Christina Strunck: Berninis unbekanntes Meisterwerk. Die Galleria Colonna in Rom und die Kunstpatronage des römischen Uradels (= Veröffentlichungen der Bibliotheca Hertziana; Bd. 20), München: Hirmer 2007, 622 S., ISBN 978-3-7774-3305-9, EUR 150,00
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Bücher über Gianlorenzo Bernini gibt es in Fülle. Und Jahr für Jahr erscheinen neue Arbeiten, die sich Leben und Werk des großen Künstlers der Barockzeit widmen. Die jüngste Bernini-Biografie von Arne Karsten (2006) soll hier genauso erwähnt werden wie das von Pablo Schneider und Philipp Zitzlsperger neu herausgegebene Chantelou-Tagebuch über Berninis Aufenthalt in Paris (2006). Charles Avery hat sich mit den Skulpturen (2007), Zitzlsperger mit den Papst- und Herrscherporträts (2002) Berninis befasst. Felix Ackermann spezialisierte sich auf Berninis Altäre (2007), Frank Fehrenbach auf seinen Vierströmebrunnen (2008). Das sind nur einige der Monografien, die bereits in unserem neuen Jahrtausend in deutscher Sprache erschienen sind. Dazu kommen noch Ausstellungskataloge aus Florenz (2009), Los Angeles (2008) und Rom (2007/08) sowie zahlreiche wissenschaftliche Beiträge in Form von Aufsätzen in Festschriften und Tagungsbänden, die das Wissen über Person und Schaffen des Architekten und Bildhauers erweitern.
Umso überraschender, dass auch heute noch Entdeckungen möglich sind. Christina Strunck ist es bei ihren Forschungen für ihre bereits im Jahr 2000 in Berlin bei Rudolf Preimesberger eingereichte Dissertation gelungen, Giovanni Lorenzo Bernini als Autor der Galleria Colonna ans Licht zu bringen. Sie publizierte ihre Forschungsergebnisse unter dem Titel ''Berninis unbekanntes Meisterwerk. Die Galleria Colonna in Rom und die Kunstpatronage des römischen Uradels''. Zum Umfang des Werkes von 619 Seiten tragen nicht zuletzt die zahlreichen, teilweise farbigen Tafeln und die aussagekräftigen Zeichnungen nach Rekonstruktionen der Autorin bei, die die 154 Abbildungen im Text ergänzen.
Ermöglicht wurde diese imposante Arbeit, weil Strunck als Erste das Archivio Colonna, das bis dahin für Wissenschaftler praktisch nicht zugänglich war, in seiner unübersichtlichen Materialfülle systematisch erforscht und die Dokumente akribisch ausgewertet hat. So konnte sie einzelne Bauabschnitte Schritt für Schritt rekonstruieren, das Galerieprogramm analysieren und in diesem Zusammenhang beweisen, wie sich Architektur und Dekoration in der Galerie wechselseitig beeinflussten.
Es handelt sich bei Struncks Werk aber nicht um eine rein kunsttheoretische Arbeit. Vielmehr ging es der Autorin um das Zusammenwirken von Kunst und Politik. Dazu brachte sie die Familiengeschichte der Colonna und die Sozialgeschichte der Zeit in Rom in Verbindung mit dem Gesamtkunstwerk der Galerie als Repräsentationsraum der Familie. Anhand des Stammbaums werden die Rivalitäten zwischen den verschiedenen Familienmitgliedern und -zweigen, ihr Verhältnis zu den Päpsten des 17. Jahrhunderts, aber auch ihre Statusansprüche und ihre Pflege der Beziehungen zur Weltmacht Spanien und damit ihr Aufstieg an die Spitze der römischen Gesellschaft geschildert.
Das dritte und bei weitem umfangreichste Kapitel ist der Baugeschichte des Palazzo Colonna gewidmet, beginnend mit der Literatur zum 15. und 16. Jahrhundert und endend - über einen kurzen Abstecher zu Audrey Hepburns Filmauftritt in William Wenders ''Roman Holiday'' (137) in der Galleria - bald nach der Mitte des 20. Jahrhunderts. Das ist aber nicht der einzige Bezug zu unserer Zeit. Genau hundert Seiten später, im Abschnitt über die Gewölbefresken mit der Darstellung der Seeschlacht von Lepanto, bei der Marcantonio Colonna als Sieger über die Türken vorgeführt wird, verweist Strunck auf die Benennung einer römischen Metrostation und einer Straße, außerdem noch auf ein Kulturzentrum namens Lepanto, das 1995 zu Rosenkranzgebeten aufrief, als die damals größte Moschee Europas ausgerechnet in Rom eröffnet - Strunck schreibt etwas unglücklich ''geweiht'' (237) - wurde. Schließlich wird auch noch die exakte Kopie der Galleria Colonna im Ballsaal des 1932 gebauten italienischen Luxus-Kreuzers Conte di Savoia (375) erwähnt.
