Robert Bees: Aischylos. Interpretationen zum Verständnis seiner Theologie (= Zetemata. Monographien zur klassischen Altertumswissenschaft; Heft 133), München: C.H.Beck 2009, 320 S., ISBN 978-3-406-58804-4, EUR 68,00
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Robert Bees - der 1993 eine Studie "Zur Datierung des Prometheus Desmotes" vorgelegt hat - verfolgt in "Aischylos. Interpretationen zum Verständnis seiner Theologie" das Ziel, aus dem Werk des Tragikers dessen religiöse Grundüberzeugungen zu erschließen. Damit stelle er sich - als Fortführer der älteren deutschen Tradition (9-11) - gegen die neuere Forschung, der Derartiges als "interpretatorisches Relikt" (9) gelte. Für Aischylos, so Bees, sei "die leitende Idee [...] die Überzeugung [...], daß Zeus' Handeln mit der Gerechtigkeit verbunden ist" (11). Um dies zu erkennen, müsse man den Prometheus Desmotes wegen seines andersartigen Zeusbildes als unecht ausklammern (11). Ganz in diesem Sinne eröffnet eine Einführung (9-24) den Forschungshorizont, skizziert den Deutungsansatz mit Hilfe einer historischen Kontextualisierung und gibt erste Argumente gegen die Echtheit des Prometheus.
Der Hauptteil des Buches behandelt "Die Gerechtigkeit des Zeus in den Dramen des Aischylos" (25-259). Vor einer linearen Interpretation der Stücke in chronologischer Reihenfolge bestimmt Bees anhand dreier Fragmente die Grundzüge von Aischylos' Theologie (25-43): 1.) Fr. 281a R zeige, dass sie nicht archaisch sei (25-30), denn "das irdische Geschehen [wird] erst sinnvoll [...] in Bezug zu der göttlichen Führung" (28); "Zeus lenkt die Menschen auf gerechte Weise [...], indem er die Guten belohnt und die Schlechten bestraft, doch so, daß sie [...] Einsicht gewinnen in die gerechte Ordnung der Welt, einen Gesamtplan, der von Zeus in Union mit Schicksal und Recht entworfen wurde" (28). 2.) Fr. 70 R aus den Heliaden (30-36) belege "[d]en monotheistischen Glauben des Aischylos" (33). 3.) Fr. 154a R aus der Niobe (37-43) erweise, dass "Zeus aller Dinge Urheber ist" (40), und zwar "um [...] dem Guten und Gerechten zum Sieg zu verhelfen" (40). Wie der "Gott des Alten und Neuen Testaments" sei "der aischyleische Zeus Geber des Guten und des Schlechten" (41), wobei er selbst "das Schlechte schafft, um daran seine Gerechtigkeit zu zeigen" (42). Um ihn zu verstehen, werde "der Weg nicht über moderne Vorstellungen von Schuld und Sühne führen, in denen die [...] böse Handlung als Folge einer willentlichen Entscheidung verstanden wird" (43).
Die Perser (44-72) zeigen einen "Sieg der Gerechtigkeit des Zeus, der Glück und Unglück richtig verteilt" (72): "Die Götter [...] haben in Xerxes ein warnendes Beispiel gegeben für die Vergeblichkeit, seine Grenzen zu überschreiten" (71).
In den Sieben gegen Theben (73-110) erweise sich, "[d]er vor Schaden bewahrende Retter ist Zeus" (109) und "daß Leid und Sterben einem höheren Ziel dienen" (109) - hier der Rettung der Stadt. Dabei seien die Figuren von einer "doppelten Motivation des Handelns" (101) gekennzeichnet, und so sei das Stück ein "Paradigma [...], daß Götter und Menschen vereint das Gerechte zum Ziel führen" (311). Die Taten erhalten "einen Sinn, insofern der Mensch sich fügt, willentlich ausführt, was ihm bestimmt ist" (311).
Die Hiketiden (111-156) seien ein "Zeusdrama" (112): "Zeus bestimmt das Geschehen von Anfang bis Ende" (114); "[d]en Weg zur richtigen Entscheidung weist Zeus, der das göttliche Recht verkörpert" (137). Dabei sei "die Entscheidungsfindung nicht frei [...]. Denn den, der gegen den Willen des Zeus entscheidet, wird harte Strafe treffen" (137). Daher sei die spätere "Ermordung der Aigyptiaden [...] 'Unheil' [...], aber da es zu einem guten Ende führt, ist es letztlich gut" (155).
