Johann Joachim Winckelmann: Anmerkungen über die Geschichte der Kunst des Alterthums. Dresden 1767. Texte und Kommentar. Hg. v. Adolf H. Borbein, Max Kunze (= Johann Joachim Winckelmann: Schriften und Nachlaß; Bd. 4,4), Mainz: Philipp von Zabern 2008, XXVI + 280 S., 86 Abb., ISBN 978-3-8053-3844-8, EUR 46,00
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Johann Joachim Winckelmann: Geschichte der Kunst des Alterthums. Katalog der antiken Denkmäler. Erste Auflage Dresden 1764. Zweite Auflage Wien 1776. Hrsg. v. Adolf H. Borbein, Thomas W. Gaethgens, Johannes Irmscher (†) und Max Kunze. Bearb. v. Mathias René Hofter, Axel Rügler und Adolf H. Borbein, Mainz: Philipp von Zabern 2006
Johann Joachim Winckelmann: Geschichte der Kunst des Alterthums. Katalog der antiken Denkmäler. Erste Auflage Dresden 1764. Zweite Auflage Wien 1776. Hrsg. v. Adolf H. Borbein, Thomas W. Gaethgens, Johannes Irmscher (†) und Max Kunze. Bearb. v. Mathias René Hofter, Axel Rügler und Adolf H. Borbein, Mainz: Philipp von Zabern 2006
Mit der wissenschaftlichen Edition von Winckelmanns Anmerkungen zur Geschichte der Kunst des Alterthums, die von Eva Hofstetter, Max Kunze, Brice Maucolin und Axel Rüger bearbeitet wurde, liefern die Herausgeber Adolf H. Borbein und Max Kunze einen Text, der als Schlüssel zu der komplexen Entstehungs- und Publikationsgeschichte der Geschichte der Kunst des Alterthums betrachtet werden kann. Das Erscheinen der Anmerkungen zur Geschichte der Kunst des Alterthums im Jahre 1767 bei Walther in Dresden ist das Ergebnis eines für Winckelmanns Schreib- und Arbeitsmethode durchaus aufschlussreichen Vorgangs, auf den das bündige, von Max Kunze verfasste Vorwort einige bezeichnende Lichter wirft. Kaum hatte Winckelmann im Winter 1761-1762 das Manuskript der Geschichte der Kunst des Alterthums an Walther abgeschickt, da begann er schon Materialien - Korrekturen, Erweiterungen usw. - zu dem noch nicht veröffentlichten Werk zu sammeln. Als dieses Manuskript - mit einer Verspätung, die zum Teil auf die Wirren des Siebenjährigen Krieges zurückzuführen ist - nun 1764 erschien, hatten diese handschriftlichen Ergänzungen und Berichtigungen des Textes der Geschichte der Kunst ein derartiges Ausmaß angenommen, dass Winckelmann eine zweite, verbesserte Auflage erwog, für deren Drucklegung er sich schon ab 1765 intensiv einsetzte. Walther freilich weigerte sich, eine Neuauflage der Geschichte der Kunst des Alterthums zu veranstalten, bevor die Exemplare der ersten Auflage verkauft waren - noch 1824 hielt der Dresdner Verlag Vorräte der ersten Auflage parat. Doch Winckelmann ließ sich nicht entmutigen und schmiedete die kühnsten Pläne, um die zweite, verbesserte Auflage zu verwirklichen. Als 1766 eine durch Gottfried Sellius besorgte französische Übersetzung seines Werkes erschien, die er als fehlerhaft verwarf, erwog er es, die neue Fassung der Geschichte der Kunst des Alterthums direkt in französischer Sprache erscheinen zu lassen, also in Übersetzung jene Neufassung zu publizieren, die Walther ihm verwehrte. Doch zerschlug sich das Projekt. Es blieb also Winckelmann als einziger Ausweg, seine addenda in einem separaten Band herauszubringen, den Anmerkungen über die Geschichte der Kunst des Alterthums, die den Gegenstand des vorliegenden Bands ausmachen. Allerdings brachte für den Autor die Publikation der Anmerkungen über die Geschichte der Kunst des Alterthums keine völlig befriedigende Lösung mit sich. Kaum dass die Anmerkungen über die Geschichte der Kunst des Alterthums erschienen waren, arbeitete Winckelmann an seinem Projekt einer neu bearbeiteten Ausgabe der Geschichte der Kunst weiter, für die er immer noch weitere Materialien sammelte. Ein guter Teil der in den Anmerkungen gesammelten Informationen ging in die zweite, postume Ausgabe der Geschichte der Kunst des Alterthums über, die 1776 in Wien erschien und deren komplexe Geschichte noch nicht ganz erschlossen ist.
