Werner Busch: Englishness. Beiträge zur englischen Kunst des 18. Jahrhunderts von Hogarth bis Romney, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2010, 248 S., ISBN 978-3-422-06956-5, EUR 48,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Agnes Husslein-Arco / Jean Louis Gaillemin / Michel Hilaire u.a. (Hgg.): Alfons Mucha, München: Hirmer 2009
Emily M. Weeks: Cultures Crossed. John Frederick Lewis and the Art of Orientalism, New Haven / London: Yale University Press 2014
Michael Koch: Meisterwerke des Jugendstils im Bayerischen Nationalmuseum. Hrsg. von Renate Eikelmann, Stuttgart: Arnoldsche Art Publishers 2010
Werner Busch: Caspar David Friedrich, München: C.H.Beck 2021
Werner Busch / Martin Geck: Beethoven-Bilder. Was Kunst- und Musikgeschichte (sich) zu erzählen haben, Stuttgart: J.B. Metzler 2019
Werner Busch / Oliver Jehle / Bernhard Maaz u.a. (Hgg.): Ähnlichkeit und Entstellung. Entgrenzungstendenzen des Porträts, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2010
Die anlässlich des 65. Geburtstags von Werner Busch erschienene Publikation spannt den Bogen zwischen seiner Dissertation "Nachahmung als bürgerliches Kunstprinzip" von 1973/1977 und seinem Werk "Das sentimentalische Bild. Die Krise der Kunst im 18. Jahrhundert und die Geburt der Moderne" von 1993. Es handelt sich dabei um eine Sammlung verschiedener Aufsätze Buschs, die zwischen 1984 und 2006 erschienen sind und sich einzelnen Werken der englischen Genre- und Historienmalerei sowie des Porträts widmen. Im Mittelpunkt steht die Frage nach dem Umgang mit der überlieferten Bildsprache in einer Zeit, die deren Gültigkeit aufgrund veränderter Konstellationen und Bedingungen nicht mehr kritiklos akzeptieren kann. Es ist davon die Arbeit mit Bildzitaten betroffen, die sowohl in Hogarths Serien des "modern moral subjects" als auch in den Porträts von Reynolds und Gainsborough fasziniert. Busch zeigt auf, wie die englischen Maler sich bekannter ikonografischer Motive bedienen, diese aber in einen neuen zeitgenössischen Kontext stellen und ihnen damit eine ungewöhnliche Deutung abgewinnen bzw. der Bildsituation eine neuartige inhaltliche Note verleihen. Notwendige Voraussetzung ist dazu zweierlei: die genaue Betrachtung des Kunstwerks und der Versuch, die kulturellen Zeitumstände zu erfassen, die geistig-sozialen Bedingungen, unter denen das Werk entstand, zu entschlüsseln bzw. konkreter die Absichten des Künstlers vor diesem Hintergrund zu analysieren. Busch gelingt beides: eine sehr konzentrierte und überlegte Bildanalyse und das Ausbreiten des Entstehungshintergrunds eines Bildes. Hierzu zählen das kulturelle Umfeld des Künstlers, die Tendenzen der zeitgenössischen Kunsttheorie, Berichte über wissenschaftliche Untersuchungen und Forschungen, historische Begebenheiten und ihre Deutung in der damaligen Gegenwart. Daraus ergeben sich sehr dichte, immer ungemein lesenswerte und klar formulierte Untersuchungen von nahezu detektivischer Gründlichkeit und mitunter auch Spannung zur Auflösung hin. Das Werk steht stets im Mittelpunkt der Darlegungen, bedingt selbst seine Deutung und die Wahl der hinzugezogenen Disziplinen und nicht wissenschaftliche Moden und Trends. Die Schwerpunktsetzung, die Methodik ergeben sich somit bei der genauen Werkbetrachtung. Busch erachtet es als Aufgabe des Kunsthistorikers, die jeweiligen zeithistorischen Umstände und Auffassungen zu entfalten, die für die Deutung relevant sind - das Kunstwerk im Kontext seiner Entstehungszeit zu deuten.
In seiner werkbezogenen, allgemein verständlichen Darstellungsweise mag sich bereits der Einfluss durch die englische Kunstgeschichte bzw. die deutsche Exilkunstgeschichte der Nachkriegszeit spiegeln. Die abschließende subjektive, durchaus im programmatischen Sinne zu verstehende Würdigung von Francis Haskell mag zunächst aus dem chronologisch fortschreitenden Nacheinander der Aufsätze herausfallen, erweist sich dann aber gerade als sinnvoll, enthält diese Würdigung doch zugleich eine persönlich formulierte Stellungnahme zur kunsthistorischen Methodik und Verpflichtung. Sie erklärt die Auswahl von Aufsätzen zu englischen Themen quasi als eine Würdigung der aus England erfahrenen, eigenen methodischen Ansätze des Autors. Ist es zum einen die Verpflichtung gegenüber diesen Vorbildern, so erweist sich, wie im Vorwort erwähnt, das Wiedererkennen von eigenen Bedürfnissen und Wünschen in der englischen Kunst des 18. Jahrhunderts als Movens für die Beschäftigung mit den Kunstwerken: der zeitgenössische Bezug zwischen Kunst und politischem Geschehen.
