Massimo Bulgarelli: Leon Battista Alberti, Mailand: Electa 2008, 236 S., ISBN 978-88-370-4064-2, EUR 95,00
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An humanistischer Bildung kann kein moderner Architekt Leon Battista Alberti das Wasser reichen. So bleibt er eine der größten Herausforderungen der Baugeschichte, zumal kaum Zeichnungen von ihm überliefert sind und er seine Baustellen nur selten betreten hat. Massimo Bulgarelli wendet sich von der traditionellen Künstler-Monografie ab und sucht das Geheimnis von Albertis Architektur vor allem in der Bauornamentik. So erfährt der Leser wenig über Ausbildung und Werdegang des 1404 in Genua geborenen uomo universale, der in Padua und Bologna kanonisches Recht, Physik und Mathematik studierte und sich dann einer Beschreibung Roms und Traktaten über das häusliche Leben, über Skulptur, Malerei und Architektur widmete. Er leitete eine neue Ära der Architekturgeschichte ein, doch wird seine Beziehung zu den prominenten Auftraggebern der Zeit, für die er seit den späten vierziger Jahren als Berater und Architekt tätig war, von Bulgarelli kaum erörtert.
Was bedeutete Schmuck für Alberti? Während er die Schönheit eines Bauwerks vor allem in dessen Verhältnissen sah, betrachtete er das Ornament als Attribut, das ihm, ähnlich einer zweiten Haut, Individualität verleihen sollte - als ein Gewand, das den Status eines Herrschers oder Würdenträgers zur Geltung bringt. Wie den antiken Autoren geht es auch Alberti um einen vollkommenen Einklang von Schönheit und Ornament, und so räumt er ein, dass die repräsentative Funktion des Ornaments Kunstfertigkeit verlangt und damit Technik und Dekoration zu einem ausgewogenen Dialog finden müssen. Seine Schrift De Re Aedificatoria wie auch seine Bauten lassen nicht den geringsten Zweifel an der Notwendigkeit architektonischen Schmucks. Als Humanist warnt er zugleich vor der Kluft zwischen Natur und Künstlichkeit, wie sie insbesondere bei der Schminke der Frau in Erscheinung trete.
Alberti benutzt verschiedenste Quellen der Antike, des Mittelalters und seiner eigenen Zeit. Er verwertet heidnische und religiöse Topoi und greift sowohl auf rhetorische Systeme als auch auf philosophische Konzepte und auf die juristische Sprache zurück. Sein breites Wissen erlaubt es ihm, seine Modelle den politischen, religiösen und lokalen Bedingungen anzupassen. In diesem Sinn versteht sich auch sein Traktat nicht als Erläuterung und Empfehlung bestimmter Paradigmen, sondern ist der Frage gewidmet, auf welche Weise diese den spezifischen Programmen kultivierter Bauherren zu assimilieren seien. Bulgarelli führt aus, dass Albertis Bauten bewusst auf das politische und kulturelle Milieu in Florenz und Mantua abgestimmt waren, und er zeigt, wie seine antikischen Vorstellungen durch autochthone Überlieferungen gefiltert wurden. Konnte die Republik Florenz, das fortschrittlichste künstlerische Zentrum Italiens, das stets von den Machtansprüchen der Medici bedroht war, auf die grandiose Baukunst der vorangehenden Jahrhunderte zurückblicken, so war das von den Gonzaga regierte Mantua auf künstlerische Impulse von außen angewiesen.
Bulgarelli ist überzeugt, dass die dekorativen Systeme der Bauten bis ins Detail von Alberti selbst entworfen wurden und dass sie solche Umdeutungsprozesse widerspiegeln. Doch wie wurden diese Ideen in den Bau übersetzt? Um der Ruhmsucht des Sigismondo Malatesta und seiner Frau gerecht zu werden, deren Gräber beiderseits des Eingangsportals geplant waren, übernahm Alberti in der Fassade des Tempio Malatestiano in Rimini die Formen des benachbarten Augustusbogens. Um eine Verklammerung mit den Pfeilerarkaden der Seitenfronten zu erreichen, verwendete er Profile, die unvermittelt an der Fassade enden. Ohne tragende Glieder schwebt das Gebälk frei an den Ecken und betont den dekorativen Charakter der prachtvollen Halbsäulen.
