Maria E. Subtelny: Timurids in Transition. Turko-Persian Politics and Acculturation in Medieval Iran (= Brill's Inner Asian Library; Vol. 19), Leiden / Boston: Brill 2007, XV + 411 S., ISBN 978-90-04-16031-6, EUR 104,00
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Maria Subtelny spannt in "Timurids in Transition" einen weiten Bogen. Der zeitliche Fokus der Untersuchung liegt auf der Regierungszeit des letzten Timuridenherrschers Sulṭān-Ḥusain Bayqara (873-911/1469-1506), die aber über Rückblicke und Hintergrundinformationen einen Überblick über die gesamte knapp einhundertjährige Dynastie bietet. Inhaltlich getragen wird der Bogen von Max Webers Modell der Routinierung charismatischer Herrschaft im patrimonialen Herrscherhaushalt. Er umfasst den Übergang nomadisch geprägter Herrschaftsstrukturen zu einem auf die Besteuerung der sesshaften Bevölkerung ausgerichteten Reich persischer Tradition, wobei Subtelny eine Neuinterpretation der Bedeutung religiöser Stiftungen für diesen Prozess vornimmt. Denn die Kernthese dieses Buches ist, dass Sufi-Schreine und zugehörige Stiftungen Ausgangspunkt und Vehikel der landwirtschaftlichen Entwicklung waren, die Sulṭān-Ḥusains Herrschaft zu einer ökonomischen wie kulturellen Blütezeit machten. Dass dieser Bogen trotz der großen und zunehmenden Detailtiefe hält, ist eine der Qualitäten des Buchs. Hinzu kommt der umfangreiche Anhang, der einen Überblick über die erhaltenen Quellentexte zu religiösen Stiftungen in timuridischer Zeit sowie vier Texte in Übersetzung enthält.
Die ersten drei Kapitel können als Exposé zur These gelesen werden und spannen die zugrundeliegende Problemlage auf. Kapitel eins charakterisiert den Gründer der Dynastie, Temür (gestorben 807/1405), als charismatischen Herrscher in Max Webers Klassifikation von Autorität. Mit dem Ende der territorialen Expansion, die wirtschaftliche Grundlage charismatischer Herrschaft ist, beginnt der Prozess des Übergangs. Mongolische Institutionen und Bräuche wie die herrscherliche Leibwache als Kern des imperialen Haushalts und Staates, Gewohnheitsrecht und Kriegerethos stehen den iranisch-islamischen Vorstellungen von Autorität und der šarī'a gegenüber. Die ökonomische Komponente des Konflikts zeigt sich in dem Streben der timuridischen Militärelite nach Unabhängigkeit durch vererbbaren und abgabebefreiten Landbesitz, dem das Interesse der persischen Bürokraten gegenüberstand, das Staatsbudget durch verlässliche Steuereinnahmen zu stabilisieren.
Das zweite Kapitel situiert Sulṭān-Ḥusain Bayqara in diesem Spannungsverhältnis. Durch Herkunft und Werdegang ist er den Traditionen der timuridischen Militärelite verbunden. So durchlebte er mehrere Phasen des qazaqliq, also des Vagabundierens und Beutemachens an den Rändern des Herrschaftsgebietes. Als Sulṭān-Ḥusain sich endgültig als Herrscher etabliert, setzt er wie seine Vorgänger auf eine duale Verwaltungsstruktur mit einem türkischen Diwan, der mit Anhängern aus der Zeit des qazaqliq besetzt ist, und einem Diwan für die Finanzverwaltung, dessen wichtigste Posten in persischen Bürokratenfamilien vererbt werden. Kapitel drei verdichtet den Konflikt am konkreten Beispiel eines Zentralisierungsversuchs unter Sulṭān-Ḥusain, der aber letztlich am Widerstand der timuridischen Militärelite und der ungebrochenen Bedeutung timuridischer Institutionen scheitert.
In den Kapiteln vier bis sechs beschreibt Subtelny die Suche nach einer langfristigen Lösung. Dies ist der Rahmen, in dem sie zu einer Neubewertung der Rolle religiöser Stiftungen für die wirtschaftlich politische Entwicklung des timuridischen Reiches kommt - einer These, die sie argumentativ in mehreren Schritten und gestützt auf verschiedene Quellentexte vorbereitet.
