys geführten Debatte um die Konzeption einer "idealen Akademie", bei Immendorff, aber auch bei Kagel und Vostell, eine zentrale Rolle spielten. [6] Hier verfliegt der disparate Leseeindruck. Dies geschieht überdies auch, wenn man Hans Dickels komplementäre Lektüre des Akademieneubaus der Nürnberger Kunstakademie und der kulturpolitischen Erwartungen an einen Neubeginn Deutschlands nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur heranzieht. Dickel diskutiert in seinem Beitrag die Motive, die bei der Stadtverwaltung zum Neubau der Akademie in gehöriger Distanz zum alten, von den Nationalsozialisten genutzten Gebäude eine Rolle spielten, wobei die isolierte Lage und die relative Stadtferne wie auch die auf Transparenz hin konzipierten Atrien des neuen Bauensembles nicht nur die antike Vorstellung der Akademie paraphrasieren, sondern gemäß Dickel zugleich auch Ausdruck des auf Autonomie dringenden, gesellschaftlichen Selbstverständnisses der Künste in den 1950er-Jahren waren. Die Hierarchiearmut der Baukörper und Raumfolgen und die zurückhaltend nüchterne, dennoch lockere und lichte Gruppierung der Pavillons verknüpft Dickel überdies mit Walter Gropius' Plädoyer für sein Graduate Design Center an der Harvard University.
Damit zeigen Dickel, Droste und Werckmeister, wie bewusst die politisch bzw. die gestalterisch Verantwortlichen mit impliziten Bildungsinhalten umgehen, womit sich für den Leser erstmals einlöst, was Ruppert und Fuhrmeister im Auge hatten, als sie als Untertitel ihres Bandes den Beisatz "Formen der Künstlerausbildung" wählten, eben aufzuzeigen, welch große Bedeutung den impliziten Bedingungen des Lehrsettings bei der Künstlerausbildung zukommt. Dies herausarbeiten zu wollen, ist auch deshalb wichtig, weil sich, wie Jooss' Beitrag, wie aber auch das Gespräch zwischen Walter Grasskamp und Thomas Zacharias und nicht zuletzt, wie Fuhrmeisters eigener Forschungsbeitrag zeigen, ein großer Teil der Ereignisse von Kunsthochschulrevolutionen nur vor diesem Hintergrund des Settings zu verstehen sind. Die meisten Konflikte haben sich an scheinbaren Nebensächlichkeiten entzündet; viele Äußerungen der in die Konflikte involvierten Akteure - etwa Vostells Vorschlag des permanenten Klinkenputzens - sind nur durch den Einbezug impliziter Bildungsinhalte zu verstehen. Ob bei der Zusammenlegung der Ausbildung freier Künstler mit der Kunstgewerbeausbildung, dem Wechsel der Bezeichnung Werkstätten / Ateliers, Werkmeister / Professor, der räumlichen Anordnung von Professoren- zu Meisterschüler- und Studierendenateliers oder von Theoriebereichen (Bibliotheken, PC-Saal, Seminar- und Vorlesungsräume) zur künstlerischen bzw. entwerfenden Praxis - Dickel, Droste, Fuhrmeister, Jooss und Werckmeister zeigen exemplarisch, dass räumliche und inhaltliche Umordnungsversuche stets auch auf die Regelung habitueller Fragen zielen.
Indem sich Fuhrmeisters Beitrag der Frage der Praxisrelevanz des Kunstgeschichtsunterrichts an Kunsthochschulen zuwendet - einer Frage, die, wie Fuhrmeister zu Recht anmerkt, in der deutschsprachigen Kunstgeschichtsschreibung auf nur marginales Interesse stößt und damit zu Erfahrungen Anlass gibt, die Michael Diers in dem von Peter Johannes Schneemann und Wolfgang Brückle herausgegebenen Band Kunstausbildung in dem Aufsatz "Jede Woche eine Epoche" geschildert hat [7] -, stellt er den Anschluss an die internationale, von der Forschung Hovard Singermans und den Thesen James Elkins geprägte Debatte her und leistet damit einen wichtigen Schritt der Öffnung der deutschsprachigen Kunstgeschichtsforschung, denn ohne diese sind die an Kunsthochschulen wie dem Art Institute Chicago längst Realität gewordenen Praktiken der nur noch soziologisch, philosophisch oder wissenschaftlich fundierten Künstlerausbildung jenseits von Fertigkeiten wie Zeichnen, Malen, Modellieren und jenseits einer kunstgeschichtlichen Teilausbildung kaum zu verstehen.
