James E. Bjork: Neither German nor Pole. Catholicism and National Indifference in a Central European Borderland, Ann Arbor: University of Michigan Press 2008, 304 S., ISBN 978-0-472-11646-1, USD 80,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Im Mittelpunkt der Studie steht die Geschichte der Zentrumspartei in Oberschlesien in der Zeit vom Kulturkampf in den 1870er Jahren bis zu dem Plebiszit und der Teilung des Landes zwischen Deutschland und Polen in den Jahren 1921/22. Als Fallstudie innerhalb Oberschlesiens hat James E. Bjork das Dekanat Myslowitz ausgewählt, das neben einer Reihe kleinerer Ortschaften auch die Großstädte Kattowitz und Königshütte einschloss.
Die zentrale These des Buches umreißt Bjork in kritischer Abgrenzung zu zwei zentralen Annahmen der Hauptströmungen der Nationalismusforschung schon in der Einleitung. Die Geschichte Oberschlesiens belege zum einen, dass ökonomische Entwicklung und gesellschaftliche Modernisierung nicht notwendigerweise auch zu einer tiefgreifenden Nationalisierung der Gesellschaften führe. Zum anderen zeige Oberschlesien, dass Pfarrer nicht überall eine zentrale Trägergruppe des Nationalisierungsprozesses gewesen seien, sondern in Oberschlesien hätten sie sich ihm überwiegend entgegengestellt.
Positiv knüpft Bjork hingegen an die in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten sehr intensiv betriebenen Forschungen zu Kirchen und Religiosität im Modernisierungsprozess in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert an. Zu ihren zentralen Befunden gehört, dass von einer generellen Zurückdrängung von Kirchen und Religiosität und einem unzweideutigen Prozess der gesellschaftlichen Säkularisierung als Teil der Modernisierung keinesfalls gesprochen werden kann, sondern Kirchen und religiöse Milieus sich durchaus erfolgreich in den sich verändernden Bedingungen behaupteten, ja teilweise sogar neu aufblühen konnten. Zu den Verdiensten der Studie gehört, dass sie die Fragen und Befunde der religionsgeschichtlichen Forschung nun für eine Region, die bisher von dieser weitgehend ignoriert wurde, fruchtbar macht und zeigen kann, dass die relativ große Resistenz der Einwohner Oberschlesiens gegenüber den Nationalisierungsprozessen am Ende des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts nicht nur auf den gemischtsprachlichen Charakter und Spezifika der längeren historischen Entwicklung Oberschlesiens zurückzuführen ist. Sie beruht auch darauf, dass die katholische Kirche den Nationalisierungsprozessen Widerstand entgegensetzte, da sie darin eine Bedrohung nicht nur ihres politischen und gesellschaftlichen Einflusses, sondern auch ihres religiösen Auftrags sah. Allerdings war dieser Widerstand vor dem Hintergrund der komplizierten sozialen, politischen und sprachlichen Verhältnisse in Oberschlesien nicht immer geradlinig und auch mit Konflikten in der Kirche verbunden. Die Ablehnung radikaler nationaler Bestrebungen entsprach aber - so lassen sich wohl Bjorks Befunde zusammenfassen - den tiefen Überzeugungen der großen Mehrheit der oberschlesischen Pfarrer von ihren religiösen und seelsorgerlichen Aufgaben.
Als zentrale Zäsur hebt Bjork die Wahl des polnischen Nationaldemokraten Wojciech Korfanty 1903 im Wahlkreis Kattowitz-Zabrze in den Reichstag hervor, da damit der polnische Nationalismus eine organisatorische Basis und politische Repräsentanz außerhalb der Zentrumspartei erlangte. Auch in anderen Wahlkreisen konnten polnische nationale Kandidaten beträchtliche Stimmenanteile gewinnen. Damit schien die politische Hegemonie des Zentrums in Oberschlesien gebrochen. Das Zentrum verlor nun auch auf der deutschen Seite Stimmen. Diese Entwicklung setzte sich bei den Reichstagswahlen 1907 fort, wurde dann aber von einem bemerkenswerten Wiedererstarken des Zentrums bei den Reichstagswahlen 1912 abgelöst. Während die deutschen und polnischen nationalen Parteien bei den Wahlen 1907 noch zusammen ungefähr 70 Prozent der Stimmen in Oberschlesien erlangt hatten, waren es 1912 nur noch 55 Prozent. Anders als die ältere Historiographie, die vorwiegend an den Ursachen des Stimmenrückgangs für das polnische Lager interessiert war und ihn in erster Linie als Folge von inneren Querelen und des wachsenden Drucks von deutscher Seite interpretierte, sieht Bjork zwei andere zentrale Gründe. Die Politik des Bülow-Blocks im Reichstag habe die Gefahr eines neuen Kulturkampfs am Horizont erscheinen lassen und so zur Konsolidierung des katholischen Milieus beigetragen. Vor allem aber hätten die Pfarrer in den vorhergehenden Jahren die soziale und gesellschaftliche Arbeit mit größerem Engagement aufgenommen, während sie zur Jahrhundertwende das sich entwickelnde katholische Vereinswesen häufig noch mit Misstrauen betrachtet hätten. Bjork beschreibt zudem für die letzten Jahre vor dem Ersten Weltkrieg eine Zunahme religiöser Aktivitäten. So gab es zahlreiche Volksmissionen, die viele Menschen mobilisieren konnten, aber auch die durchschnittliche Zahl von Beichten pro Kirchenmitglied und Jahr nahm zu. Während die ältere Historiographie die Wahlergebnisse von 1912 als dem eigentlichen Trend zur Nationalisierung entgegenlaufende, nur durch spezifische kurzfristige Umstände erklärbare Abweichung deutete, betrachtet Bjork sie als Resultat einer etwas verspäteten, aber erfolgreichen Übernahme neuer Formen der politischen und gesellschaftlichen Organisation durch die katholische Kirche in Oberschlesien, die wesentlich dazu beigetragen habe, dass das Zentrum wieder einen Teil seines alten politischen Einflusses zurückgewinnen konnte. Dies habe aber nicht zuletzt auch darauf beruht, dass die tendenziell anationale Haltung dieser Partei der Lebenswirklichkeit und den Werten der großen Mehrheit der oberschlesischen Bevölkerung mehr entsprochen habe als die Ziele der nationalen Parteien.
Der Verfasser führt die Diskussion des Verhältnisses zwischen den nationalen Bestrebungen und dem katholischen Milieu in den abschließenden Kapiteln auch für die Zeit des Ersten Weltkriegs und die ersten Nachkriegsjahre fort, als sich im Zusammenhang mit dem Plebiszit über die zukünftige Zugehörigkeit Oberschlesiens die Spannungen in der Region so stark zuspitzten wie niemals zuvor. Aber auch hier argumentiert Bjork, dass mit dem katholischen und dem gemischtsprachlichen Charakter der Region verbundene Identitätsbezüge vorherrschend blieben.
Insgesamt wäre neben der Untersuchung der Zentrumspartei und der Diskussionen unter den Pfarrern eine etwas tiefer gehende Behandlung der Entwicklung des katholischen Vereinswesens und religiöser Praktiken als der eigentlichen Orte katholischer Milieubildung wünschenswert gewesen. Aber auch so leistet die Studie einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Geschichte Oberschlesiens wie auch generell zur Katholizismus- und zur Nationalismusforschung.
Kai Struve