Arne Lankenau: "Dunkel die Zukunft - Hell der Mut!". Die Heidelberger Studentenverbindungen in der Weimarer Republik 1918-1929 (= Heidelberger Abhandlungen zur Mittleren und Neueren Geschichte. Neue Folge; Bd. 18), Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2008, 305 S., ISBN 978-3-8253-5527-2, EUR 49,00
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Noch bis vor wenigen Jahren gehörte zu den kaum hinterfragten Axiomen in der Universitäts- und Bildungsgeschichte, dass die Sozialisation der späteren Eliten der Weimarer Republik und des 'Dritten Reiches' in den studentischen Verbindungen des Kaiserreichs entscheidend dazu beigetragen habe, dass der von diesen gepflegte akademische Illiberalismus sich in Deutschland mittelfristig gegen ältere liberaldemokratische Traditionen durchsetzen konnte. Den Verbindungen wurde bzw. wird insofern eine zentrale Rolle bei der Herausbildung des "deutschen Sonderwegs" zugesprochen, was deren Bild in der jüngeren historischen Forschung nachhaltig - nämlich überwiegend negativ - prägte. In letzter Zeit wird jene vor allem auf Konrad Jarausch zurückgehende These durch detaillierte vergleichende Lokalstudien zunehmend relativiert, so etwa durch die 2006 erschienene Tübinger Dissertation von Sonja Levsen "Elite, Männlichkeit und Krieg. Tübinger und Cambridger Studenten 1900-1929" oder die 2008 vorgelegte Studie von Thomas Weber "Our friend 'The enemy'. Elite education in Britain and Germany before World War I", welcher die studentischen Milieus der Universitäten Oxford und Heidelberg vor dem Ersten Weltkrieg vergleichend untersucht hat. Der vorliegende Band, eine 2008 angenommene Heidelberger Dissertation, ist geeignet, den Ausgangspunkt für weitere vergleichende Studien zu bilden, nimmt er doch das Heidelberger verbindungsstudentische Milieu zwischen 1918 und 1929 in den Blick. Anders als die bereits 1990 erschienene Studie von Norbert Giovannini "Zwischen Republik und Faschismus. Heidelberger Studentinnen und Studenten 1918 bis 1945" hat Arne Lankenau neben den einschlägigen gedruckten Quellen und der Sekundärliteratur umfassend unveröffentlichtes Material zahlreicher Heidelberger Studentenverbindungen ausgewertet, so etwa die Korrespondenzblätter der Burschenschaft Allemannia, der Schwarzburgverbindung Hercynia, der Landsmannschaften Cheruskia, Teutonia und Zaringia, der Turnerschaft Ghibellinia, des Corps Rhenania, der Sängerschaft Thuringia (heute Corps Thuringia), ferner ungedrucktes Quellenmaterial aus den Verbindungsarchiven der Verbindung Karlsruhensia, der Burschenschaft Frankonia, des Heidelberger Wingolfs, des Corps Rhenania und der Landsmannschaft Teutonia. Die CV-Verbindung Arminia, in der Weimarer Republik die bedeutendste katholische Verbindung Heidelbergs, sowie die Corps Saxo-Borussia und Suevia hatten die Auswertung ihrer Archivbestände, wie Lankenau schreibt, dagegen abgelehnt. Angesichts immer wieder vor allem in der Publizistik zu beobachtender Tendenzen, die Verbindungen pauschal in die rechtsextreme Ecke zu stellen, ist dieses Verhalten zwar erklärbar, doch andererseits zweifellos geeignet, Verdächtigungen, es gebe da etwas zu verbergen, gerade erst zu schüren. Lankenau war in solchen Fällen genötigt, sich auf gedrucktes Quellenmaterial, etwa die Zeitschriften der korporationsstudentischen Dachverbände, zu beschränken. Dies gilt auch für die jüdischen Verbindungen Heidelbergs, deren Archivgut durch die Nationalsozialisten weitgehend zerstört wurde. Insgesamt stellen die verwendeten Bestände einen guten Querschnitt durch das verbindungsstudentische Milieu Heidelbergs in den 1920er Jahren dar, sieht man einmal davon ab, dass das in Heidelberg allerdings vergleichsweise schwache katholische Verbindungswesen leider etwas unterrepräsentiert ist.
