Inga Brinkmann: Grabdenkmäler, Grablegen und Begräbniswesen des lutherischen Adels, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2010, 432 S., ISBN 978-3-422-06918-3, EUR 58,00
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Als Dissertationsschrift im Jahr 2008 an der Freien Universität Berlin angenommen, finden die Forschungen von Inga Brinkmann mit ihrem im Deutschen Kunstverlag veröffentlichten Buch einen vorläufigen und, um es vorwegzunehmen, einen überaus würdigen Abschluss.
Die im Titel gestellte Aufgabe verspricht das bisher wenig erforschte Gebiet der Funeralrepräsentation des lutherischen Adels im 16. und 17. Jahrhundert zu durchleuchten. Sie ist eingebettet in die aktuellen Forschungen zur Konfessionalisierung im Alten Reich. Sie zielt auf die zentrale Frage nach Auswirkungen der lutherischen Lehre auf die Kunst im Kirchenraum, nach Traditionen und Innovationen.
Inga Brinkmann untersucht den reichen Bestand der Grabmahlskunst lutherischer Adliger nicht allein nach Gestaltung und Funktion; etwa 200 dieser Monumente auf dem Territorium des Alten Reiches in ihren für sich genommen oft individuellen und regional verschiedenen konfessionellen, politischen und kirchenrechtlichen Rahmen, erwachsen zu einer kaum im Ganzen zu bewältigenden Herausforderung.
Ihre Einleitung führt zunächst in deutlicher Kürze durch die Forschungslage, bevor sie ihren methodischen Ansatz erläutert (19-25). Wesentlich für die Klarheit der Darstellung ist die "kritische Abgrenzung von gängigen Einschätzungen zur frühneuzeitlichen lutherischen Sakralkunst" (26-46). Die bekannten Probleme mit der lutherischen Bilderfrage, der Bildfunktion oder dem neuen Bildgebrauch, deren Deutungsversuche zumeist nicht ohne Rekurs auf die Schriften Luthers geschehen oder umgekehrt die bekannte Auffassung von der "Kunst als Glaubensbekenntnis", wären für die Autorin zu verengt - sie greift weiter aus. Zwei Fallstudien, die Grabdenkmäler des Matthias von der Schulenburg in Wittenberg und Herzog Johann Friedrich dem Mittleren von Sachsen in Coburg entfalten exemplarisch ein Beziehungsgefüge funktionaler, rechtlicher und kirchlich-institutioneller Bedingungen in ihrem Einfluss auf die Gestaltung dieser Monumente.
Als Voraussetzung für eine eingehende Betrachtung der einzelnen Denkmäler, stellt Inga Brinkmann Untersuchungen von Auffassung, Funktion und Gestaltung des lutherischen Begräbniswesens voran (47-80). Einen auffallend hohen Stellenwert für die Wirkung der neuen lutherisch-kirchlichen Organisationsstruktur erhalten die Kirchenordnungen. Ein nicht unwesentlicher Aspekt in Bezug auf Ausstattung und Aufwand von Begräbnissen der unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten bestand nicht nur im Umgang mit Begräbnisgebühren (67-71), sondern insbesondere auch in den Auswirkungen des in Form und Funktion veränderten lutherischen Totengedächtnisses (75-80).
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, worin das Besondere am Begräbniswesen des lutherischen Adels besteht. Die Wahrnehmung ihrer Ehrenrechte für die Wahl des besten Begräbnisplatzes, ihr herrschaftlich inszeniertes Trauerzeremoniell sowie ihre spezielle Trauerpublizistik betrachtet Brinkmann gleichermaßen innerhalb des reichsunmittelbaren wie des landsässigen Adels in ihrer eigenen und speziellen Verschiedenartigkeit von ständischer und dynastischer Repräsentation (81-104).
Mit diesem Wissen wird der Leser nun vor die einzelnen Grablegen und Grabdenkmäler geführt. Er lernt ihre Nutzungs- und Gestaltungsgeschichte im 16. und 17. Jahrhundert kennen und erfährt Auftraggeber- und Künstlerzusammenhänge sowie ihre Stellung und Wechselbeziehungen der Grabmonumente zu anderen Ausstattungen im Kirchenraum (105-230). Als wichtige Beispiele führt die Autorin die Grablegen der Herzöge von Mecklenburg in Güstrow und Schwerin, der Wettiner in Weimar und Freiberg, der Herzöge von Württemberg in Tübingen und Stuttgart an. Ebenso umfassend beschreibt sie einige Grablegen des landsässigen Adels wie die der Familien von Grünrod, von Beust, von Bünau, Pflugk, von Brösicke und von der Schulenburg, von Alvensleben und von der Asseburg.
Ohne eine solch umfangreiche Materialkenntnis würde die nachfolgend ausgebreitete "systematisch-übergreifende Analyse" kaum gelingen, würden "Charakteristika der Funeralrepräsentation des lutherischen Adels im Kontext ihrer religiösen, rechtlichen und funktionalen Rahmenbedingungen" kaum herauszufeilen sein. Zunächst erörtert die Autorin die "Bedingungen zur Begründung neuer und zur Weiternutzung alter Grablegen" (231-263). Sie geht der Frage nach, ob Gründe für die Weiternutzung alter oder der Begründung neuer Grablegen mit dem Konfessionswechsel, mit Tradition oder Herrschaftskontinuität zusammenhängen; sie beschreibt und ordnet die äußeren Gestaltungsmerkmale der Grabdenkmäler (264-337) und untersucht danach folgerichtig die Inanspruchnahme der residenzstädtischen Pfarrkirchen für das herrschaftliche Funeralwesen (338-346) sowie seine herrschaftlich-repräsentativ ausgerichtete Instrumentalisierung (351-357), um schließlich den Umgang mit vorreformatorischen Grablegen zur Sprache zu bringen (358-371).
Erwartungsgemäß schließt sich die Betrachtung der Funeralrepräsentation des lutherischen Adels im Verhältnis zu vorreformatorischen und frühneuzeitlich-katholischen Traditionen an (375-402). Hierin wird der Untersuchungsgegenstand nicht nur an seine vorreformatorischen Entwicklungszusammenhänge geführt, es wird der Blick auch auf das noch wenig untersuchte Funeralwesen des Adels katholischer Konfession gerichtet. Dem kurzen wie prägnanten Schlusskapitel (403-409) folgt ein äußerst praktisches Orts- und Personenregister.
Insgesamt beeindruckt die präzis und kenntnisreich erschlossene Materialfülle früher protestantischer Grabdenkmäler im Territorium des Alten Reichs: Eine Grundlagenarbeit von unschätzbarem Wert. Sie bereichert und korrigiert die Forschung zur konfessionellen Kunst darüber hinaus mit wichtigen Ergebnissen. In ihrer breiten und kontextbezogenen Ausrichtung spricht sie einen erfreulich großen Interessentenkreis an.
Burkhard Kunkel