Andrew Wallace-Hadrill: Rome's Cultural Revolution, Cambridge: Cambridge University Press 2008, XXIV + 502 S., ISBN 978-0-521-72160-8, 29,99
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"It is suggested that the wide-ranging transformations of Roman material and intellectual culture [...] can be read as an integral expression and instrument of a realignment of 'identities' and construction of power within Roman society. [...] Much of the cultural change described in the present book can be mapped onto Syme's revolution: the transformation of the fabric of the towns of Italy, the collapse of the basis of authority of the Roman nobility [...], the rise of luxury of a new face of power for a new Elite" (35f. und 443). Mit diesen Worten rahmt A. Wallace-Hadrill seine Studien zu "Rome's Cultural Revolution" ein und stellt selbst den naheliegenden Bezug zum epochemachenden Werk von R. Syme her. Sein Buch bietet dabei eine durchweg beeindruckende Analyse der Wandlungsprozesse in Rom und Italien, die man zumindest "dramatisch" nennen darf, wenn man den Revolutionsbegriff scheut. Wallace-Hadrill zeigt, wie sich auf den Feldern der materiellen Kultur, der Strukturierung von Wissen und der Konstruktion von Identitäten in den letzten beiden Jahrhunderten der Republik und dem ersten Jahrhundert der Kaiserzeit fundamentale Veränderungen vollzogen und wie sich diese in einen kohärenten Beschreibungszusammenhang bringen lassen. Zur Verknüpfung von "Social" und "Cultural Revolution" formuliert er eine eindeutige These, derzufolge sich zwei Phasen unterscheiden lassen: In der späten Republik sei die Hegemonie der stadtrömischen Elite durch "Neue Männer", insbesondere aus den lokalen italischen Eliten, herausgefordert worden. In einer zweiten Phase während der frühen Kaiserzeit habe sich eine ähnliche Entwicklung auf der Reichsebene wiederholt: Provinziale Eliten seien an die Spitze aufgestiegen, gleichzeitig seien Freigelassene zu vorher nicht gekannter Bedeutung gelangt. Für beide Phasen sei dabei zu beobachten, dass die wichtigsten Impulse für die im Buch betrachteten Veränderungen nicht von der stadtrömischen Elite ausgingen, sondern vielmehr von "groups immediately below and outside the elite" (vgl. 35-37).
Das Buch ist neben Einleitung und Epilog in vier Hauptteile zu je zwei Kapiteln gegliedert. Das erste Kapitel ("Culture, identity and power") dient der Entfaltung des methodischen Ansatzes, der anschließend (Kap. 2: "Dress, language and identity") exemplarisch vorgeführt wird. "Part II: Building Identities" weitet die Perspektive auf Italien aus und verfolgt v.a. auf den Ebenen der Sprache(n) und der Bautätigkeit die allmähliche Formierung eines gesamtitalischen kulturellen Bezugsrahmens (Kap. 3: "Roman Italy: between Roman, Greek and local"). Als "adequate interpretative framework" für das präsentierte Material dient in Kap. 4 Vitruvs de architectura ("Vitruvius: Building Roman identity"). Wallace-Hadrill deutet diesen Text nicht als Architektur-Handbuch, sondern als eine intellektuelle Antwort von römischer Seite auf die Transformationsprozesse in Italien, die nicht zuletzt mit Aneignungen "griechischer" Elemente einher gingen. Vitruvs Anliegen sei dabei erstens "to marry Greek ratio with Roman consuetudo" (146) und zweitens die Konstruktion einer "sie/wir"-Dichotomie, die auf der einen Seite (als "sie") "die Griechen", auf der anderen (als "wir") "die Italiker" beinhalte. Im dritten Teil (Kap. 5: "Knowing the ancestors" und 6: "Knowing the city") liegt der Fokus wiederum stärker auf stadtrömischen Zusammenhängen. Zunächst zeigt Wallace-Hadrill verschiedene Modi der Verknüpfung von Vergangenheitskonstruktion(en), Macht und Wissen auf und analysiert darauf aufbauend, wie wesentliche Wissensbereiche im letzten Jahrhundert der Republik der Deutungshoheit der Nobilität entglitten. Die umfassenden Konsequenzen der Neustrukturierung von Wissen und deren Verknüpfung mit Machtstrukturen demonstriert er in seiner Darlegung zur Erfassung der Stadt Rom durch abstrakte Einteilungen und die Erstellung von "Karten" wie der so genannten Forma Urbis Romae. Die schon von Caesar vorbereitete und dann von Augustus vereinheitlichte Einteilung der Stadt in vici und regiones habe die urbs "mappable" (290) gemacht und ältere, konkurrierende Konzepte integriert. Zugleich sei die Erstellung großflächiger "Stadtpläne" Ausdruck kaiserlichen Wissens und kaiserlicher Kontrolle der Stadt gewesen (vgl. 312). Dem Rhythmus der Studie folgend rücken im vierten Teil dann wieder gesamtitalische Phänomene in den Blick. Anhand der leges sumptuariae und Bezug nehmend auf Mandevilles "Bienenfabel" arbeitet Wallace-Hadrill den Zusammenhang zwischen Luxusdiskurs und den Auseinandersetzungen über die soziale Ordnung der römischen Gesellschaft heraus, wobei er der Bankett- und Gastronomiekultur besondere Bedeutung zuschreibt (Kap. 7: "Luxury and the consumer revolution"). Ausgehend von den Funden des Mahdia-Wracks behandelt er abschließend und gegliedert nach Materialgruppen (z. B. Kandelaber, Lampen, Keramik, Klinen) die Konsumptions- und Produktionsweisen in Italien. Er schildert die beobachtbaren Veränderungen als eine Wellenbewegung: Zunächst seien vorrangig Güter aus dem Osten nach Italien gelangt; diese habe man dort dann sukzessive selbst produziert und letztlich wieder aus Italien in die Provinzen des Reiches exportiert (Kap. 8: "Waves of fashion"). Parallel lasse sich eine Aneignung hochwertiger Güter (und deren Nachahmungen) durch Personen jenseits der politischen Elite beobachten, die das neue Angebot bereitwillig aufnahmen.
