Rezension über:

Peyman Jafari: Der andere Iran. Geschichte und Kultur von 1900 bis zur Gegenwart, München: C.H.Beck 2010, 223 S., ISBN 978-3-406-60644-1, EUR 19,95
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Rezension von:
Nina Zolanwar
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Nina Zolanwar: Rezension von: Peyman Jafari: Der andere Iran. Geschichte und Kultur von 1900 bis zur Gegenwart, München: C.H.Beck 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 6 [15.06.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/06/18496.html


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Peyman Jafari: Der andere Iran

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Offensichtlich gibt es Informationsbedarf zu Iran, seiner Geschichte, Kultur und Bevölkerung jenseits der oft verstörenden Meldungen aus der Tagespresse, die in der Öffentlichkeit ein negativ besetztes Iran-Bild hervorrufen. Peyman Jafari, ein Politikwissenschaftler mit iranischen Wurzeln, will mit seinem Buch "Der andere Iran. Geschichte und Kultur von 1900 bis zur Gegenwart" diesem einseitigem und negativen Iran-Bild andere Bilder entgegensetzen.

In den letzten Jahren sind bereits einige Bücher mit dieser Intention erschienen, wie etwa "Der Iran: Die verschleierte Hochkultur" (2009) von Andrea Hoffmann oder "Iran ist anders: Hinter den Kulissen des Gottesstaates" (2010) von Antonia Bertschinger und Werner van Gent, um nur die neuesten Publikationen zu nennen. Diese Titel haben mit Jafaris Buch einige wesentliche Gemeinsamkeiten: sie wollen informieren, in dem sie dem Leser einen Einblick in die iranische Kultur, Geschichte und das gesellschaftliche Leben der Islamischen Republik Iran jenseits der medialen Berichterstattung zu Atomkonflikt, Menschenrechtsverletzungen und verbalen Entgleisungen ihres Präsidenten versprechen. Sie wollen aufklären, in dem sie das oft einseitig in den Medien dargestellte Iran-Bild hinterfragen und ergänzen. Sie wenden sich vor allem an interessierte Laien, an kritische Zeitungsleser und nicht unbedingt an das Fachpublikum. Es sind Bücher, die ihre Leser über Iran in seiner Ganzheit aus langer Geschichte, eigenständiger Kultur, multiethnischer Bevölkerung und einem komplizierten politischen System in verständlicher und gut lesbarer Form informieren möchten.

Das Buch "Der andere Iran" ist dieser Kategorie zuzuordnen. Es ist zwar mit viel Sachkenntnis geschrieben, neue Forschungserkenntnisse zu Iran liefert es jedoch nicht. Peyman Jafari verwendet nur vereinzelt originalsprachliche Quellen, die Bibliographie beschränkt sich auf die wesentlichen Fachpublikationen zu Iran, umfassend ist sie nicht. Die niederländische Originalausgabe erschien im Jahr 2009 unter dem Titel "Het andere Iran. Van de revolutie tot vandaag". Ein Jahr später brachte der Beck-Verlag die deutsche Übersetzung heraus, die vom Autor wegen der Ereignisse nach der iranischen Präsidentschaftswahl im Jahr 2009 und der anschließenden Protestwelle aktualisiert und um ein Kapitel erweitert wurde. Und auch die Bundeszentrale für politische Bildung nahm den Titel Ende 2010 in ihr Verlagsprogramm auf.

Peyman Jafari ist neben seiner Tätigkeit als Doktorand am renommierten International Institute for Social History in Amsterdam auch journalistisch tätig. Dieses Buch ist Ergebnis seiner Arbeit als Journalist, wie er im Vorwort deutlich macht. Darin kritisiert Jafari treffend die gängigen Iran-Bilder, die plakative Wiederholung der inneriranischen Gegensätze - auf der einen Seite die bärtigen Mullahs und die schwarz verschleierten Frauen, auf der anderen Seite die eleganten Iranerinnen mit bunten Kopftüchern und großen Sonnenbrillen - als gleichermaßen polarisierend und klischeehaft. Und gegen diese Bilder anzuschreiben, ist eines seiner beiden Hauptmotive, die er im Vorwort seines darlegt:

"Mein Buch Der andere Iran ist eine Antwort auf diese irreführende Vorstellung und die dahinter verborgene Ideologie von den aufeinanderprallenden Kulturen. Es will nicht nur die lange und komplexe Geschichte des Iran verständlich machen, sondern auch die gängigen Iranbilder korrigieren. [...] Im Folgenden hoffe ich zu zeigen, wie tief die Sehnsucht nach politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in der iranischen Geschichte verwurzelt ist. Der andere Iran ist die Geschichte der Männer und Frauen, [...] die Quelle von Widerstand und Wandel bilden. [...] Ihr Leben wird nicht nur vom Glauben, sondern auch von der Herausbildung eines modernen Staates, von der Entwicklung der Wirtschaft und den zunehmenden sozialen Gegensätzen bestimmt. [...] Das Buch schildert einen kleinen Ausschnitt aus dem universalen Erzählen vom Kampf der Menschen um Selbstbestimmung." (12/13)

Peyman Jafari hat sich also viel vorgenommen. Die lange Geschichte Irans will er nicht nur als eine Abfolge verschiedener Dynastien und Herrscher verstanden wissen, sondern auch als einen fortwährenden Kampf der Iraner gegen Invasionen und Fremdherrschaft aller Art, wie der islamischen Eroberung Irans im 7. Jahrhundert, dem Einfall der Mongolen im 13. Jahrhundert oder dem zunehmenden Einfluss der westlichen Großmächte seit dem 19. Jahrhundert. Wie ein roter Faden zieht sich Jafaris Lesart der Geschichte Irans durch das Buch. In seinem historischen Abriss stellt er immer wieder durch die Verwendung primär im Kontext der Moderne verwandter Begrifflichkeiten Bezüge zur Gegenwart her, die oft etwas konstruiert und deplaziert wirken. So ist es zum Beispiel irritierend, der iranischen Bevölkerung des 5. Jahrhunderts eine "Sehnsucht nach sozialer Gerechtigkeit" (21) zuzuschreiben, obgleich dieser Begriff erst mit dem Aufkommen der sozialen Frage in der Industriegesellschaft auftaucht. Eine eigene Definition zur sozialen Gerechtigkeit liefert Jafari nicht, vielmehr wird auch der frühen Schia die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit in den Mund gelegt. Das alles ist nicht ganz falsch, aber eben auch nicht wirklich richtig. Unter diesen sprachlichen Ungenauigkeiten leidet die Qualität des historischen Abrisses sehr.

Inhaltlich und qualitativ zerfällt "Der andere Iran" in zwei Bestandteile: dem groben historischen Abriss der Geschichte Irans vor der Revolution von 1979 folgt ein informativer und gut zusammengefasster Teil über die Islamische Republik von ihrer Entstehung bis heute.

Im zweiten Teil wird deutlich, dass Peyman Jafari als Politikwissenschaftler in seinem Forschungsgebiet angekommen ist. Eindrücklich und sehr gut nachvollziehbar legt der Autor die komplexe politische Struktur der Islamischen Republik dar. Die internen Richtungswechsel und Krisen, welche die Islamische Republik im Laufe ihres über 30jährigen Bestehens bislang durchstanden hat, schildert er als Elemente eines postrevolutionären Transformationsprozesses, den die Machthaber zu kontrollieren versuchen.

So überzeugt Jafaris Darstellung der drei bislang prägendsten Präsidenten der Islamischen Republik Rafsandschani, Chatami und Ahmadinedschad: jeder von ihnen verkörpere "den Versuch, durch die Neudefinition der Islamischen Republik eine stabile gesellschaftliche Basis zu finden" (157). Das ist einleuchtend und unterstreicht die Tatsache, dass die Revolution von 1979 von einer Vielzahl unterschiedlicher Oppositionsgruppierungen getragen wurde, deren Forderungen nach Rechtstaatlichkeit, Meinungsfreiheit, Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen, nationaler Unabhängigkeit und sozialer Gerechtigkeit auch in der Islamischen Republik Iran noch präsent sind. Obgleich sich Ayatollah Chomeini und seine Anhänger an die Spitze der Revolutionsbewegung setzen konnten und jegliche Opposition gewaltsam und wirkungsvoll bekämpften, ist es ihnen in den letzten 30 Jahren nicht gelungen die Iraner von ihrer Politik zu überzeugen.

Peyman Jafari gelingt in seinem Buch "Der andere Iran" sowohl eine allgemeinverständliche Analyse der komplexen Machtverhältnisse in der Islamischen Republik Iran, als auch eine klare Schilderung der seit langem bestehenden und noch immer aktuellen Bedürfnisse der iranischen Bevölkerung nach demokratischen Freiheiten und Grundsätzen. Trotz der Schwächen im ersten Teil, ist Jafaris Buch ein guter Einstieg in die neueste Geschichte Irans, insbesondere die der Islamischen Republik. Abgerundet wird das Buch durch eine Zeittafel mit den wichtigsten Daten der iranischen Geschichte im 20. Jahrhundert und ein nützliches Personenregister.

Nina Zolanwar