Rezension über:

Louise Revell: Roman Imperialism and Local Identities, Cambridge: Cambridge University Press 2009, XIII + 221 S., ISBN 978-0-521-88730-4, GBP 45,00
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Rezension von:
Mihály Loránd Dészpa
Seminar für Alte Geschichte und Epigraphik, Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Mihály Loránd Dészpa: Rezension von: Louise Revell: Roman Imperialism and Local Identities, Cambridge: Cambridge University Press 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 2 [15.02.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/02/16222.html


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Louise Revell: Roman Imperialism and Local Identities

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Anfang der 1990er Jahre kam eine kleine aber ehrgeizige Gruppe junger britischer Archäologen mit der ambitionierten Absicht zusammen, die existierenden Meta-Narrative im Feld der römischen Archäologie und der Alten Geschichte zu dekonstruieren. [1] Zur Überwindung diverser Forschungsdesiderate forderte die TRAC-Generation ein Umdenken auf der Basis von vier Forschungsfeldern: Romanisierung, Genderstudies, Postkolonialismus und materielle Kultur. Um in diese Gebiete einen neuen Forschungsimpetus einzubringen, begannen sie sich auf theoretische Modelle zu berufen, die innerhalb der Sozialwissenschaften erdacht worden waren.

In diesem geistigen Milieu ist die Monografie von Louise Revell entstanden. Auch sie mokiert sich darüber, auf welche Weise Romanisierung konzeptualisiert wird und ist daher bemüht, den analytischen Fokus auf being Roman statt auf becoming Roman zu legen. Sie möchte eine neue Herangehensweise vorschlagen, indem sie Roman-ness als einen Diskurs, an dem sich Leute aktiv beteiligen und dadurch unterschiedliche Erfahrungen von Römisch-Sein erzeugen, und nicht als eine rigide Identität wahrnimmt. Revell versucht, anhand urbaner öffentlicher Bauten in den Provinzen Britannia und Hispania zu argumentieren, dass durch die Erfahrbarkeit öffentlicher Räume nicht nur eine römische Identität gestaltet sowie römische Machtstrukturen reproduziert wurden, sondern gleichzeitig auch zahlreiche Formen lokaler Identitäten entstanden sind.

Im ersten Kapitel, The context of the argument (1-39), wird das theoretische bzw. methodologische Instrumentarium sowie der Kontext ihrer Untersuchung vorgestellt. Revell kalibriert ihre analytische Brille mit Hilfe eines Sammelsuriums an theoretischen Ansätzen. [2] Anhand dieser entwirft sie ihr Forschungsvorhaben: Die Untersuchung dessen, was Römisch-Sein bedeutete, die gemeinsamen Strukturen, die dies ermöglichen und die Rolle der lokalen materiellen Präsenz (3). Revell geht es nicht um Romanisierung im klassischen Sinne. Ganz im Gegenteil, sie möchte diesen Begriff verwerfen, indem sie erstens die Dichotomien 'einheimisch' und 'römisch' sowie 'Akzeptanz' und 'Widerstand' aufbricht und zweitens das Römisch-Sein als etwas Prozesshaftes, in Revells Worten als Diskurs, betrachtet. Ihre Fragen werden anhand von Fallbeispielen aus Baetica, Tarraconensis und Britannia durchgespielt. Bei den zur Analyse herangezogenen Quellen handelt es sich um Bauten, Statuen und Inschriften des 2. Jahrhunderts n.Chr. aus urbanen Siedlungen, die im Kontext von drei Strukturen oder Ideologien, wie die Autorin sie abwechselnd nennt, untersucht werden: Urbanismus, imperiale Herrschaft und Religion (5).