Damit veranschaulichen die Anmerkungen über die Geschichte der Kunst des Alterthums eine Eigenschaft von Winckelmanns Schreibverfahren auf eindrucksvolle Weise: dessen Unabschließbarkeit. Einen endgültigen Schlusspunkt hat Winckelmann seinen Schriften nur ungern gesetzt. Die Abgabe eines Manuskripts an den Verleger bedeutete für ihn, der ja immer neue Materialien - sei es in Form von Exzerpten oder von Kunsterlebnissen - sammelte, keineswegs den Abschluss der Redaktionsphase. Schon 1755, als er die erste Auflage seiner Erstlingsschrift, der Gedancken über die Nachahmung der griechischen Werke, in den Druck gab, saß er bereits über einer zweiten, erweiterten Fassung, die kaum ein Jahr später erschien. Faszinierend ist der Text der Anmerkungen über die Geschichte der Kunst des Alterthums deshalb, weil er zwar die Unabschließbarkeit des Manuskripts der Geschichte der Kunst des Alterthums deutlich veranschaulicht, jedoch aber gleichzeitig die Komplexität der Beziehungen ans Licht bringt, die die im Rahmen der Arbeit an der Geschichte der Kunst entstandenen Texte untereinander unterhalten. Zwar sind die Anmerkungen primär als Ergänzung zur ersten Auflage der Geschichte der Kunst des Alterthums anzusehen, deren gröbste Fehler und zahlreiche Lücken sie auszumerzen intendierten. Doch nicht alle Informationen, die die Anmerkungen enthielten, sind in die zweite Auflage der Geschichte der Kunst des Alterthums übernommen worden, so dass der Text - trotz aller Abhängigkeit gegenüber dem monumentalen Geschichtswerk - eine eigene wissenschaftliche Existenz beanspruchen kann.
Voraussetzung für die wissenschaftliche Edition eines solchen Textes ist nicht nur eine gute Kenntnis der archäologischen Befunde sowie der Archäologiegeschichte, sondern auch der Geschichte von Winckelmanns Schriften und Schreibverfahren selbst. Diese Bedingungen erfüllt durchaus der breit angelegte Kommentar, der mit seiner Fülle an archäologischen Informationen, Querverweisen und Fotos von besprochenen Kunstwerken zur Erschließung dieser komplexen Schrift einen entscheidenden Beitrag liefert. In Winckelmanns Schreibverfahren gewährt die vorliegende Ausgabe auch dadurch einen aufschlussreichen Einblick, indem sie neben der Druckfassung von 1767, für die die Druckvorlage verloren gegangen ist, auch einen handschriftlichen Entwurf aus dem Winckelmann-Nachlaß der Bibliothèque Nationale de France in Paris enthält, der ebenfalls kommentiert wird. Besonders hilfreich sind darüber hinaus die vier Register, die diese Edition abschließen und wertvolle Hinweise auf die "Standorte zu Winckelmanns Zeiten", die heutigen "Museums- und Ausstellungsorte", die "Stellen antiker Autoren" sowie die Personennamen liefern. Mit dieser Edition der Anmerkungen über die Geschichte der Kunst des Alterthums wird also die von der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur, der Erfurter Akademie gemeinnütziger Wissenschaften und der Winckelmann-Gesellschaft betreute vollständige Ausgabe von Winckelmanns Schriften und Nachlaß um ein wichtiges Stück ergänzt.
Elisabeth Décultot