Julia Dolfen: Globalisierte Gewalt. Wie die Angst vor Terror Deutschland und die Niederlande veränderte (= Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum-Verlag. Reihe: Politikwissenschaften; Bd. 11), Marburg: Tectum 2008, 190 S., ISBN 978-3-8288-9547-8, EUR 24,90
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Seit den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 halten immer neue Terrordrohungen die Weltöffentlichkeit in Atem. Angesichts der latenten Gefahr sahen und sehen sich Politiker und Sicherheitsbeamte mit der Schwierigkeit konfrontiert, ihre Bürger zu schützen und zugleich den eigenen Rechtsstaat nicht zu untergraben. Zu diesem Dilemma äußerten sich bereits zahlreiche Wissenschaftler verschiedener Disziplinen in einer kaum noch zu überblickenden Fülle an Publikationen ganz unterschiedlicher Qualität. Jüngst veröffentlichte auch die Politologin Julia Dolfen ihre Diplomarbeit, in der sie die aktuelle Anti-Terrorismus-Politik Deutschlands und der Niederlande darlegt und vergleicht.
Nach einer knappen Beschreibung der Bedrohungslage listet Dolfen in chronologischer Reihenfolge die bedeutendsten Gesetze auf, die zur Bekämpfung des Terrorismus verabschiedet wurden. Während Deutschland bereits am 1. Januar 2002 begonnen habe, die repressiven und präventiven Eingriffsmöglichkeiten der Sicherheitskräfte zu erweitern, hätten die Niederlande erst im Frühjahr 2004 nachgezogen. Die Regierung in Den Haag habe somit erst gehandelt, als im eigenen Land Terrorzellen aufgetaucht seien. Überdies hätten die Niederlande mehr Wert auf Prävention, Aufklärung und Deradikalisierung gelegt. Dennoch konstatiert sie für beide Länder eine zunehmende und unverhältnismäßige Einschränkung der rechtsstaatlichen Grundrechte. Die Bevölkerung sei jedoch bereit, dies in Kauf zu nehmen, obwohl die gesetzlichen Maßnahmen keine hundertprozentige Sicherheit böten. Dolfen wirft den Regierungen vor, gegenüber der terroristischen Bedrohung unbesonnen zu handeln. Anstatt weitere Gesetze zu erlassen, plädiert sie für eine Bekämpfung der Ursachen, für eine bessere Aufklärung und für einen ernsthaft geführten Diskurs über "Sicherheit und Freiheit" in der Gesellschaft.
Das Buch von Julia Dolfen bietet einen guten, meist flüssig zu lesenden Überblick über die Anti-Terrorismus-Maßnahmen der Legislative in Deutschland und den Niederlanden nach dem 11. September 2001. Die Autorin versucht, die rechtlichen Veränderungen in historische Entwicklungslinien einzubetten und liefert zusätzlich einen knappen Einblick in die Reaktion der Öffentlichkeit auf die staatliche Anti-Terrorismus-Politik. Bei näherer Betrachtung offenbart die Diplomarbeit jedoch einige Schwächen, wobei die zwei grundlegenden Monita hier näher ausgeführt werden sollen:
Zum einen werden zentrale Begriffe wie Terrorismus, Rechtsstaat, Sicherheit oder Freiheit wenig oder gar nicht problematisiert. Dolfen trifft keine terminologische Unterscheidung zwischen "Terrorismus" und "Terror" und vernachlässigt die kommunikative Dimension des Terrorismus vollkommen. Terroristische Verbrechen werden somit mit gewöhnlichen Straftaten gleichgesetzt, um einer eigenständigen Anti-Terrorismus-Politik gegenüber der allgemeinen Kriminalitätsbekämpfung von vornherein jegliche Legitimation abzusprechen. Auch berücksichtigt Dolfen die Form des "transnationalen Terrorismus" nicht, zu der nach neuesten Forschungen die meisten islamistischen Terroristengruppen wie Al-Qaida zu zählen sind. [1]
Zum anderen mangelt es der Arbeit an analytischer Schärfe. Dolfen beschränkt sich auf eine deskriptive, rein chronologische Wiedergabe der gesetzlichen Maßnahmen, die den Leser jedoch ziemlich verwirrt. Immer wieder springt die Autorin zwischen den Gesetzen in Deutschland und den Niederlanden hin- und her, um punktuell auch noch auf Resolutionen und Empfehlungen der Europäischen Union und der Vereinten Nationen einzugehen. Die angekündigten eigenen Empfehlungen für eine rechtsstaatliche und zugleich effektive Anti-Terrorismus-Politik entpuppen sich als Vorschläge anderer Wissenschaftler, wobei sich Dolfen mit Personen, die für eine radikalere Terrorismusbekämpfung eintreten wie der Rechtswissenschaftler Otto Depenheuer, erst gar nicht auseinandersetzt. Freilich ist es notwendig, wie dies die Autorin fordert, die Ursachen des Terrorismus zu ergründen und zu bekämpfen. Die weitaus dringlichere Frage, wie in einer akuten Bedrohungslage mehr Sicherheit gewährleistet werden kann, ohne die Freiheit der Bürger in überzogenem Maße einschränken, wird nicht thematisiert. Vielmehr flüchtet sich Dolfen in simplifizierende und pauschale Urteile: So ist es eben nicht "nur die Einführung verschärfter Sicherheitsmaßnahmen", die "die Gefahr eingeschränkter Freiheit herbeiführt" (147), sondern die terroristische Bedrohung schränkt bereits per se die bürgerliche Freiheit ein, wie die jüngsten Ereignisse um das Oktoberfest 2009 in München zeigten. Ferner unternimmt die Autorin nicht einmal den Versuch, die mögliche Effektivität der Maßnahmen zu untersuchen.
Freilich mögen diese Mängel auf den knappen Umfang einer Diplomarbeit zurückzuführen sein und konnten von der Autorin gar nicht im wünschenswerten Maße behandelt werden. Es muss aber letztlich die Frage erlaubt sein, ob sich ein derart komplexes Thema überhaupt für eine Diplomarbeit eignet. Sollte die Studie ausgebaut werden, so wäre es erfreulich, wenn die angesprochenen Probleme Berücksichtigung fänden und sich eine solche Arbeit auf eine breitere sowie ausgewogenere Literatur- und Quellenbasis stützen würde.
Das Buch von Julia Dolfen bietet in erster Linie einen Überblick über die Anti-Terrorismus-Gesetze in Deutschland und den Niederlanden nach dem 11. September 2001. Wer jedoch eine eingehende Analyse und eine fundierte Auseinandersetzung mit den Auswirkungen dieser Bestimmungen auf die "Sicherheit" und "Freiheit" in beiden Ländern erwartet, wird das Buch enttäuscht zur Seite legen.
Anmerkung:
[1] Ulrich Schneckener: Transnationaler Terrorismus. Charakter und Hintergründe des "neuen" Terrorismus, Frankfurt am Main 2006, 40-50.
Tobias Hof