Im zweiten Kapitel, Living the urban ideal (40-79), zeigt Revell, wie das urbane Ideal als eine Form des Imperialismus sowohl den Rahmen als auch das Resultat gelebter Erfahrungen darstellte, die durch das alltägliche Wissen über soziale Praktiken in verschiedenen Kontexten weitergegeben wurden. Die globale Ideologie des Urbanismus - the correct way of living a life (48) - wird in erster Linie willkürlich durch das Zitieren von zwei kleinen Ausschnitten aus Cicero (inv. 2,1) und Tacitus (Germ. 16) festgelegt (45/6), während die lokale Ideologie durch das Aufzählen von Monumentalbauten und Inschriften aus Italica, Clunia, London und Caervent umrissen wird. Die Abweichungen zwischen diesen Siedlungen ergeben laut Revell die Differenzen in der Art und Weise, wie das urbane Ideal im Reich lokalisiert und erlebt wurde.

Das dritte Kapitel, The Roman emperor (80-109), hat denselben Grundtenor: Die Herrschaftsideologie, die anhand einer hadrianischen Inschrift (CILA 2,1068) bestimmt wird (80-82), bestehe aus der Summe der Magistraturen und Ehrenbeinamen der imperialen Titulatur. Die Macht des Kaisers sei dann durch die lokale Struktur (Statuen, Inschriften, Tempel des Kaiserkults) formatiert, erlebt und legitimiert worden. Diese etwas naive konstitutionalistische Sicht des princeps, der starke strukturelle Determinismus sowie die fragwürdige substanzialistische Konzeptualisierung der Macht - obwohl paradoxerweise die Autorin durch ihre Auswahl an theoretischen Ansätzen eher Richtung Poststrukturalismus tendiert - werden stellenweise durch die Erwähnung anderer Modi kaiserlicher Präsenz durchbrochen: Euergetismus, Patronage, Übernahme von Magistraturen, Kaiserkult. Die unterschiedliche materielle Präsenz und direkte Einmischung machten eine holistische Erfahrbarkeit des Kaisers im Reich unmöglich. Sie determinierten das Römisch-Sein und erzeugten gleichzeitig Differenzen.

Die dritte Ideologie, Religion, ist das Thema des vierten Kapitels, Addressing the divine (110-149). Revell fokussiert ausschließlich auf die religiöse Praxis, also auf die Art und Weise, wie die Götter durch Ritual und Prozessionen verehrt wurden. Die Gottheiten scheinen für die Autorin keinen heuristischen Wert zu haben. Rituale und Prozessionen sind in die urbane Materialität eingeschrieben und strukturieren den Umgang mit den Göttern. Sie reproduzieren die Struktur des Reiches, aber durch die unterschiedlichen materiellen Formen generieren sie gleichzeitig auch Diversität auf der Ebene der religiösen Praxis.

Im fünften Kapitel, A question of status (150-190), werden anhand verschiedener Gebäudetypen die unterschiedlichen Erfahrungsmöglichkeiten des Römisch-Seins hervorgehoben, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf der Rolle öffentlicher Räume bei den Aushandlungsmöglichkeiten von sozialem Status liegt. Revell kommt in diesem Teil des Buchs zu der Erkenntnis, dass die Bauten urbaner Siedlungen (Basilika, Curia, Tempel, Bäder, Amphitheater etc.) sowie Rituale und Inschriften nicht nur die Identität römischer Eliten strukturierten, sondern gleichzeitig auch die Identitäten römischer Frauen, Kinder, Freigelassener sowie der Sklaven (mit-)formatierten.

Im letzten Kapitel, Being Roman (191-193), werden die Ergebnisse aller vorherigen Kapitel zusammengeführt, um nochmals die zahlreichen Bedeutungen von Roman-ness hervorzuheben.

Während man mit Revell völlig übereinstimmen kann, dass die materielle Kultur mehr als eine Repräsentation sozialer Ordnung ist und dass diese eine aktive Rolle in der Konstitution sozialer und kultureller Realitäten spielt, bleibt die Art und Weise problematisch, auf welche die Autorin das Soziale mit der materiellen Präsenz verbindet. Zweifelhaft ist dabei, wie Revell globale Ideologie gestaltet. Ihre Quellenbasis für diese Zusammenstellung ist viel zu dünn und deswegen nicht plausibel. Unbegreiflich ist auch die Festlegung der Ideologien auf eine starre, über Jahrhunderte unveränderte Metaebene. Dabei fragt sich der Leser vergeblich, weshalb Diskurse derart fluide sein können, wenn Ideologien so starr sind. Kennzeichnend für diese theoretische Unreflektiertheit sind auch die Gleichsetzung von Ideologie mit Struktur (5), dann wiederum mit Diskurs (43) sowie die Bezeichnung des Rituals als eine Art Diskurs (146).

