Giusto Traina: 428 AD. An Ordinary Year at the End of the Roman Empire, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2009, XIX + 203 S., ISBN 978-0-691-13669-1, GBP 14,95
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Versuche, Geschichte nicht im zeitlichen Längs-, sondern im räumlichen Querschnitt mit einer Fokussierung auf eine eng begrenzte Phase zu erzählen, sind in den Geschichtswissenschaften während der letzten Jahre vermehrt unternommen worden. Nun hat der geographisch weit gefasste Blick auf ein einzelnes Jahr auch die römische Spätantike erreicht: Mit Giusto Trainas Buch über das Jahr 428 liegt eine Monographie vor, die eine interessante Janusgestalt aufweist; aus der Querschnittperspektive bietet sie zum einen eine fundierte Einführung in die Geschichte des 5. Jahrhunderts. In den Einzelkapiteln, die dann doch traditionell narrativ angelegt sind und Ereignisverläufe in unterschiedlichen Regionen des Imperium Romanum behandeln, wird vielfach auf Spezialistenniveau argumentiert - insbesondere dann, wenn es um theologische und kirchenpolitische Fragen (vor allem im Zusammenhang mit Nestorios) geht. Das Jahr 428 ist für Trainas Anliegen indes gut gewählt; es bietet genügend ereignisgeschichtliches Material und reichlich prominente Akteure, um Anknüpfungspunkte zu allen Großräumen des Römischen Reiches zu finden.
Trainas Buch ist als große Wanderschaft durch das spätrömische Imperium angelegt. In 11 Kapiteln nimmt der Autor den Leser an die Hand, um mit ihm gemeinsam das Reich von Osten nach Westen und wieder zurück zu durchmessen. Jedes Kapitel ist einer Großregion gewidmet und behandelt zugleich Themenfelder, die vom Verfasser in irgendeiner Weise als charakteristisch für die Zeit um 428 angesehen werden.
Ausgangspunkt der Reise ist der Verlust der Unabhängigkeit Armeniens, das im Jahr 428 unter sasanidische Kontrolle geriet. Für die römische Seite entstand dadurch Handlungszwang: Einerseits musste, um nicht den Anschein von Schwäche zu erwecken, in irgendeiner Weise eine Reaktion erfolgen; zugleich wollte man aber keinen Krieg mit den Persern riskieren. Also entschied sich die römische Führung für eine diplomatische Initiative unter Führung des Generals Flavius Dionysius, der den Auftrag erhielt, "to save face by officially abandoning Armenia without allowing this to appear a passive acceptance of a fait accompli" (5). Das zweite Kapitel setzt mit der Rückkehr des Dionysius nach Antiocheia ein und beschreibt die nächste heikle Mission des versierten Diplomaten: Er hatte Nestorios, den neuen Bischof von Konstantinopel, von seinem Kloster bei Antiocheia in die Hauptstadt des Oströmischen Reiches zu eskortieren. Traina nimmt dies zum Anlass, um einen Einblick in das spätantike Syrien - mit Schwerpunkt Antiocheia - zu geben, kleinere Städte wie Edessa vorzustellen und mit Rabbula eine erste zentrale Gestalt aus der von ihm behandelten Zeit einzuführen. Im dritten Kapitel begleitet der Leser Dionysius und Nestorios auf ihrem Weg durch Kleinasien nach Konstantinopel. Kilikien mit dem Zentrum Tarsos, das kappadokische Kaisareia, Ankyra und Nikomedeia werden kurz beschrieben, Anmerkungen zur Situation der Altgläubigen in Kleinasien sowie zu den Rivalitäten der Bischöfe unterschiedlicher Städte im 5. Jahrhundert runden das Panorama ab. Konstantinopel steht sodann im Zentrum des anschließenden Kapitels; Traina gelingt eine konzise Beschreibung der Welt des Kaisers Theodosios II. (den er erfreulicherweise weniger negativ zeichnet als gemeinhin üblich), die in eine differenzierte Auseinandersetzung mit seiner Heidengesetzgebung mündet. Mit der Darstellung der Ankunft des Nestorios in Konstantinopel wird die Brücke zum vorangegangenen Kapitel geschlagen.