Zurück ins 17. Jahrhundert. Ausführlich beschäftigt sich Strunck mit dem Palastumbau Lorenzo Onofrio Colonnas und seiner Selbstinterpretation als Sol-Apoll, die in der Dekoration der weitläufigen Palastanlage mit vielfältigen Bezügen zur Sonne deutlich wird. Der Exkurs zur Sonnensymbolik (177-183) ist genauso von allgemeinem Interesse wie die eingeschobenen Beiträge zur Säulen-Exegese (207-219) sowie zur epischen Malerei (262-278).
Nach Antonio del Grande und Johann Paul Schor, deren Anteile an Galeriebau und -ausstattung Strunck herausarbeitet, und großen statischen Problemen, die sogar einen Einsturz der Galerie befürchten ließen, musste das Konzept gründlich überdacht werden. Dafür wurde - wie die Autorin mithilfe der von ihr ausgewerteten Misure e stime einwandfrei belegen konnte - kein geringerer als Gianlorenzo Bernini geholt. Ihm gelang es, ''unter Berücksichtigung der bestehenden Galeriearchitektur einen neuen, großartigeren Raumeindruck zu erzeugen, der die gesellschaftliche Spitzenstellung Lorenzo Onofrio Colonnas adäquat visualisieren und den Besucher mit Staunen und Ehrfurcht erfüllen sollte'' (220). Strunck sieht in der Galerie einen Thronsaal für den ungekrönten König von Rom.
Bernini lieferte in seiner Funktion als Architekt nicht nur das neue Raumkonzept der Galerie, sondern er wurde auch zur Begutachtung der Deckenfresken herangezogen, die aufgrund der umfassenden Archivarbeit neu datiert werden konnten - in die Zeit von 1665 bis 1685. Das familiengeschichtlich ausgerichtete Freskenprogramm, das vor allem die Verdienste Marcantonio Colonnas in der Seeschlacht von Lepanto hervorhebt, erhöht die repräsentative Wirkung der Galerie noch.
Der umfangreiche Anhang im Buch bietet wichtige Informationen wie den übersichtlichen Stammbaum, eine Chronologie des Baufortschritts, Maße der Galerie und ein Glossar für die beiden darauffolgenden Dokumententeile dar. Die beachtliche Bibliografie sowie Personen- und Ortsregister erleichtern dem Leser die Nutzung des gewichtigen Werkes.
Es gibt an diesem Buch kaum etwas auszusetzen. Störend fallen gelegentliche Wiederholungen auf, wenn zum Beispiel auf einer einzigen Seite (147) in ganz ähnlichem Wortlaut zweimal kurz nacheinander darauf verwiesen wird, dass ''der heutige westliche Anraum'' beim Galeriebau unangetastet geblieben wäre. Wenn es etwas verharmlosend heißt, dass 1570 die Türken die Insel Zypern, damals in venezianischem Besitz, ''beansprucht'' hätten, so mag das eine unglückliche Wortwahl sein (242). Tatsächlich rückten die Osmanen mit einer gewaltigen Kampfflotte an, um die Insel zu erobern.
Mit diesem Buch bereichert Christina Strunck die kunsthistorische Literatur zu Berninis Schaffen um ein bedeutendes Werk. Es zeichnet sich aus durch die sorgsame Erschließung und Auswertung sämtlicher auffindbarer Archivalien und durch die profunde Bearbeitung des umfangreichen Materials. In der Folge wird der Leser konfrontiert mit neuen Daten zur Baugeschichte und er erhält neue Einsichten in die Bemühungen eines römischen Adelsgeschlechts im 17. Jahrhundert, mithilfe von Architektur und Ausstattung ihres Palastes in Politik und Gesellschaft seinen Statusanspruch zu behaupten.
Edith Schmidmaier-Kathke