Götz J. Pfeiffer: Die Malerei am Niederrhein und in Westfalen um 1400. Der Meister des Berswordt-Retabels und der Stilwandel der Zeit (= Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte; 73), Petersberg: Michael Imhof Verlag 2009, 333 S., ISBN 978-3-86568-194-2, EUR 59,00
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Nur wenige Maler der Zeit um 1400 haben in den vergangenen Jahren so sehr das Interesse der Forschung auf sich gezogen wie der Meister des Berswordt-Altars. Bereits im Juni 2000 war seinem anerkannten Hauptwerk, dem Retabel der Neustädter Marienkirche in Bielefeld, ein mehrtägiges Kolloquium gewidmet, über das Thomas Lüttenberg in der Kunstchronik berichtet hat. Im Jahr 2001 erschien eine exzellent bebilderte Monografie zu diesem Retabel; 2002 folgte ein opulenter Sammelband mit dem programmatischen Titel "Der Berswordt-Meister und die Dortmunder Malerei um 1400", in dessen Mittelpunkt nunmehr das Retabel in der Marienkirche in Dortmund stand. Angesichts dieser Ausgangslage könnte man leicht versucht sein, das Erscheinen eines weiteren Buches über den Maler für überflüssig zu halten. Doch die Dissertation von Götz J. Pfeiffer ist ein gewichtiger Beitrag zur Malerei um 1400 am Niederrhein und in Westfalen. Sie sollte als solcher wahrgenommen und auch diskutiert werden. [1]
Dabei ist Pfeiffer sich der Bedeutung seiner Thesen durchaus bewusst. Es spricht von nicht geringem Selbstbewusstsein, dass er seiner Arbeit ein Zitat von Thomas S. Kuhn voranstellt, der als Autor der grundlegenden wissenschaftsgeschichtlichen Studie "The Structure of Scientific Revolutions" (Chicago 1962; dt. Ausgabe Frankfurt/Main 1967) die Theorie des Paradigmenwechsels geprägt hat. Nichts weniger als dies, nämlich einen gänzlich neuen Blick auf den Meister des Berswordt-Altars zu eröffnen, scheint Pfeiffer für sich zu beanspruchen. Im Kern geht es ihm darum, das nicht klar umrissene Œuvre des Malers neu zu definieren und dessen nicht ganz unumstrittene Stellung in der Kunst um 1400 neu herauszuarbeiten.
In einer kurzen Einleitung werden die bisherigen Forschungsergebnisse und -positionen dargelegt sowie offene Fragen und Probleme benannt (9-14). Der erste, monografische Teil "Das Œuvre des Meisters des Berswordt-Retabels" (15-131) ist dann fünf Werken gewidmet, die Pfeiffer dem Maler zuschreibt. Es sind dies zum einen die erwähnten Retabel in Bielefeld und Dortmund sowie das 1944 zerstörte, vom Autor erstmals rekonstruierte Credo-Retabel der Marienkirche in Osnabrück, zum anderen - als Neuzuschreibungen - die Entwürfe für das monumentale Westfenster der Klosterkirche in Altenberg und für die Deckplatte der Tumba des 1394 verstorbenen Bischofs Rupert (Ruprecht) von Berg im Dom zu Paderborn.
Auch wenn das Dortmunder Berswordt-Retabel das namensgebende Werk für den Anonymus geworden ist, tut Pfeiffer gut daran, das Bielefelder Retabel - das um 1840 seiner Flügeltafeln beraubte Hochaltarretabel der Stiftskirche St. Marien der Bielefelder Neustadt - ins Zentrum seiner Arbeit zu stellen (17-76). Es war das einst größte und bedeutendste Werk des Malers und trug auf seinem verlorenen originalen Rahmen die Jahreszahl 1400. In größtmöglicher Ausführlichkeit spürt Pfeiffer der Geschichte dieses Werkes nach und sucht dessen Stifter wohl zu Recht unter den Nachkommen des Stiftsgründers Otto III. von Berg und dessen Frau Hedwig, geb. zur Lippe. Doch hierbei kapriziert er sich vielleicht allzu sehr auf das Ehepaar Wilhelm von Jülich (= Wilhelm II. von Berg, † 1408) und Anna von Bayern (= von der Pfalz, † 1415). Ebenso ist Adolf von Berg in Betracht zu ziehen, der 1395-1402 als regierender Graf von Ravensberg Patronatsherr des Stiftes war. [2] Nach dieser Diskussion wendet sich Pfeiffer den erhaltenen und verlorenen Darstellungen des Retabels zu, die jeweils genau beschrieben sowie in Ikonografie und "Bildsprache" analysiert werden.
Alle übrigen von Pfeiffer für den Meister des Berswordt-Altars in Anspruch genommenen Werke werden im Folgenden nach dem am Bielefelder Retabel erprobten Fragenkatalog abgehandelt, also unter objektgeschichtlichen, historischen, ikonografischen und formalen Gesichtspunkten. Was das Berswordt-Retabel in der Pfarrkirche St. Marien in Dortmund betrifft (77-90), wartet Pfeiffer zunächst mit der durchaus provozierenden Beobachtung auf, dass dessen heutiger Standort aus überlieferungsgeschichtlichen Gründen nicht gesichert sei. Dies enthebt ihn methodisch der Not, Stiftung und Errichtung des Werks mit den bekannten Urkunden von 1385, 1397 und 1431 zum Heilig-Kreuz-Altar in St. Marien in Verbindung bringen zu müssen. Befreit von diesem - nach Ansicht des Rezensenten aber nicht endgültig beseitigten - "Ballast" sieht Pfeiffer das Retabel "um 1395" (79) vollendet, wobei der Auftrag von einem nicht sicher zu benennenden Mitglied der Familie Berswordt "an einen in Köln arbeitenden Maler" (81) ergangen sei. Die bislang als Predella bestimmten Tafeln mit Moses, Saulus, David sowie zwölf Aposteln und Propheten (90-111), die sich bis zu ihrer Zerstörung 1944 in der Pfarrkirche St. Marien in Osnabrück befanden, vermag Pfeiffer, zusammen mit der Figur einer Maria lactans, überzeugend als ein eigenständiges Retabel zu rekonstruieren, das eine Stiftung der Osnabrücker Zwölf-Apostel-Bruderschaft gewesen und in den 1390er-Jahren aufgestellt worden ist.