Ein ausführlicheres Eingehen auf Einzelfragen und abweichende Auffassungen des Rezensenten ist hier schwerlich möglich. Im Vordergrund stehen soll daher das methodische Vorgehen. Die Themenstellung, kulturelle Transformationsprozesse in den Blick zu nehmen, verweist direkt auf die so genannte "Hellenisierung" Roms und die "Romanisierung" Italiens. Grundsätzlich plädiert Wallace-Hadrill dafür, beide Vorgänge nicht als logisch und zeitlich getrennt aufzufassen, sondern als komplementäre Aspekte eines Prozesses zu begreifen. Er setzt bei Ennius' Ausspruch an, er habe "drei Herzen" (tria corda), weil er auf Griechisch, Lateinisch und Oskisch zu sprechen wisse (bei Gell. 17,17,1). Unter Zuhilfenahme von Anregungen aus der Sprachwissenschaft und den postcolonial studies entwickelt Wallace-Hadrill einen Ansatz, der mit der Koexistenz verschiedener kultureller Identitäten argumentiert, zwischen denen man nach Bedarf habe wechseln können. Die Aneignungen griechischer Impulse in Italien und Rom (und römischer in Rest-Italien) seien nicht als "fusion" oder "creolisation" zu verstehen, bei denen eine uniforme neue Identität entstand. Angemessener sei es, zumindest über längere Zeiträume mit "code-switching" zu rechnen, d.h. dem Wechseln zwischen verschiedenen Identitätskontexten, und zwar nicht nur auf sprachlicher Ebene, sondern auch bei Kleidung, Architektur, der Verwendung von Gebrauchsgegenständen usw. (vgl. 13). Gegenüber der Deutung bestimmter Artefakte als "Leitfossilien" der Romanisierung bleibt Wallace-Hadrill (angenehm) skeptisch; im Zweifelsfall verlässt er sich eher auf schriftliche Selbstzuschreibungen von Identität (vgl. 7-9; 96-103).
Ist der skizzierte methodische Weg, die Zeugnisse in einem kohärenten Rahmen zur Beschreibung von Wandel zu fassen, der wichtigste generelle Ansatz des Buches, greift Wallace-Hadrill für Teilaspekte seiner Studie eine Reihe weiterer Konzepte auf. So bezieht Kap. 5 zum Zusammenhang von Vergangenheitskonstruktionen, Wissen und Macht entscheidende Impulse aus Foucaults Studien zu Wissen und Macht und Chartiers Arbeiten zu den kulturellen Gründen der Französischen Revolution. Die Interpretation des archäologischen Materials und der Schriftquellen, die über "Luxus" und Konsum berichten (Kap. 7), nimmt nicht nur Gedanken von Mandeville und Hume auf, sondern ist v.a. neueren Arbeiten zur (früh)neuzeitlichen Wirtschafts-, Güter- und Konsumgeschichte verpflichtet. Mithilfe dieser Anregungen bekannte wie weniger bekannte Quellen mit größtenteils sehr erhellenden Perspektiven und stets klaren (und klar formulierten) Fragestellungen zu präsentieren, ist neben der beeindruckenden Materialfülle die größte Stärke des Buches.
Wenn man denn nach Kritikpunkten suchen will, so kommt der postulierte Zusammenhang zwischen der "Cultural Revolution" und der "Social Revolution" trotz zahlreicher Einzelbemerkungen auf systematischer Ebene zu kurz. Wie Wallace-Hadrill selbst anspricht (449), gibt es eine Ungleichzeitigkeit zwischen den in ganz Italien und auch in Rom selbst beobachtbaren Veränderungen und der zunehmenden Abschließung der Nobilität in den letzten hundert Jahren der Republik. Er bezieht diese Ungleichzeitigkeit insofern ein, als er die gesteigerte Exklusivität der stadtrömischen Elite geradezu als den auslösenden Faktor der "Cultural Revolution" versteht: " [...] it is the exclusiveness of the Romans, in denying their allies participation in an identity defined by citizenship, that provides the motor for cultural change" (448). Nichtsdestotrotz hätte der "Epilogue" ausführlicher ausfallen können, um die in den einzelnen Kapiteln geschilderten Aspekte untereinander und hinsichtlich ihres Zusammenhangs mit den soziopolitischen Umwälzungen, der "Social Revolution" also, präziser im Sinne dieser Hauptthese auszuwerten. Schließlich ist auch nicht zu übersehen, dass die angeführten Gesichtspunkte hauptsächlich für die republikanische Zeit greifen, während die Kaiserzeit (die "zweite Phase" der "Revolution" also) deutlich weniger Beachtung findet.
Man wird Wallace-Hadrill indes zugestehen, dass sein Werk nicht angetreten ist, alle Probleme der römischen Geschichte zu lösen. Am Schluss muss vielmehr ein uneingeschränkt positives Fazit stehen: "Rome's Cultural Revolution" ist intellektuell höchst anregend, reich an Einzelbeobachtungen, beeindruckend in der Syntheseleistung, exzellent lesbar - und setzt Maßstäbe: Selten, wenn überhaupt je wurde das, was man in der Forschung gemeinhin unter "Hellenisierung" und "Romanisierung" thematisiert findet, auf diesem Niveau präsentiert.
Fabian Goldbeck