Zunächst wird in Kapitel vier die Agrarpolitik als wichtigster Faktor für die Stabilität der Staatsfinanzen etabliert. Die Erhaltung und Förderung der Landwirtschaft ist ein Kernelement der iranisch-islamischen Herrschaftskonzeption, die den timuridischen Herrschern von Mitgliedern der religiösen und bürokratischen Oberschicht durch Fürstenspiegel vermittelt wurde. Subtelny diskutiert drei dieser für die timuridische Agrarpolitik maßgeblichen Ratgeber. Ein Handbuch aus der Zeit Sulṭān-Ḥusains gibt Einblick in die kostenintensive Errichtung und Unterhaltung von Bewässerungsanlagen, die Grundlage der Landwirtschaft in Khorasan war. Die Messung von Wasser und Berechnung von Verteilungsschlüsseln oblag unter den Timuriden einer zentralen Behörde. Der hierfür zuständige Berufsstand der Buchhalter, die neben Mathematik, Geometrie und Astronomie eine spezielle Kurzschrift beherrschen mussten, erlebte unter Sulṭān-Ḥusain eine wahre Blütezeit, die Subtelny mit der gleichzeitigen Ausweitung der Landwirtschaft in Verbindung setzt.
In den letzten beiden Kapiteln breitet Maria Subtelny ihre eigentliche These aus, die mit der Rolle religiöser Stiftungen für die landwirtschaftliche Entwicklung zusammenhängt. Die herkömmliche Sicht ist, dass die islamrechtliche Institution des waqf (pl. awqāf), die Herauslösung eines Besitzes aus dem Wirtschaftskreislauf durch Stiftung, zu sinkender Produktivität führt. Im Anschluss an neuere Forschung hebt Subtelny hingegen den dynamischen Charakter der awqāf hervor und demonstriert ihren Wert als Geldanlage - denn im islamischen waqf ist die Gemeinnützigkeit oft mit dem Aspekt der finanziellen Versorgung von Nachkommen verbunden. Vor allem boten awqāf im timuridischen Kontext die Möglichkeit, Besitz bei moderaten Gewinnmöglichkeiten vor Konfiszierung und Zersplitterung zu schützen, während die Staatskasse von ermäßigten aber stabilen Steuereinnahmen profitierte. Sie stellten somit ein Mittel dar, mit dem das Eigeninteresse der Militärelite auf weitgehende Autonomie mit den landwirtschaftlichen Entwicklungsinteressen der Zentralbürokratie und der sesshaften Bevölkerung verbunden werden konnte. Diese Diskussion stützt sich abermals auf Quellentexte, von denen einer, die Stiftungsurkunde einer der Ehefrauen Sulṭān-Ḥusains, im Anhang übersetzt ist.
Der zweite zentrale Punkt aber, der laut Subtelny Stiftungen in der Timuridendynastie zum Vehikel landwirtschaftlicher Entwicklungen machte, ist die Effektivität der Verwaltung durch professionelle Buchhalter. Erfolgreiche Stiftungen in Familienbesitz lieferten den Timuriden die Blaupause für ihre Stiftungspolitik, die sich auf vernachlässigte Sufischreine konzentrierte, die durch große Stiftungen des Herrschers und der Elite zu Zentren der Landwirtschaft, des Handels und religiöser Wallfahrten wurden. Am Beispiel des Anṣārī Schreins außerhalb Herats illustriert Subtelny die religiös legitimierende und wirtschaftlich förderliche Wirkung solcher Komplexe und legt dar, dass dieser Schrein als Ausbildungszentrum für Buchhalter und Verwalter im ganzen Reich diente.
Mit dieser Beobachtung kann Maria Subtelny abermals an Max Weber anknüpfen, der den Kern wirtschaftlich rationalen Handelns in den religiösen Zentren der Klöster und Kirchen sah. Somit trägt der Bogen der Weberschen Modelle und taugt als Muster, um die Übergangsprozesse der timuridischen Dynastie im Spannungsfeld widersprüchlicher Kräfte zu beschreiben, die nach dem Tod SulḤān-Ḥusains durch die nächste Eroberungswelle türkisch-mongolischer Herrscher beendet und neu begonnen wurde. Insgesamt ist "Timurids in Transition" ein faszinierendes Buch, das eine detailreich unterfütterte These zur Dynamik mittelalterlicher Gesellschaften im iranisch-mittelasiatischen Raum liefert. Und durch den beeindruckenden, auf vielsprachige Sekundärliteratur zurückgreifenden Fußnotenapparat und die vielfältigen herangezogenen Quellentexte ist Maria Subtelnys Buch ein neuer Ansatz- und Referenzpunkt für Forschung und interessierte Leser.
Björn Bentlage