Ulrich Fischer: Stadtgestalt im Zeichen der Eroberung. Englische Kathedralstädte in frühnormannischer Zeit (1066-1135) (= Städteforschung. Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster. Reihe A: Darstellungen; Bd. 72), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2009, XIII + 583 S., ISBN 978-3-412-33205-1, EUR 64,90
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Für jeden Englandreisenden ist ein Besuch der nordenglischen Stadt Durham ein Muss. Noch heute dominiert die auf einem Sporn an einer engen Schleife des Flusses Wear gelegene, mächtige und erhabene Kathedrale in Verbindung mit der Burganlage die Stadt. Was waren die Hintergründe für eine solch enorme Baumaßnahme? Dieser Frage stellt sich Ulrich Fischer in seiner bereits im Wintersemester 2002/3 abgeschlossenen Münsteraner Dissertation, die nun in überarbeiteter Form im Druck vorliegt. Anhand sämtlicher englischer Kathedralstädte analysiert er vergleichend deren Entwicklung zwischen der normannischen Eroberung 1066 und dem Tod König Heinrichs I. 1135.
Um die normannischen Entwicklungen einordnen zu können, betrachtet er zunächst die Kathedralorte unter den angelsächsischen Königen. Ihre Infrastruktur wird genauso vorgestellt, wie die Architektur und Bedeutung ihrer Sakralbauten. Insofern diskutiert das Buch tatsächlich einen sehr viel größeren Zeitraum als es sein Titel vermuten lässt. Im Vergleich zur frühnormannischen Zeit fällt vor allem die Diskontinuität der Bischofssitze auf. Ein beachtlicher Anteil wurde verlegt. Fischer erklärt dies vor allem mit einem unterschiedlichen Verständnis der Funktion des Orts für die Ausübung des bischöflichen Amts. Während er unter den Angelsachsen spiritueller Rückzugsort eines hauptsächlich wandernden Bischofs war, stellte er für die Normannen das Zentrum allen bischöflichen Handelns dar.
Aber nicht nur die Verlegung von Bischofssitzen führte zu Neubauten und damit zur Neugestaltung der Städte, ein regelrechter Bauboom erfasste auch die bestehenden Kathedralstädte. Die von den Angelsachsen so sehr geschätzte, die dignitas ihrer Kirche maßgeblich konstituierende alte Bausubstanz der Gebäude, spielte für die Eroberer keine wesentliche Rolle. Entscheidend waren nun andere, vom Kontinent importierte Parameter, die vor allem Größe und Pracht der in Stein gehaltenen Bauten betont sehen wollten. Die neuen Herren wollten gesehen werden, wollten Präsenz zeigen und maßen so ihrer architektonischen Entfaltung in den Städten große Bedeutung bei. Dies galt für die Bischöfe genauso wie für die weltlichen Herren, deren Burgen und Residenzen der Autor ebenfalls mit Sorgfalt nachgeht. Das Drängen der Normannen in die Städte bzw. deren Förderung der Stadtentstehung konnte die städtische Raumordnung wesentlich verändern, wie Fischer in seinem abschließenden Kapitel zeigt. Neue Viertel wurden angelegt und die bestehenden durch den Neubau von Burgen und Kathedralen zum Teil massiv umgestaltet. Alte Strukturen mussten so neuen weichen. Die Eroberung war deutlich spürbar, von einer harmonischen Koexistenz zwischen Alteingesessenen und Neuankömmlingen, so Fischer, könne man kaum sprechen.
Die vorliegende Arbeit ist ein sehr gelungenes Beispiel, wie historisches und architekturhistorisches Arbeiten gewinnbringend kombiniert werden kann. Die umfangreichen englischen Arbeiten zur normannischen Architektur erlauben ihm, den weitgreifenden Vergleich durchzuführen. Und selbst wenn das Bestreben, das Thema möglichst umfassend zu bearbeiten, der Arbeit ab und an enzyklopädischen Charakter verleiht und das Werk insgesamt sicherlich etwas gestrafft hätte werden können, ist diese Dissertation ein erfolgreicher Versuch, bestehende Forschungen mit einem eigenen Ansatz zu verweben. Auf breiter Quellen- und Literaturkenntnis basierend, überzeugt die in verständlicher Sprache vorgetragene Argumentation des Autors für einen in der Stadtgestaltung deutlich greifbaren Wandel infolge der normannischen Eroberung. Man darf gespannt sein, wie die immer junge Diskussion über die Auswirkungen der Eroberung von 1066 diese gewichtigen Thesen aufgreifen wird. Dass das unerhörte normannische Bauprogramm dabei noch ganz nebenbei der Frage normannischer Effizienz [1] neue Nahrung gibt, soll hier wenigstens am Rande erwähnt werden. Der Verfasser ging dieser Spur nicht weiter nach, was ihm aber angesichts seiner sonstigen Leistung wahrlich nicht zu verdenken ist. Es bleibt ihm nur zu wünschen, dass die englische Forschung sich die Mühe machen wird sein Buch zu lesen.
Und was schließlich Durham anbetrifft, so lernen wir, dass das Bauprogramm weniger dazu diente, die örtlichen Angelsachsen bzw. Skandinavier zu beeindrucken, sondern vielmehr als kräftiger Ruf aus dem Norden zu verstehen sei, mit dem die bischöflichen Bauherren dem König und ihren weiter südlich residierenden Amtskollegen ihre eigene Stellung in Erinnerung bringen wollten. Dazu wählten sie eine Sprache, die jene klar verstanden. Inwieweit diese Maßnahmen und die damit einhergehende Veränderung und Zerstörung der bisherigen Strukturen die Bewohner Durhams überzeugte, war dabei von sekundärer Bedeutung. Im Übrigen ein Aspekt, der dem Autor, seines Zeichens stellvertretender Direktor des Stadtarchivs Köln, aus eigener Anschauung wohl bekannt sein dürfte.
Anmerkung:
[1] Wilfred L. Warren: The Myth of the Norman Administrative Efficiency, in: Transactions of the Royal Historical Society, 5th series, 34 (1984), 113-132.
Jörg Peltzer