Etwas unvermittelt erfolgt im folgenden Abschnitt der Übergang in den Westen des Reiches, lediglich durch den Hinweis motiviert, dass Valentinian III. ein Vetter des Theodosios II. gewesen sei. Auch das Motiv des Wanderns, das die ersten Kapitel noch konzeptuell beherrscht hatte, wird jetzt aufgegeben. Stattdessen folgt nun unter der Überschrift "The Anatomy of an Empire" eine knappe Darstellung der Situation des Westens in der Zeit um 428, des Problems der Zugehörigkeit Illyriens sowie der Situation der "pagan intellectuals" (45). Das anschließende Kapitel richtet den Blick auf Italien. Mit Galla Placidia wird eine weitere wichtige Persönlichkeit der Zeit vorgestellt, bevor Ravenna und Rom als Zentren der Apennin-Halbinsel in knappen Digressionen behandelt werden. Kurze Schlaglichter werden dabei auch auf den römischen Senat, die wirtschaftliche Situation Italiens im 5. Jahrhundert sowie auf die Persönlichkeit des Paulinus von Nola geworfen. Im anschließenden Kapitel stehen die westlichen Provinzen des Imperium Romanum im Vordergrund - und damit auch das Thema Römer-Barbaren. Traina geht kurz auf aktuelle Diskussionen von Ethnizitätsfragen im Kontext spätantiker Migrationsbewegungen ein und plädiert dafür, die Ereignisse der Völkerwanderung differenziert und unter Vermeidung voreiliger Pauschalurteile zu analysieren. Es folgen dann wieder einzelne Schlaglichter, so etwa zum spätantiken Arles, zur Klosterinsel Lérins, zu Honoratus von Lérins, Johannes Cassianus, Salvian von Marseilles (den man aber besser nicht als repräsentativen Indikator für "the mood of the times" [73] heranziehen sollte), zum römischen Heermeister Aetius, generell zur Rolle der Heermeister im spätantiken Imperium sowie zur Situation Britanniens im 5. Jahrhundert. Die Wanderung führt im nächsten Kapitel nach Afrika; thematisiert wird dabei einerseits die Geschichte der Vandalen vor ihrem Übergang nach Nordafrika, andererseits Augustins Gottesstadt als Antwort auf die deplorable Situation Roms zu Beginn des 5. Jahrhunderts. Von Afrika aus führt die Reise im anschließenden Kapitel weiter nach Ägypten. Das Zentrum Alexandreia und die zentrale Figur Kyrills stehen hier im Vordergrund, bevor Traina sich ausführlicher dem streitbaren Asketen Shenute und dem koptischen Mönchtum widmet und Fragen religiöser Toleranz diskutiert. Als nächste Station der Reise erscheint Jerusalem mit seinem rührigen Patriarchen Juvenal und dem ebenso tatkräftigen wie einflussreichen palästinischen Mönchsvater Euthymios, bevor sich im letzten Kapitel der Kreis schließt und - unter Hinweis auf die eingangs diskutierte Armenienfrage - der Blick über die Grenzen des Imperium Romanum gerichtet wird, wobei insbesondere die teils legendär verklärte Gestalt des Sasanidenherrschers Bahram V. ins Zentrum der Darstellung rückt. Ein kurzer Epilog listet all die Figuren, denen man in den vorangegangenen Kapiteln begegnet war, noch einmal auf und berichtet in jeweils 2-3 Zeilen über ihr weiteres Schicksal.
Wer diese Rezension bis hierher gelesen hat, mag sich über die punktuellen Inhaltsreferate wundern. Sie spiegeln indes den Gesamteindruck, den man nach der Lektüre der Monographie gewinnt: Eine niveauvolle Darstellung ganz unterschiedlicher, schlaglichtartig anmutender Einzelepisoden, die geistreich und unter Einbeziehung aktueller Forschungen (hervorragender Anmerkungsapparat!) behandelt werden, aber letztlich unverbunden nebeneinander stehen, zumal es Traina nicht gelingt, wenigstens das Motiv des Wanderns als Roten Faden konsequent durch das Buch zu spinnen. Ereignisse, Zusammenhänge, Personen, Forschungsdiskussionen und wechselnde Themenbereiche kommen und gehen, aber ein kohärentes Gesamtbild entsteht dabei nicht, stattdessen erzwingt die Fokussierung auf das Jahr 428 fragwürdige Gewichtungen. So wird z.B. im Afrika-Kapitel viel über die Herkunft und Geschichte der anrückenden Vandalen gesagt - aber der entscheidende Punkt ist doch ihr Übertritt auf den Kontinent; dieser aber wird ausgespart, weil er erst 429, also nach dem hier in Rede stehenden Jahr, erfolgte. Die Schwerpunktsetzung auf 428 hat auch zur Folge, dass im Italien-Kapitel einigermaßen ausführlich auf Coelestin I. eingegangen wird, die wesentlich bedeutenderen römischen Bischöfe jener Epoche aber keine Erwähnung finden. Sucht man nach Grundgedanken, die das Buch zusammenhalten, so könnte man vielleicht Trainas wiederholt formulierte These anführen, dass das Imperium Romanum sich 428 in einer Konsolidierungsphase befand, die auch in einer wieder zunehmend engeren Verbindung beider Reichshälften Niederschlag gefunden habe. Auch die mehrmalige Betonung der schädlichen Wirkungen religiösen Fanatismus unter den Christen könnte als Leitgedanke angesehen werden. Alles in allem bleibt es jedoch bei einer Vielzahl von Einzelbeobachtungen, die nebeneinander stehen, aber keinen gemeinsamen Fluchtpunkt besitzen.
Mischa Meier