Fraglich wirkt auch die geringe Konzeptualisierung des Transfers zwischen dem Globalen und dem Lokalen. Die Verbindung zwischen Ideologie und Struktur ist nicht gegeben, da Revell, trotz ihres poststrukturalistischen Hintergrunds, auf das ontologische Was der Erklärung statt auf das funktionale Wie der Beschreibung fokussiert. So werden z.B. die Inhalte der spanischen Munizipalgesetze über fünf Seiten nacherzählt, um diese schließlich willkürlich in das Raster der Ideologie des Urbanismus zu pressen (54). Auch kaiserliche Statuen und Inschriften aus Hispania und Britannia führt Revell auf ähnliche Weise vor (82-89), um am Ende zu behaupten, dass durch das Aufrichten und das ständige Wahrnehmen dieser Artefakte die Einwohner der Städte zur Akzeptanz der Autorität des Kaisers gebracht würden, da sie die Ideologie rekreierten, der Kaiser sei berechtigt, die ultimate power zu halten (89). Diese Erkenntnis ist nicht nur unterkomplex, sondern aus mehreren Gründen auch fraglich. Erstens ist es unbedingt erforderlich, zuerst einen Blick auf die Dynamik der Herrschaftsdiskurse in Rom zu werfen, bevor ihre Ausprägung in den Provinzen untersucht werden kann. Zweitens sollte man aus dieser Dynamik heraus die Ausbildung der Netzwerke untersuchen, um die Formatierung der Provinzen durch diese Diskurse analysieren zu können. Nur auf diese Weise wird deutlich, dass 'Stadt' bzw. 'Urbanismus' keine feste Semantik hat, sondern ein Cluster an Bedeutungen aufweist. Drittens sind die Verbindungen zwischen Herrschaftsdiskursen, sozialen Netzwerken und der Entstehung lokaler materieller Strukturen präzise zu untersuchen. Der Fokus sollte dabei weder auf becoming Roman noch auf being Roman liegen, sondern auf der Art und Weise, wie und welche globalen Diskurse lokalisiert werden.

Bedenklich ist auch der starke strukturelle Determinismus der Materialität bei Revell. Diesem könnte man vielleicht durch die Diversifikation der Konnexion zwischen dem Globalen und dem Lokalen - gesehen als dialektisches Feld zwischen sozialer Struktur, Ereignis, Praxis und Diskurs - entgehen: z.B. in Raum- und Bautypen; Nutzungskonstellationen; Formtypen und Clusterbedeutungen. Dadurch wäre man gezwungen, das Verhältnis dieser Begriffe zueinander zu untersuchen. Die Konstitution von Rollen und personae-Typologien sollte auch in der Dialektik der Adaption globaler Diskurse und der Emergenz lokaler Strukturen und sozialer Praktiken untersucht werden. Auf diese Art entwickelt man einen Sinn für die semantischen Nuancen der Rollen, die in verschieden sozialen Netzwerken (neu) gestaltet werden. Dasselbe gilt für Revells Kapitel zur Religion: Stellt man nur die religiöse Praxis dar, beschreibt man eigentlich das Banale. Dabei wäre es äußerst interessant, auch die verehrten Götter zu untersuchen und sie statt in alten Erklärungsmustern wie interpretatio oder Synkretismus als mögliche Repräsentationen innerhalb imperialer Diskurse zu begreifen. Die intellektuelle Herausforderung liegt gerade in der Analyse der Antike im Spannungsfeld von Semantik und Pragmatik.


Anmerkungen:

[1] Proceedings of Annual Theoretical Roman Archaeology Conference.

[2] Anthony Giddens' structure and agency-Theorie, Genderstudies und postkoloniale Theorien.

Mihály Loránd Dészpa