Richard Hölzl: Umkämpfte Wälder. Die Geschichte einer ökologischen Reform in Deutschland 1760-1860 (= Campus Historische Studien; Bd. 51), 551, Frankfurt/M.: Campus 2010, 551 S., ISBN 978-3-593-39171-7, EUR 49,90
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Die Wälder waren in vielen deutschen Staaten des frühen 19. Jahrhunderts ein Konfliktfeld zwischen ländlicher Bevölkerung, Waldeigentümern und Forstverwaltung. Während Beamte und Wissenschaftler für eine Reform des Forstwesens im Sinne einer als nachhaltig und rationell verstandenen Kultivierung des Waldes eintraten, pochten die Landbewohner auf angebliche oder tatsächliche Nutzungsrechte an den Wäldern. Im Mittelpunkt standen dabei Weiderechte sowie die Entnahme von Holz und Streu aus den Wäldern. Die Konflikte nahmen unterschiedliche Formen an und eskalierten während der Revolution von 1848/49 in gewaltsamen Protesten. In der Forstgeschichtsschreibung wurden diese Vorgänge als Folge eines Holzmangels gedeutet, der aufgrund unkontrollierter Waldnutzung seit dem 18. Jahrhundert entstanden sei.
Diese und andere lange Zeit in der Forschung vorherrschenden Sichtweisen sind seit einiger Zeit infrage gestellt worden. Beginnend mit Radkau, der der Vorstellung einer generellen "Holznot" widersprach und damit eine grundlegende Kontroverse auslöste [1], sind in jüngerer Zeit mehrere Studien erschienen, die sich mit neuen Ansätzen und unter Auswertung von bislang weniger beachteten Quellenbeständen mit den Konflikten um den Wald auseinandergesetzt haben und dabei zu aufschlussreichen Ergebnissen gelangt sind. [2]
Die vorliegende Göttinger Dissertation reiht sich in diese Arbeiten ein und befasst sich mit der Entstehung einer von Ideen der Aufklärung inspirierten Waldreform in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und den daraus resultierenden Auseinandersetzungen zwischen der ländlichen Bevölkerung und der staatlichen Forstverwaltung in Bayern, die sich bis weit in das 19. Jahrhundert zogen. Der Verfasser ordnet seine Arbeit in eine "durch die neuere Kultur- und Wissensgeschichte informierte Umweltgeschichte" (27) ein. Er verbindet einen diskursanalytischen Ansatz, mit dem die Kommunikation zwischen den Beteiligten auf den verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen untersucht wird, mit Methoden der historischen Anthropologie, durch die alltägliche Praktiken, Konflikte und Erfahrungshorizonte rekonstruiert werden. Dabei geht es Hölzl darum, nicht nur die Entstehungsbedingungen der Waldreform und die aus dieser resultierenden Reaktionen und Konflikte zu untersuchen, sondern auch die Rückwirkung dieser Auseinandersetzungen auf den Reformdiskurs.
Das Kurfürstentum und spätere Königreich Bayern war vor allem nach dem Regierungsantritt von Kurfürst Max IV. Joseph 1799 ein besonders reformorientiertes Land mit eigener Forstakademie und großen Waldgebieten. Für seine Mikroanalysen hat der Verfasser das Landgericht Rothenbuch im Spessart und das Landgericht Viechtach im Bayerischen Wald ausgewählt, um damit unterschiedliche Verhältnisse hinsichtlich Waldeigentumsstruktur, naturräumlicher Ausstattung und Protestverhalten in den Blick zu nehmen. Während sich die Wälder im neubayerischen Unterfranken überwiegend im Staatsbesitz befanden und zahlreiche Fälle von Forstfrevel vorkamen, waren im altbayerischen Niederbayern nur ein kleinerer Teil des Waldes im staatlichen Besitz und das Ausmaß der Forstvergehen deutlich geringer. Auch lag der Spessart näher an städtischen Zentren und war besser erschlossen als der Bayerische Wald. Beiden Gebieten gemeinsam waren unter anderem die Sozialstruktur und die Tatsache, dass im Untersuchungszeitraum keine Knappheit der Waldressourcen bestand.