Im Unterschied zur bisherigen Forschung wagt Pfeiffer den Blick über die Gattungsgrenzen hinaus und erweitert das Œuvre des Meisters um Entwürfe für Glasmalerei und Bronzeplastik. Im ersteren Fall ist dies der Entwurf für das Westfenster der ehemaligen Zisterzienser-Klosterkirche in Altenberg (111-122). Obgleich diese Zuschreibung bereits auf breite Zustimmung gestoßen ist, so ist doch gegen sie einzuwenden, dass von den Tafelmalereien weder ein Weg zur kompositorischen Gestaltung des riesenhaften achtbahnigen, elfzeiligen Fensters noch zu den in ihm erhaltenen Figuren führt. [3] Genau besehen stützt Pfeiffer sich nicht zuletzt auf die angenommene Identität der Stifter des Fensters und des Bielefelder Retabels, was jedoch nicht erwiesen ist (s.o.). Gleiches gilt, was hier nur erwähnt werden kann, für die Zuschreibung der Bronzeplatte mit der Figur Bischof Ruprechts im Paderborner Dom (123-130).
Im zweiten, vergleichenden Teil seiner Arbeit geht Pfeiffer in zwei Kapiteln - "Das Verhältnis zur französischen Hofkunst der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts" (133-160), und "Das Verhältnis zur Tafelmalerei am Niederrhein und in Westfalen um 1400" (161-204) - auf die schwierige Frage der künstlerischen Quellen des Meisters des Berswordt-Altars und auf dessen Einfluss auf Zeitgenossen und Nachfolger ein. Er kann nachweisen, dass der Maler sich in den 1370er- und frühen 1380er-Jahren an Werken des Jean de Liège, des André Beauneveu und vor allem des Jean de Bondol geschult haben muss, auch wenn es zweifellos zu weit geht, in Letzterem seinen Lehrmeister zu vermuten (154). Dies wird weder Jean de Bondol noch dem Berswordt-Meister selbst gerecht. In betonter Abkehr von der Forschung lehnt Pfeiffer Zusammenhänge mit älteren Werken im Großraum Köln, am Niederrhein und in Norddeutschland kategorisch ab, um umso mehr die Bedeutung des Malers für den Meister der Hl. Veronika, die Werkstatt der Altarretabel von Warendorf, Darup und Isselhorst, den Meister des Fröndenberger Altars, die Werkstatt der Goldenen Tafel und, nicht zuletzt, für Conrad von Soest herauszustellen.
Die Arbeit Götz J. Pfeiffers ist klar strukturiert und im Sinne der Entwicklung ihrer Thesen klug aufgebaut. Die Ergebnisse eines jeden Kapitels und der einzelnen Teile werden in kurzen Resümees zusammengefasst, was es dem Leser sehr erleichtert, der Argumentation des Autors zu folgen; auch am Schluss steht nochmals ein Resümee ("Zusammenfassung und Ausblick", 205-209). Dem wohldurchdachten Aufbau steht im Layout leider eine lieblose Bebilderung mit allzu knappen Bildunterschriften entgegen. Weshalb im zweiten Teil auf die Möglichkeit von Bildvergleichen verzichtet wurde, ist ganz rätselhaft. Sieht man von diesen technischen Mängeln ab, ist es Pfeiffer insgesamt aber gelungen, das "künstlerische Profil" des Meisters des Berswordt-Altars zu schärfen. Gleichwohl bleibt abzuwarten, inwieweit sich seine Thesen durchzusetzen vermögen. War der Maler tatsächlich in Köln ansässig? War er als Entwerfer für andere Gattungen tätig? Ist es überzeugend, seinen Stil allein aus der französischen Kunst der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts herzuleiten? Legt man einen so strengen Maßstab an, wie Pfeiffer ihn bisweilen auf Arbeiten anderer Autoren anwendet, kommt man kaum umhin, den hypothetischen Charakter auch seiner Forschungen zu betonen.
Anmerkungen:
[1] Die erwähnten Titel sind bei Pfeiffer im "Verzeichnis der benutzten Urkunden, Akten und Literatur" aufgeführt (258-277); siehe Lüttenberg 2001, Menzel 2001 und Zupancic / Schilp 2002.
[2] Axel Kolodziej: Herzog Wilhelm I. von Berg (1380-1408) (= Bergische Forschungen, Bd. 29), Neustadt a. d. Aisch 2005, 140.
[3] Daniel Parello: Das Westfenster, in: Uwe Gast / Daniel Parello / Hartmut Scholz: Der Altenberger Dom (= Meisterwerke der Glasmalerei, Bd. 2), Regensburg 2008, 51-73, hier 66.
Uwe Gast