Gerhard Krebs: Das moderne Japan 1868-1952. Von der Meiji-Restauration bis zum Friedensvertrag von San Francisco (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte; Bd. 36), München: Oldenbourg 2009, XII + 249 S., ISBN 978-3-486-55894-4, EUR 29,80
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Die Erforschung der modernen Geschichte Japans außerhalb Japans hat sich in den vergangenen vierzig Jahren - nicht zuletzt durch den systematischen Ausbau der angloamerikanischen Japanese Studies - zu einem stark ausdifferenzierten Gebiet entwickelt, das kaum noch überschaubar ist. Insofern bietet der vorliegende Band von Gerhard Krebs eine äußerst verdienstvolle und sehr hilfreiche Orientierung - in seiner Eigenschaft als bibliographische Einführung der Reihe "Oldenbourg Grundriss der Geschichte" in das englisch- und deutschsprachige Schrifttum zum modernen Japan stellt sie geradezu eine Pionierleistung dar.
Der behandelte Zeitraum umfasst das moderne Japan im engeren Sinne. Das bedeutet, dass sowohl die als indigene Voraussetzungen für die rasche Modernisierung angesehenen Entwicklungen des frühen 19. Jahrhunderts, als auch andererseits die für die Zeitgeschichte Japans grundlegenden Epochen der Hochwachstumsphase und der Spätmoderne, also die Jahrzehnte seit 1952, hier in der Regel außer Betracht bleiben. Als äußerst erfreulich darf die Tatsache bewertet werden, dass die vorliegende Publikation im Einzelfall Werke bis zum Veröffentlichungsjahr 2008 berücksichtigt hat.
Gemäß dem Programm dieser Reihe zerfällt das Buch in drei Teile: Auf den ereignisgeschichtlich orientierten historischen Abriss (1-106) folgt die Präsentation von "Grundprobleme(n) und Tendenzen der Forschung" (107-187), die zugleich einen ausführlichen und systematisch kontextualisierenden Literaturbericht darstellt. Dieser gliedert sich zunächst in die beiden Kapitel "Historische Japanforschung" (107-136) und "Periodisierung, Hilfsmittel und Gesamtdarstellungen" (137-140) und enthält dann jeweils Abschnitte zu den wichtigsten Phasen dieser Epoche: "Von Tokugawa zu Meiji" (141-150), "Expansionspolitik und der Weg zur Großmacht" (151-155), "Der Erste Weltkrieg und seine Folgen" (156-161), "Von der Krise zum Krieg" (162-179) und "Die Nachkriegszeit in Japan" (180-187). Der dritte Teil "Quellen und Literatur" (188-229) verzeichnet die Bibliographie, auf die die systematische Übersicht des zweiten Teils bezogen ist.
Der Band ist von beeindruckender Detailkenntnis geprägt, die nicht selten den Forschungsschwerpunkt des Autors verrät, der auf dem Gebiet der deutsch-japanischen Beziehungen in den 1930er und 40er Jahren, der Diplomatie- und Militärgeschichte und zu Einzelaspekten der Geschichte Ostasiens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts publiziert hat. Die Abschnitte über den Weg "von der Krise zum Krieg" (55-86; 162-179; 211-223), die in etwa die Jahre von 1930-45 behandeln, sind nicht nur besonders ausführlich ausgefallen, sondern basieren auch auf einer Reihe entlegener, nur dem Spezialisten bekannten Publikationen. So kann dieses Werk insbesondere als herausragendes Hilfsmittel für diejenigen charakterisiert werden, deren Interesse der Geschichte des ostasiatisch-pazifischen Krieges und (mit Einschränkungen) seines globalen Kontextes gilt.
Der im ersten Teil wiedergegebene historische Abriss ist ein auf die politischen Ereignisse sowie zum Teil auf sozioökonomische Entwicklungen konzentriertes Narrativ, in dem vor allem das Auf und Ab von Regierungen und Parteien, außenpolitischer Initiativen, strategischer Planungen, beziehungsweise von Siegen und Niederlagen mit einem beachtlichen Detailreichtum ausgebreitet werden. Letzterer offenbart zwar das profunde Wissen des Autors zu hochinteressanten Einzelfragen etwa der frühen Besatzungszeit (174-175). Dieses Vorgehen muss allerdings aufgrund der vom Format dieser Monographie vorgegebenen Breite an anderer Stelle notgedrungen zu Beschränkungen oder gar zu problematischen "Leerstellen" führen.