Der erste Teil der Arbeit beschreibt die Entstehung eines aufklärerischen Gelehrtendiskurses um die Waldreform und deren Rezeption in Bayern. Auf aufklärerische Kritik stießen insbesondere die Nutzungen durch die Bevölkerung, die als schädlich für den Wald angesehen wurden. In diesem Zusammenhang wurde bereits im 18. Jahrhundert das Prinzip der "forstlichen Nachhaltigkeit" entwickelt (110f.). Institutionen, Akteure und Medien des Waldreformdiskurses werden präzise herausgearbeitet und in den Kontext von Spätaufklärung und beginnender Reformzeit eingeordnet. Obgleich es auch kritische Stimmen gab, dominierten die Forstreformer den öffentlichen Diskurs. Besondere Aufmerksamkeit widmet der Verfasser den Reformbeamten und der Ausbildung des Forstpersonals, die für die Institutionalisierung der Forstreform von besonderer Bedeutung waren.
Die Wechselwirkungen zwischen Waldreform und ländlicher Gesellschaft im frühen 19. Jahrhundert bilden den Gegenstand des zweiten Teils. Anhand zweier Mikroanalysen werden die Auswirkungen der Waldreform auf die Lebensverhältnisse der Dorfbewohner im Bayerischen Wald und im Spessart sowie deren Konflikte mit der Forstverwaltung dargestellt. Dabei werden auch Einblicke in die Sozialbeziehungen der dörflichen Gemeinden vermittelt. Mit der Reform verbunden waren die sogenannte "Purifikation", die Befreiung der Wälder von Nutzungsrechten, und die sukzessive Privatisierung. Für die dörfliche Ökonomie hatte dies gravierende Konsequenzen, da nun die Waldnutzung durch die Bevölkerung vor Ort erschwert oder ganz verhindert wurde. Gerade für die ärmere Bevölkerung im Spessart war die Streuentnahme jedoch lebenswichtig, und dort waren die Proteste daher auch besonders heftig und verbreitet. Der Verfasser analysiert detailliert Ausmaß und Taktiken der Landbevölkerung sowie die Gegenmaßnahmen staatlicher Instanzen, wobei den Ereignissen der Revolution von 1848/49 ein eigener Abschnitt gewidmet ist. Auch die symbolische Dimension der Konflikte findet Berücksichtigung.
Der letzte Teil befasst sich mit den Auswirkungen der Konflikte auf die öffentliche Diskussion und den weiteren Verlauf der Reform. Auch nach der Revolutionszeit gehörte die nachhaltige Forstwirtschaft zu den wichtigen Bestandteilen des forstwissenschaftlichen Kanons. Neue Begründungen traten aber um die Mitte des 19. Jahrhunderts hinzu, so die Stellung des Waldes im "Haushalt der Natur" (473) sowie seine Bedeutung einerseits als Schutzwald, andererseits als Erholungswald. Ein verstärktes öffentliches Interesse am Wald erwachte, wobei seine ästhetische Erscheinung und nationalpolitische Bedeutung betont wurden. Allerdings wurden nun zunehmend auch die Nutzungsrechte der Bevölkerung respektiert. Damit einher ging eine Veränderung des bürgerlichen Blicks auf die Landbewohner. Galten diese ehedem als dumm und rückständig, so wurde die bäuerliche Bevölkerung nun zunehmend als Beispiel von Ursprünglichkeit und Unverfälschtheit aufgewertet. Die Auseinandersetzungen um die Einführung der Waldreform werden von Hölzl daher als ein Aushandlungsprozess gedeutet, an dem die Dorfbewohner vor Ort als Akteure beteiligt waren und auch Erfolge verzeichnen konnten.
Hölzl ist es gelungen, die Umweltgeschichte einer folgenreichen Waldreform zu verfassen, die Maßstäbe setzt. Auf der Grundlage einer gründlichen Auswertung der Quellen und neuer Interpretationsansätze gelangt er zu einem vertieften Verständnis, das herkömmliche Sichtweisen revidiert. Er leistet nicht nur eine umfassende Analyse der Kommunikationsprozesse um die Waldreform, sondern auch eine intensive Untersuchung der dörflichen Ökonomien und Lebensbedingungen. Vor allem die dichten Beschreibungen in den Mikroanalysen erweitern das Buch zu einer Kultur- und Sozialgeschichte der Nutzung des Waldes und der Konflikte um ihn.
Anmerkungen:
[1] Joachim Radkau: Zur angeblichen Energiekrise des 18. Jahrhunderts. Revisionistische Betrachtungen über die "Holznot", in: Vierteljahreshefte für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 73 (1986), 1-37.
[2] Vgl. u.a. Bernd-Stefan Grewe: Der versperrte Wald. Ressourcenmangel in der bayerischen Pfalz (1814-1870), Köln / Wien 2004, neuerdings auch Jonathan Sperber: Angenommene, vorgetäuschte und eigentliche Normenkonflikte bei der Waldnutzung im 19. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 290 (2010), 681-702.
Michael Wettengel