Adel Theodor Khoury: Der Ḥadīth. Quelle der islamischen Tradition. Band 1: Der Glaube, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2007, 456 S., ISBN 978-3-579-08066-6, EUR 49,95
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Aysha A. Hidayatullah: Feminist Edges of the Qur'an, Oxford: Oxford University Press 2014
Kerstin S. Jobst: Geschichte der Krim. Iphigenie und Putin auf Tauris, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2020
John Darwin: After Tamerlane. The Global History of Empire, London: Penguin Books 2007
Robert Gleave: Scripturalist Islam. The History and Doctrines of the Akhbārī Shīʿī School, Leiden / Boston: Brill 2007
Matthias Vogt: Figures de califes entre histoire et fiction. Al-Walīd b. Yazīd et Amīn dans la représentation de l'historiographie arabe de l'époque ʿabbāside, Würzburg: Ergon 2006
Kenntnisse der Grundlagen des Islams sollten Basis jeder Betrachtung von Gesellschaften sein, die durch diese Religion geprägt werden. Hierzu leistet Khoury mit seiner auf fünf Bände angelegten Publikation zum Ḥadīṯ-Material einen maßgeblichen Beitrag.
Die Sunna (Tradition, überlieferte Norm) des Propheten Muhammad ist nach dem Koran die wichtigste Rechtsquelle des Islams. Sie spiegelt seinen vorbildlichen Weg wider. Mit ihrer Verankerung im Koran "[...] und gehorcht Gott und seinem Gesandten, so ihr gläubig seid." (Sure 8,1) ist sie für Muslime verpflichtend. Das in ihr beschriebene Verhalten Muhammads soll Beispiel und Vorbild für die Gläubigen sein. "Ihr habt im Gesandten Gottes ein schönes Vorbild, [...]" (Sure 33,21). Khoury schreibt dazu: "Die Art und Weise, wie Muhammad inmitten seiner Gemeinde lebte und seine Pflichten als vorbildlicher Muslim erfüllte, wie er die Gläubigen auf den Weg Gottes führte, seine Sprüche, durch die er das Recht feststellte, das rechte Verhalten lobte, die verwerflichen Dinge tadelte, sein Schweigen, durch das er erlaubte Handlungen signalisierte - all das verdeutlicht seinen Weg und wurde durch verschiedene Gewährsleute erzählt. Ihre Berichte und Erzählungen (ḥadīṯh) wurden später gesammelt. Sie bilden die Traditionen des Islams und somit eine Hauptquelle der islamischen Religion." (16)
In der westlichen Islamwissenschaft und Orientalistik ist die Frage nach Charakter und Authentizität des Ḥadīṯ seit den Tagen Ignaz Goldzihers (1850-1921) virulent. Er wies mittels historisch-kritischer Methode die spätere Fälschung und Erdichtung von Ḥadīṯen aus partei- und machtpolitischen Interessen nach und stellte somit deren Nutzen für die wirklichkeitsgetreue Rekonstruktion historischer Ereignisse in Frage. Seit dieser Zeit erschienen zahlreiche Publikationen zu dieser Thematik. Verwiesen sei hier auf die Arbeiten von Joseph Schacht, Gregor Schoeler, Harald Motzki und Eerik Dikinson. Für Muslime ist die Sachlage jedoch eindeutig. Sie verfügen im Ḥadīṯ über sichere Nachrichten vom Reden, Handeln und billigendem Verhalten des Propheten. Die Gesamtheit der Ḥadīṯ-Überlieferungen bildet daher für Muslime ein rechts- und sinnstiftendes Werte- und Normensystem. Die Kenntnis dieses Werte- und Normensystems kann der westlichen Islamwissenschaft und Orientalistik helfen, religiöse, soziale und politische Prozesse innerhalb der 'Islamischen Welt' und zwischen der 'Islamischen Welt' und dem 'Westen' zu beschreiben und Erklärungsmuster zu finden.
"Der Ḥadīth. Urkunde der Islamischen Tradition. Band I. Der Glaube" ist der erste Band einer geplanten fünfbändigen Aufbereitung des normativen Überlieferungsmaterials. Es folgen: Band II, Religiöse Grundpflichten und Rechtschaffenheit (erschienen 2008); Band III, Ehe und Familie. Soziale Beziehungen. Einsatz für die Sache des Islams (erschienen 2009); Band IV, Die Tugenden; und Band V, Der Einsatz (djihād), Verschiedenes. Nach Abschluss des Vorhabens wird erstmals eine umfassende Auswahl von Ḥadīṯen in deutscher Sprache vorliegen, die sich nicht nur einem speziellen Sachverhalt widmet, sondern die gesamte Themenvielfalt der Überlieferungen abdeckt. Khourys Zusammenstellung schöpft ihr Material dabei nicht aus der arabischsprachigen Ḥadīṯ-Sammlung eines einzigen Autors, vielmehr sind in diese die sechs als kanonisch bezeichneten Ḥadīṯ-Sammlungen des sunnitischen Islams eingeflossen, d.h. die Werke von al-Buḫārī (Ṣaḥīḥ), Muslim (Ṣaḥīḥ), Abū Dāwūd (Sunan), Tirmiḏī (Sunan), Nasā'ī (Sunan) und Ibn M;ā;ǧa (Sunan).