Das Ziel der Orestie (157-259) "ist offensichtlich: die Gerechtigkeit des Zeus zu demonstrieren" (157). Im Agamemnon (157-201) fungiert der Atride "als Stellvertreter des Zeus auf Erden" (211) und "nimmt [...] Rache für die Verletzung des Zeus" durch Paris (311). "Dem Ziel ordnet er das Leben der eigenen Tochter unter, von fast allen Interpreten beurteilt als Untat [...]. Das Gegenteil ist der Fall [...]. Denn nur, wenn der Tod Iphigenies ein gerechtes Opfer darstellt, läßt sich [...] erklären, weshalb die Rache, die Klytaimestra vornimmt, von Zeus selbst bestraft wird" (311). Dieser "Kollateralschaden" (175) diene als "Paradigma für Zeus' Satz 'Durch Leiden lernen'" (177), dem "Grundgedanken" von Aischylos' Theologie (168). In den Choephoren (201-231) erhebe Aischylos "die Talion [...] zum göttlichen Gesetz" (204) und bereite so "auf die Rechtmäßigkeit der Rache" (202) an der als Usurpatorin diskreditierten Klytaimestra vor (206). Durch ihre Hinterlist habe sie "sich mit dem Mord auch an Zeus" vergangen (222). Ihre Tötung sei "ein Sieg der Freiheit" (223). Deshalb wolle Zeus in den Eumeniden (231-259), "indem er Orest ungestraft läßt, das Prinzip der Vergeltung außer Kraft setzen" - gegen die Erinyen, die "nicht in Betracht ziehen [...], ob Vergeltung in jedem Falle greifen soll" (234).
Im Kapitel "Die Ungerechtigkeit des Zeus im Prometheus Desmotes" (260-309) deutet Bees das Stück als "bewußte Provokation gegen den echten Aischylos": Der Autor habe "[d]er Gerechtigkeit des Zeus [...] die Ungerechtigkeit eines tyrannischen Gottes gegenübergestellt" (260).
Ein knappes "Schlußwort" fasst die Ergebnisse zusammen (310-312). Es folgen ein Abkürzungs- (313) und ein Literaturverzeichnis (314-320).
Ohne Zweifel bringt Bees mit seiner sehr gut lesbaren Arbeit viele treffende Beobachtungen und gibt der Aischylos-Forschung einen wichtigen Impuls, indem er umfassend die ältere Forschung zu Aischylos' Theologie erneuert und produktiv weiterführt. Nichtsdestoweniger zeigen sich Probleme:
1) Der Text wird nur in Übersetzung dargeboten, was bei einem textlich umstrittenen und schwierig zu übersetzenden Autor eher misslich ist. Schwerer wiegt, dass Bees meist auf (verschiedene) ältere Übersetzungen zurückgreift (7f.): So ist nicht transparent, welcher griechische Text jeweils zugrunde liegt. Ebenso fehlt in der Regel ein Anzeigen von (teils sinnverändernden) Ergänzungen, Lücken etc. (vgl. 143).
2) Bees bindet seine Deutung oftmals (bewusst) nicht an die Forschungsdiskussion an; er wolle "Aischylos durch den Text [...] erfassen" (7). Allerdings erscheint eine "unbefangene Interpretation" (15) - gerade bei Aischylos - nicht möglich, da sie immer im Kontext der (wissenschaftlichen) Rezeptionsgeschichte steht. Zudem hätte eine stärkere kritische Anbindung auch das Profil der eigenen Position hinsichtlich der Einzeldeutungen geschärft (wäre also nicht nur "Doxographie" (7) gewesen).
3) Aischylos' Zeus erscheint als christlicher Gott, nicht nur explizit (s.o.), sondern auch angesichts der passim verwendeten christlichen Diktion: "Jüngste[r] Tag" (148), "Frevler in die Hölle [...] senden" (174), Zeus' "Gnade" (179), "Gerechtigkeit auf Erden" (199), "Stellvertreter des Zeus auf Erden" (211), "heilige[r] Geist" (299), "Gott der Liebe" (302) etc. Auch werden die Dramen weniger als Literatur denn als monolithisch-kanonische Texte aufgefasst, deren einziger Zweck die Darstellung von Aischylos' Theologie sei - die sich im Übrigen bei einer Berücksichtigung von Pindar (und, stärker als Bees es tut, den zeitgleichen Vorsokratikern) als Theologie der frühen Klassik erwiesen hätte, allerdings mit entscheidenden Modifikationen. [1] Daher überzeugen auch nicht alle Einzeldeutungen, etwa die zur Tötung Iphigenies (vgl. insbesondere 172f.) - denn wie könnte diese die "Gerechtigkeit des Zeus" zeigen, wenn bei der Opferung bitter an ihre frühere Ehrung des Retters Zeus erinnert wird? [2]
Hier ist jedoch nicht der Ort für eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Einzelergebnissen von Bees' Studie, die trotz der Kritik einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der religiösen Dimension von Aischylos' Dichten darstellt.
Anmerkungen:
[1] Insbesondere hinsichtlich des unterstellten Monotheismus; vgl. Claas Lattmann: Das Gleiche im Verschiedenen, Berlin 2010, 49-51.
[2] Insgesamt scheint es in der Orestie (auch daher) um die Widersprüchlichkeit der impliziten (literarisch funktionalisierten) 'Theologie' zu gehen: vgl. nur Lutz Käppel: Die Konstruktion der Handlung in der Orestie des Aischylos, München 1998, 132-135.
Claas Lattmann