Rezension über:

Claire Martin (éd.): Mémoires de Benjamin Aubery du Maurier, ambassadeur protestant de Louis XIII (1566-1636) (= Travaux du Grand Siècle; No. XXXV), Genève: Droz 2010, 445 S., ISBN 978-2-600-01413-7, EUR 96,09
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Rezension von:
Anuschka Tischer
Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften, Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Anuschka Tischer: Rezension von: Claire Martin (éd.): Mémoires de Benjamin Aubery du Maurier, ambassadeur protestant de Louis XIII (1566-1636), Genève: Droz 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 4 [15.04.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/04/19095.html


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Claire Martin (éd.): Mémoires de Benjamin Aubery du Maurier, ambassadeur protestant de Louis XIII (1566-1636)

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Bei den Memoiren eines französischen Hugenotten mit den Lebensdaten 1566-1636 denkt man unweigerlich an die Religionskriege und an die auch danach in Frankreich weiter existierenden konfessionellen Spannungen, weniger an eine diplomatische Karriere im Dienst der Krone. Doch Aubery du Maurier steht für beides. Seine Memoiren geben Zeugnis von Kindheit und Jugend eines Landedelmanns während der Religionskriege, vom Aufstieg im Dienst von Philippe Duplessis-Mornay und dann des Herzogs von Bouillon, von der Annäherung an den königlichen Hof und schließlich 1613, nach verschiedenen Diensten für die Krone, von der Ernennung zum Botschafter Ludwigs XIII. in den Generalstaaten. Die Memoiren, die Aubery du Maurier laut eigenem Bekunden für seine Kinder verfasst hat, geben jedoch nicht nur Auskunft über seine Zeit: Sie sind ein Ego-Dokument, in denen der Autor Zeugnis ablegt über sich, über sein Leben, über seine Gedanken und Befindlichkeiten und über seinen Glauben. Das Leben und die Memoiren des Autors bestätigen und konterkarieren zugleich die großen Entwicklungslinien: Bevor Aubery du Maurier im calvinistischen Genf studierte, besuchte er unter anderem ein von Jesuiten geleitetes Collège in Paris. Seine Studien im Ausland brach er ab wegen des Todes seines Vaters, eine Wiederaufnahme in Paris wurde 1585 durch neue Restriktionen gegen die Hugenotten verhindert, so dass Aubery du Maurier sich zeitweilig für den Militärdienst entschied. Aus der Rückschau eines bei allen Widrigkeiten letztlich erfolgreichen Lebens schildert er die Ereignisse abgeklärt, nicht ohne Emotionen, aber voller Gottvertrauen. Bemerkenswert ist, dass er die Bürgerkriege seiner ersten Lebensjahrzehnte keineswegs als Religionskriege bezeichnet, sondern als "grands troubles en cet Estat, dont le pretexte fut pris pour la religion" (276).

Diese Memoiren, die Claire Martin hier durch ihre sorgfältige Edition bekannt und allgemein zugänglich macht, sind also zweifellos eine interessante Quelle, die sich diversen Fragestellungen öffnet. Die Überlieferungssituation ist günstig: Aubery du Maurier hat selbst mehrere Exemplare für seine Söhne niedergeschrieben. Davon konnte die Herausgeberin zwei ermitteln, davon eines in Privatbesitz, und der Edition zugrundelegen. Der Blick in das Buch zeigt allerdings rasch, dass es sich um weitaus mehr als eine Edition handelt, macht doch der reine Text der Memoiren nur etwas mehr als 100 Seiten aus. Hinter der "Einleitung" von Claire Martin verbirgt sich eine eigenständige Abhandlung. Insgesamt könnte man eher von einer Monographie mit Quellenanhang sprechen als, wie der Titel suggeriert, von einer Edition mit Einleitung. Dabei gelingt Martin, die 2003 bei der Ecole des chartes eine Thèse zu Aubery de Maurier vorgelegt hat [1], eine Glanzleistung: Sie untersucht, ausgehend von seiner Biographie, diverse historische Prozesse, in deren Schnittpunkt er stand. So beleuchtet sie die Außenbeziehungen und Diplomatie in dieser Epoche, die bereits geprägt war von den wegweisenden Neuerungen Heinrichs III. von 1589. Die großen Reformen Kardinal Richelieus allerdings, die als Initialzündung der Institutionalisierung der französischen Außenbeziehungen gelten, standen noch aus. Aubery du Mauriers Tätigkeit fiel somit in eine Zeit des Übergangs, ebenso wie seine Rolle als Hugenotte im Dienst der Krone, die Martin ebenfalls thematisiert. Nicht-Katholiken waren als französische Diplomaten zwar nur bedingt einsetzbar, in Einzelfällen aber waren sie von Vorteil: So war nicht erst Aubery du Maurier, sondern bereits alle französischen Botschafter in Den Haag vor ihm seit 1590 Kalvinisten. Insgesamt ermittelt Martin für den Zeitraum zwischen 1589 und 1643, den Regierungsjahren der beiden ersten Bourbonen Heinrich IV. und Ludwig XIII., 7,4 % "Protestanten" in diplomatischen Positionen, ein, wie sie selbst betont, annähernder Wert, der aber durchaus Aussagekraft besitzt.