Beim Portal von Santa Maria Novella setzt Alberti perspektivische Kunstgriffe ein: Die Pilaster verjüngen sich nach hinten, um den Eindruck größerer Tiefe zu suggerieren. Dass Alberti Überschneidungen schätzte, offenbart die Fassade von Sant'Andrea in Mantua, wo die Arkade in illusionistischer Weise ins Gebälk einschneidet. Auch der in den Giebel eindringende Bogen von San Sebastiano geht wohl auf Alberti zurück. Fast alle diese ausgeklügelten Kunstgriffe, die an Methoden der Rhetorik und der Kunsttheorie erinnern, knüpfen an Modelle der römischen Antike an.
In den Fassaden vom Palazzo Rucellai und von Santa Maria Novella in Florenz verbindet er die lokale Tradition aufs geschickteste mit antiken Prototypen. Der Aufriss des Palastes folgt zwar dem Modell von Michelozzos Palazzo Medici, aber die Superposition der Pilasterordnungen in den drei Geschossen und das von Kolosseum inspirierte Gebälk evozieren die Antike. Die offenen Bögen der Fenster des Palazzo Medici "tektonisiert" Alberti, indem er die Säulen der Biforien durch ein Gebälk zu einer Ordnung vervollständigt. Die glatt und regelmäßig behandelten Bossen stehen der reißbrettscharfen Präzision eines Piet Mondrian nicht nach, während die sich davon absetzenden Pilaster die antiken Vorbilder zu "berichtigen" scheinen.
Bei der Fassade von Santa Maria Novella verstand es Alberti, trecenteske Elemente wie Grabnischen, Blendarkaden und hochrechteckige Felder in ein vitruvianisches Konzept einzubeziehen. Dabei gibt er den Vorrang solchen antiken Motiven, die in Bauten des Florentiner Mittelalters wie San Miniato überliefert waren: aus Pilastern und Halbsäulen gebildete Zwillingsstützen an den Ecken des Erdgeschosses, ein Giebel als monumentaler oberer Abschluss. Dank des geometrischen Rasters aus weißen und grünen Platten bewahrt der Aufriss trotz des klassizistischen Zuschnitts von Albertis Ergänzungen seine lokale Komponente. Im Portal der Kirche variiert er sogar den "arco inquadrata" von Masaccios Trinità.
Im Kapitel über Sant'Andrea in Mantua, das Alberti ursprünglich als etruscum sacrum für die etruskische Gründung und die Stadt Vergils geplant hatte, setzt sich Bulgarelli mit dem Problem des "ombrellone" auseinander, des monumentalen Aufbaus, der unorganisch über der Fassade aufragt. Ähnlich wie schon Howard Saalman erklärt er ihn als den Standort der Reliquie, der dem Kult des Blutes Christi geweiht gewesen sei und auf eine Disposition des Vorgängerbaus zurückgreife.
In seinen prägnanten Detailanalysen, die von zahlreichen Fotos charakteristischer Einzelheiten begleitet sind, kann Bulgarelli einleuchtend zeigen, wie sich in Albertis Architektur durch allmähliche Umstrukturierungen der Übergang vom Mittelalter zur Frührenaissance vollzieht. Indem er das Baudetail in den Mittelpunkt stellt, wird er allerdings kaum der visionären Evokation antikischer Baukörper und Räume gerecht, wie sie zu dieser Zeit nur Alberti gelang. Auch geht Bulgarelli der entscheidenden Frage aus dem Weg, wie der gelehrte Architekt die subtilen und ausgeklügelten Erfindungen seiner Ornamentik den Steinmetzen vermittelte. Die kritische Auswertung der Quellen und der bisherigen Erkenntnisse über die Baupraxis des Quattrocento, insbesondere über die Funktion von Holzmodellen und Zeichnungen, hätten diesen entscheidenden Punkt erhellen und das Werk Albertis noch genauer in den Kontext der Entwicklung des italienischen Quattrocento einbinden können.
Sabine Frommel