Anmerkungen:
[1] Neben Beuys' Free International University und Jörg Immendorffs LIDL-Akademie sei an das 1967 in Amsterdam von Jan Dibbets, Ger van Elk und Reinier Lucassen gegründete The International Institute for Reeducation of artists erinnert. Zur aktuellen Reformdebatte um die Künstlerausbildung siehe Ulrike Melzwig / Marten Spangberg / Nina Thielecke: Reverse Engineering Education in Dance, Choreography and the Performing Arts. Follow-up Reader for MODE05. Berlin 2007; James Elkins: Why art cannot be taught. A handbook for art students, Urbana 2001; Ute Meta Bauer: Education, Information, Entertainment. Aktuelle Ansätze künstlerischer Hochschulbildung, Wien 2001; Stefan Römer: Von der Kritik an der Kunstakademie zum Coding im Kunststudium, in: Bild, Medien, Wissen. Visuelle Kompetenz im Medienzeitalter, hg. von Hans Dieter Huber / Bettina Lockemann / Michal Scheibel, München 2002, 123-143; Howard Singerman: Art Subjects. Making Artists in the American University, Berkeley 1999; James Elkins: Artists with PhDs. On the New Doctoral Degree in Studio Art, Washington D.C. 2009. Peter J. Schneemann / Wolfgang Brückle (Hgg.): Kunstausbildung: Aneignung und Vermittlung künstlerischer Kompetenz, München 2008.
[2] Vgl. neben Birgit Jooss' Beitrag in diesem Band den von Hans Dickel gegebenen Einblick in den Streik der Kunststudenten im WS 1988/89 an der Hochschule der Künste Berlin in: Hans Dickel: Fremdbestimmung, Mitbestimmung, Selbstbestimmung, in: Wolkenkratzer Art Journal 6 (1989) Nr.5, 86-89; sowie Franziska Uhlig: Freie Klasse, Interflugs & Co. Studierende der Hochschule der Künste unterrichten sich selbst, in: Kunstausbildung, hg. von Peter Johannes Schneemann / Wolfgang Brückle (wie Anm.1), 75-90.
[3] Zu Beuys' Reformüberlegungen siehe neben den Interviews von Beuys, Immendorff und Vostell mit Friedrich Wolfram Heubach in der Zeitschrift INTERFUNKTIONEN, hg. von Friedrich Wolfram Heubach, Köln 1967-1975, bes. Heft 2 auch Barbara Lange: Joseph Beuys. Richtkräfte einer neuen Gesellschaft. Der Mythos vom Künstler als Gesellschaftsreformer, Berlin 1999, bes. 28-68, 74-83 sowie 97ff.; und Andreas Quermann: "Demokratie ist lustig". Der politische Künstler Joseph Beuys, Berlin 2006, 24-27 sowie 31-33. Zur Lidl-Akademie siehe INTERFUNKTIONEN, hg. von Friedrich Wolfram Heubach, Köln 1967-1975, insbes. Heft 2 und 5; sowie Chris Reinecke: 60er Jahre - Lidl-Zeit. Ausst.-Kat. Kunstmuseum Düsseldorf u.a., Köln 1999. In dem hier rezensierten Band wird diese Frage hauptsächlich von Birgit Jooss diskutiert ("Zu den Studentenunruhen von 1968", 81-102).
[4] Carola Myusers hat ihren Tagungsbeitrag allerdings Wolfgang Brückle und Peter Johannes Schneemann zur Verfügung gestellt (Literatur wie Anm.1). Auch wüsste man gern, warum bei einem Band über die Münchner Kunstakademie auf das profunde Wissen von Stefan Römer verzichtet wurde.
[5] Die Argumentation findet sich insbesondere auf 103f.
[6] Vgl. die Debatten in der Zeitschrift INTERFUNKTIONEN, hg. von Friedrich Wolfram Heubach, Köln 1967-1975, insbes. 2 (1968).
[7] Vgl. Michael Diers: "Jede Woche eine Epoche". Kunstgeschichte an einer Akademie - ein Erfahrungsbericht, in: Schneemann / Brückle (wie Anm.1), 104-117.
Franziska Uhlig