Da der Schwerpunkt der historischen Bedeutung Aubery du Mauriers in seiner elfjährigen Botschaftertätigkeit in Den Haag lag, thematisiert Martin den Niederländischen Aufstand, die konfessionelle und politische Situation, die der Botschafter vorfand, und die Grundlagen der niederländisch-französischen Annäherung. Es folgen Ausführungen zur Diplomatie dieser Zeit als einer besonderen Kunst der Information, der Repräsentation und des Verhandelns sowie zum komplexen Beziehungsgeflecht zwischen dem einzelnen Gesandten, dem französischen Hof und anderen Diplomaten, dessen sichtbarer Ausdruck die diplomatische Korrespondenz als eine nach wie vor zentrale historische Quellengruppe ist. Die konkrete politische Situation, in der Aubery du Maurier agierte, war der Antagonismus zu Spanien, der in den Niederlanden abgeschwächt wurde durch den seit 1609 geschlossenen Waffenstillstand, in Frankreich durch die - von Aubery du Maurier abgelehnte - pro-spanische Politik der Regentin Maria von Medici. Innere Unruhen schufen immer neue Ausgangspositionen auch für die Außenbeziehungen: In Frankreich übernahm Ludwig XIII. 1617 in einem Handstreich gegen die Regentschaft seiner Mutter die Regierung. In den Niederlanden erreichten innere Machtkämpfe 1619 mit der Hinrichtung Johan van Oldenbarnevelts ihren Höhepunkt. All diese Entwicklungen überlagerten aus der Perspektive eines französischen Botschafters in den Niederlanden zunächst noch den Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges, der allerdings mit dem Jülich-Klevischen Erbfolgestreit 1609-1614 bereits seine Schatten vorausgeworfen hatte. Neben den politischen Konstellationen spielte aber auch die maritime Stellung der Generalstaaten eine immer stärkere Rolle, die ihren Ausdruck in der Gründung der Niederländischen Ostindien-Kompanie 1602 fand und von Martin ebenfalls thematisiert wird. Nachdem Martin in dieser Weise die äußeren Umstände der Mission Aubery du Mauriers analysiert hat, widmet sie sich in einem zweiten Teil ausführlich seiner Person und seinen Voraussetzungen für seine Tätigkeit und als Verfasser von Memoiren.

Die gesamte Darstellung basiert neben einschlägiger aktueller Forschungsliteratur auf einer beeindruckenden Fülle unpublizierter Quellen, weit über die Memoiren Aubery du Mauriers hinaus: Das Archivalienverzeichnis nimmt zehn Seiten in Anspruch. Dabei bezieht Martin aktuelle Forschungstendenzen moderner Diplomatiegeschichte systematisch in ihre Analyse ein: Fragen nach Rezeption und Perzeption, Aspekte der Kommunikation, die Rolle der Konfession, Diplomatiegeschichte als Sozialgeschichte, die Analyse von Klientelstrukturen oder den Konnex zwischen Diplomatie und Gelehrtenrepublik. Ihre Darstellung beweist, dass die erneuerte Diplomatiegeschichte auch dann funktioniert und eine schlüssige Synthese erlaubt, wenn diverse methodische und perspektivische Innovationen zugleich aktiv umgesetzt werden. Dabei wird die Darstellung an keiner Stelle methodisch überfrachtet, sondern die Autorin behält den Diplomaten Aubery du Maurier als ihren eigentlichen Untersuchungsgegenstand stets im Blick, so dass der Leser anhand dieses historischen Beispielfalls stringent informiert wird. Es ist eine gelungene Diplomatiegeschichte als Synthese von Politik-, Kultur- und Sozialgeschichte. Lediglich die Religiosität Aubery du Mauriers, die in seinen Memoiren deutlich zum Ausdruck kommt, bleibt etwas blass. Konfession wird von Martin vorrangig sozial bzw. politisch kategorisiert, Überzeugungen und Differenzen im Glauben gewinnen nicht wirklich Kontur. Auffällig ist auch, dass sie den Begriff Hugenotten sparsam verwendet, oft von Kalvinisten spricht, ja sogar von "religion calviniste" (58), oder auch von "protestants", ein Begriff, der für die französischen Hugenotten in dieser Epoche problematisch ist. Dies schmälert aber in keiner Weise den Wert ihrer Darstellung als einer innovativen diplomatiehistorischen Studie, die, zusammen mit den edierten Memoiren Aubery du Mauriers, dieses Buch in vielerlei Hinsicht empfehlenswert machen.


Anmerkung:

[1] Vgl.: http://theses.enc.sorbonne.fr/2003/martin (31.03.2011).

Anuschka Tischer