Lankenau analysiert in seiner Studie die verbindungsstudentische Subkultur vorwiegend unter Sachgesichtspunkten: Selbstverständnis, Ziele und soziale Zusammensetzung; korporatives Leben; der Erste Weltkrieg in der Lebenswelt der Korporierten; Antisemitismus; Verhältnis zu Staat, Nation und Republik; Heidelberger Hochschulpolitik; Korporationen, Professoren und Universität; Genderfragen. Die Studentenverbindungen waren in den 1920er Jahren eine nicht zu unterschätzende Kraft an der Universität Heidelberg. Ihnen gehörten, wie Lankenau ermittelt hat, ca. 25 bis 30 Prozent der Heidelberger Studenten an, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass an zahlreichen Universitäten des deutschen Sprachraums die Organisationsgrade noch höher waren. Die Korporationen waren allerdings kein geschlossener Block, sondern - trotz grundsätzlich vergleichbarer politischer Haltungen bzw. hochschulpolitischer Interessen - in hohem Maße partikularistisch aufgefächert. Insbesondere die Konfession (katholisch, christlich/protestantisch, jüdisch), aber auch die Haltung zum "Schlagen" (also zu Satisfaktion und Mensur) bedingte Abgrenzung bis hin zu offener Feindschaft. Tonangebend in Heidelberg waren die schlagenden Verbindungen, v.a. die Corps und Burschenschaften; charakteristisch war neben der relativen Schwäche der katholischen Verbindungen die relative Stärke der beiden jüdischen Verbindungen Bavaria ("deutsch-vaterländisch") und Ivria (zionistisch). Diese sahen sich seit den frühen 1920er Jahren in zusätzlicher Weise dadurch isoliert, dass der Heidelberger Waffenring den jüdischen Verbindungsstudenten die Satisfaktion, also die Genugtuung im Falle einer Verletzung der Ehre durch die Waffe, verweigerte, jene also aus der Gemeinschaft des als "honorig" und damit als gleichberechtigt anerkannten (waffen-)studentischen Kollektivs ausschloss. Die Heidelberger Waffenstudenten vollzogen damit einen Schritt, der in Österreich unter dem Eindruck der Schönerer-Bewegung bereits ein Vierteljahrhundert früher getan worden war. Damit einher ging auch eine wachsende Öffnung der schlagenden Verbindungen für radikalnationalistisches und völkisches Gedankengut. Zum 1926 gegründeten NS-Studentenbund gingen die Heidelberger Waffenstudenten bis 1929 auf Distanz; dies änderte sich erst, als jener unter Baldur von Schirach seine antibürgerliche und korporationsfeindliche Linie scheinbar aufgab.
In politischer Hinsicht unterschieden sich die Haltungen der Heidelberger Korporierten kaum von denen ihrer Gesinnungsgenossen an anderen Hochschulen des Reichs: Die Waffenstudenten, von denen sich insbesondere die Corps als unpolitisch verstanden, fühlten sich überwiegend dem konservativen und nationalliberalen Lager zugehörig und lehnten die Weimarer Republik mehrheitlich ab; der Obertitel des Bandes, ein Zitat aus dem Gästebuch der "Karlsruhensia" von 1931, bringt dieses Distanzierung treffend zum Ausdruck. Die katholischen Verbindungen neigten indes mehrheitlich dem Zentrum zu, welches von 1919 bis 1932 in Berlin durchgängig Regierungspartei war und in der Republik Baden als stärkste Partei im Landtag bis 1933 meist den Staatspräsident genannten Regierungschef stellte. Daraus resultierte eine größere Nähe der katholischen Korporationen zur Weimarer Demokratie, wie sie auch reichsweit festzustellen ist, wobei charakteristisch war, dass die "Aktiven" vielfach rechts von den Altherrenschaften standen. Republiktreu waren auch und vor allem die jüdischen Korporationen. Gemeinsam war allen studentischen Verbindungen trotz weltanschaulicher Unterschiede, dass sie sich als Gesinnungsgemeinschaften verstanden, deren Aufgabe es war, künftige Führungs- und Funktionseliten hervorzubringen. Dieses Selbstverständnis hatte seine Wurzeln in der Wertewelt des Kaiserreichs, doch wird in Lankenaus Studie deutlich, dass die militärische Niederlage im Ersten Weltkrieg und der politische Zusammenbruch des Kaiserreichs bei den Korporationen zu einer Radikalisierung des überkommenen Gedankenguts führten. Die nach 1919 studierenden Kriegsteilnehmer, die insgesamt reifer und älter waren als die "gewöhnlichen" Studierenden dieser Jahre, bewirkten nur für kurze Zeit eine Mäßigung; das "Fronterlebnis" wurde von der Mehrheit der nachrückenden jungen Generation vielmehr zunehmend im Sinne einer Abgrenzung vom "Weimarer System" tradiert. Insofern kann bei allen Unterschieden im Detail, v.a. mit Blick auf die katholischen und jüdischen Verbindungen, festgehalten werden, dass auch in Heidelberg die studentischen Verbindungen in ihrer Mehrheit nicht unerheblich zum Niedergang der Weimarer Republik beitrugen. Es wäre wünschenswert, dass dieser Befund durch weitere Lokalstudien und international vergleichende Arbeiten weiter differenziert erhärtet werden könnte.
Matthias Stickler