Der Band setzt mit Buschs Betrachtungen zu Roubillacs Händel-Denkmal ein. Zurückgreifend auf zeitgenössische Moralphilosophie, Verhaltensvorstellungen, den Präsentationsort und motivische Typen wird die Statue entschlüsselt. Schon in diesem ersten Aufsatz wird das Thema des Buches und das Leitmotiv der folgenden Aufsätze angeschlagen: "die Nichtzuständigkeit der Tradition und ihrer Bildsprache in der Gegenwart" (18). Es ist spannend zu verfolgen, wie Busch elegant, mit großer Präzision und Pointiertheit von einem Themenbereich zum anderen fortschreitet. Ergebnis ist nicht nur in Hinblick auf die Händel-Statue, sondern auch auf das "modern moral subject" und das "conversation piece", der Versuch, "die Ansprüche der Gegenwart mit den künstlerische[n] Qualitäten der Vergangenheit zu versöhnen" (23).
Buschs Dissertationskünstler Hogarth ist der zweite Essay gewidmet, dessen Serie "Marriage à La Mode" an zwei Blättern erläutert wird. Gelungen werden diese als Einzelblatt und im Kontext der Serie analysiert. Um diese Arbeiten des "modern moral subjects" angemessen würdigen zu können, holt Busch weit aus: über die Moralphilosophie des 18. Jahrhunderts, gattungstheoretische und ästhetische Überlegungen der Zeit, ikonografische Traditionen, literarische Parallelen bis zum Würdigen des Hogarthschen Verfahrens durch den Vergleich mit Chodowieki. Dieser lässt in der Gegenüberstellung von Moralsatire und Moralpredigt Hogarths Ansatz umso deutlicher hervortreten.
Vielfältigkeit und Kompliziertheit erkennt Busch nicht nur als ästhetische Anforderungen der Zeit, sondern auch als Ausgangspunkt für das eigene Verfahren - ein Kunstwerk ist immer unter seinen spezifischen Bedingungen zu betrachten. Es gibt keine allgemeinen und allgemeingültigen Urteile, sondern stets das spezifische Werk in seinem Kontext. Ein entsprechendes Verfahren ist in den anderen Aufsätzen zu beobachten, sodass der Gang von Hogarth zu Romney zu einem Gang durch verschiedene Aspekte der englischen Geistesgeschichte wird. Stehen bei den Arbeiten von Joseph Wright of Derby die wissenschaftlichen Experimente zur Luftpumpe und Optik im Mittelpunkt, die mit freimaurerischem Gedankengut - beruhend auf dem Umfeld der Dargestellten und der Auftraggeber des Künstlers - sowie der Caravaggio-Tradition des Kerzenlichtbildes verbunden werden, so konzentriert sich der Vergleich von Reynolds und Gainsboroughs Porträts auf die verschiedenen ästhetischen Positionen, kunsttheoretischen und -geschichtlichen Vorbilder und die Selbstdarstellung der Künstler. Die untersuchten Aspekte reichen von der inhaltlichen Gestaltung der Porträts über die verschiedenen ikonografischen Traditionen bis zur Art des Farbauftrags. Zusammengehalten werden die Aufsätze durch die Frage nach der "Auseinandersetzung mit der überlieferten Bildersprache" (77), der Relevanz der ikonografischen Tradition und der damit verbundenen Inhalte für die eigene Gegenwart und die herrschenden Zustände. Deswegen ist auch der Aufsatz, der sich zunächst eher der Wissenschaftsgeschichte als den Bildern selbst zu widmen scheint - derjenige zu Edgar Wind und seinen Untersuchungen zum englischen Porträt -, sinnvoll, wird hier doch noch einmal Buschs eigene Position in Hinblick auf ein entsprechendes Thema beleuchtet - das Kunstwerk und sein kulturhistorisches Umfeld, die Deutung des Kunstwerks unter seinen historischen Bedingungen. So würdigt Busch Winds Aufdecken des Zusammenhangs vom Menschenbild des 18. Jahrhunderts und der Darstellung im Porträt - ein Bezug, der für die eigene Gegenwart erst wieder erschlossen werden muss.
Den Herausgebern gelingt eine überzeugende, bewusst einen Schwerpunkt setzende Auswahl, die die Anliegen des mit der Publikation Geehrten als Kunsthistoriker deutlich werden lässt und zugleich sein eigenes Selbstverständnis und seine methodischen Bindungen offenlegt.
Michaela Braesel