Khoury möchte mit seiner Publikation die Aussagen des Ḥadīṯ einer breiteren Leserschaft zugänglich machen. Sein Vorhaben richtet sich sowohl an Islamwissenschaftler, als auch an allgemein interessierte Leser, um ihnen so eine Quelle des Islams zu erschließen, die sich als verbindliche Richtschur für das Denken, Reden, und Handeln der Muslime versteht. (11) Das von Khoury vorgelegte mehrbändige Werk versteht sich "als Beitrag zur weiteren wissenschaftlichen Bearbeitung des sehr umfangreichen Materials der islamischen Tradition." (24)
Bevor sich Khoury in Band I dem Ḥadīṯ von thematischer Seite her zuwendet, führt er den Leser kurz allgemein in das Thema Ḥadīṯ und Ḥadīṯ-Wissenschaft ein. (15-24) Khoury beschreibt die Aufgabe der Sunna, deren Basis der jeweils einzelne Ḥadīṯ ist, und begründet deren rechtlich-autoritative Wirkung durch den Koran. Er nennt die Kategorien von Überlieferungen (Reden, Handeln und billigendes Verhalten des Propheten) und weist darauf hin, dass nur die Überlieferungen für Muslime maßgeblich und verbindlich sind, welche der Führung der Gemeinde und der Feststellung rechtlicher Bestimmungen dienen. Zu den nicht allgemein verbindlichen Tatsachen und Äußerungen zählen Überlieferungen des persönlichen Verhaltens von Muhammad, wie beispielsweise sein Verhalten beim Essen, Trinken, Schlafen usw. Ebenso zählen Äußerungen zu Naturwissenschaften und Angelegenheiten der allgemeinen Lebenserfahrung dazu. (16-17) Anschließend wendet sich Khoury der Entstehung und dem Aufbau der Ḥadīṯ-Sammlungen zu. Man unterscheidet gängigerweise zwischen den Musnad-Werken, die nach dem Namen des ersten Gewährsmannes angeordnet sind, und den Muṣannaf-Büchern, bei denen Inhalt und Themen als Ordnungskriterien fungieren. Die Zusammenstellung der Sammlungen selbst ist das Ergebnis der frühen muslimischen Traditionskritik, die Kriterien entwickelte, um falsche oder fehlerhafte Traditionen von richtigen zu unterscheiden. (17-19) Bevor der theoretische Teil des Buches mit einer schematischen Auflistung der Hauptthemen der Ḥadīṯe endet (21-22), führt Khoury noch in die Handhabung der Sunna in Rechtsfragen ein (20-21).
Die inhaltliche Zusammenstellung der einzelnen Ḥadīṯe beginnt in Kapitel 1 mit Allgemeinem über den Islam und den Glauben. Hier werden Aussagen zu Grundlagen des Islams, Merkmalen des Glaubens und dem Streben nach und Nutzen von religiösem Wissen zusammengestellt. (27-58) Kapitel 2 widmet sich Aussagen zu Gottes Eigenschaften und den Glauben an die Vorherbestimmung (59-72); Kapitel 3 biographischen Informationen und persönlichen Charakterzügen des Propheten (73-123) und Kapitel 4 Verführungen und Anfechtungen des Glaubens. (124-150). Anzeichen der Stunde (Auferstehung) (151-175), Jenseits und Auferstehung (176-212) sowie Paradies und Hölle (213-241) kommen in den Kapiteln 5-7 zur Sprache und vermitteln so auf breiter Basis muslimische Vorstellungen zu diesen wichtigen Bereichen. Es werden unter anderem Ḥadīṯ zu Mahdi-, Antichristvorstellungen sowie zu Jesus Christus aufgeführt (Kapitel 5). Die Auferstehung der Toten, deren Erweckung, die Abrechnung der guten und schlechten Taten sowie die Fürsprache Muhammads am Gerichtstag finden sich in Kapitel 6. Das Jenseits selbst ist Thema des siebten Kapitels. Es wird die Hölle mit den Eigenschaften ihrer Bewohner, deren Speisen und Getränke sowie die Qualen der Verdammten beschrieben. Dem gegenübergestellt ist das Paradies, seine Bewohner und deren Eigenschaften, dessen Merkmale, Rangstufen, Flüsse, Quellen, Bäume, Pflanzen, Pferde sowie Gemächer, Zelte und Marktplätze.
Den umfangreichsten Teil des Bandes widmet Khoury den sich auf den Koran beziehenden Traditionen. In Kapitel 8 werden die Vorzüge des Korans, seine Rezitation und Lesarten, sowie die Sammlung des Korans unter den rechtsgeleiteten Kalifen beschrieben. Ebenso kann man hier Prophetentraditionen zu den Vorzügen einzelner Koransuren nachlesen. (243-286) Kapitel 9 bis 11 führen dann nach Suren geordnet Ḥadīṯe, die den Koran kommentieren, auf. (287-445) Das Buch schließt mit einem Index zu Koran- und Bibelstellen. (447-456)
Besonders für den des Arabischen Unkundigen, aber auch für Studenten und Islamwissenschaftler dürfte sich Khourys fünfbändiges Werk nach seinem Abschluss als praktisches Hilfsmittel erweisen. Der Charakter eines Nachschlagewerkes ermöglicht das zügige Finden von Prophetentraditionen zu bestimmten Themen. Auf diese Weise kann diese Reihe zur weiteren wissenschaftlichen Bearbeitung des umfangreichen Ḥadīṯ-Materials gut beitragen.
Thomas Krüppner