Es ist erfreulich, dass die Historiographiegeschichte im zweiten Teil des Bandes relativ großen Raum einnimmt. Doch vermittelt der Abschnitt über die "Historische Japanforschung" vor allem einen guten Überblick der Forschungsdebatten von den 1950er bis in die frühen 1980er Jahre, während neuere Trends etwa zum Einfluss kultur- und alltagsgeschichtlicher beziehungsweise postkolonialer Ansätze zur Interpretation der modernen Geschichte Japans fast vollständig ausgespart bleiben. Dabei werden Struktur und Darstellung dieses Kapitels insbesondere vom Topos der komplexen Entstehungsgeschichte einer "konservativen Geschichtsschreibung in Japan", der "Entstehung einer konservativen Japan-Historiographie in den USA" (116-120) und ihrem Gegenpol, der "Bewegung im Westen gegen die konservative Geschichtssicht" (128-132) bestimmt. Dieser Topos prägt teilweise auch den Duktus des gesamten Bandes wie ein implizites Programm. Entsprechend ausführlich behandelt der Autor beispielsweise die Forschung zur Frage, ob Japan zwischen 1931 und 1945 "faschistisch oder nur autoritär" (125-128) gewesen sei und verweist auf den Historiker E.H. Norman als "Sonderfall im Westen" (114-116). Dies sind gewiss wichtige Themen, die vor Jahrzehnten auch im Zentrum der Japan-Geschichtsschreibung standen. Als Gegenstand der Historiographiegeschichte gehören sie sicherlich in diesen Band, doch bedingt die mit ihrer starken Gewichtung verbundene Ausführlichkeit, dass einem deutschen Lesepublikum der Facettenreichtum der Forschung zur modernen japanischen Geschichte seit den 1990er Jahren vorenthalten wird (eine Ausnahme bildet die Behandlung der Kontroversen um japanische Schulbücher für den Geschichtsunterricht, bei der der Autor auch die aktuellsten Forschungstrends systematisch einbezieht, 193-195). Die zur modernen Geschichte Japans arbeitende Forschung hat aber längst den Rahmen einer doch sehr eng verstandenen politischen Ereignisgeschichte gesprengt, die von der Vorstellung eines Wettkampfes "konservativer" und "progressiver" Kräfte dominiert war. Unverständlich, ja geradezu ärgerlich ist in diesem Zusammenhang, dass die Bibliographie einen der wichtigsten deutschsprachigen Bände zur modernen japanischen Geschichtswissenschaft aus den letzten Jahren gar nicht nennt, der genau diese Breite von Forschungsansätzen systematisch präsentiert. [1]
Ohne Zweifel zwingt ein solches Projekt zur Beschränkung und sorgsamen Auswahl des vorzustellenden Materials. Hier hätte man sich aber gewünscht, dass der Autor die Liebe zum Detail der eigenen Forschungsinteressen gegenüber der Vorstellung der ganzen Breite geschichtswissenschaftlicher Forschung zum modernen Japan stärker zurückstellt. So finden wir - um zwei willkürlich ausgewählte Beispiele zu nennen - keinerlei Hinweise auf die Produktivität, die der von Eric Hobsbawm angestoßene Diskurs über die sogenannten "invented traditions" in der Forschung zum modernen Japan entfaltet hat und auch die historische Frauen- und Geschlechterforschung zu dem im Band behandelten Zeitraum hätte eine weit differenziertere Betrachtung verdient (zudem fehlt auch hier eine der wichtigsten deutschsprachigen Publikationen zu diesem Thema). [2] So mag es symptomatisch sein, dass die Forschung zur Genese von Feminismus und Frauenbewegung - das Thema "Geschlechterforschung" bleibt ohnehin außen vor - unter dem Abschnitt "Die Lage der Landbevölkerung und anderes Konfliktpotenzial" (149-150, 204) abgehandelt wird.
Zusammenfassend ist indessen die zweifellos enorme Leistung des Autors zu würdigen, der mit diesem Band ein äußerst wertvolles Hilfsmittel für diejenigen bereitgestellt hat, denen der Zugang zu japanischsprachigen Quellen verwehrt ist. Da laut Herausgebervorwort die Bände der Reihe "in gewissen Abständen überarbeitet werden" sollen, besteht immerhin die Aussicht, dass die konstatierten Schwachstellen mit der Zeit behoben werden können.
Anmerkungen:
[1] Hans Martin Krämer / Tino Schölz / Sebastian Conrad (Hgg.): Geschichtswissenschaft in Japan. Themen, Ansätze und Theorien. Göttingen 2006.
[2] Andrea Germer: Historische Frauenforschung in Japan: die Rekonstruktion der Vergangenheit in Takamure Itsues 'Geschichte einer Frau' (Josei no rekishi). München 2003.
Klaus Vollmer