Pablo Schneider: Die erste Ursache. Kunst, Repräsentation und Wissenschaft zu Zeiten Ludwigs XIV. und Charles Le Bruns (= humboldt-schriften zur kunst- und bildgeschichte; Bd. 13), Berlin: Gebr. Mann Verlag 2011, 334 S., 95 s/w-Abb., ISBN 978-3-7861-2632-4, EUR 49,00
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Der Titel von Pablo Schneiders Buch lässt nicht erahnen, dass allein das Versailler Parterre d'eau im Zentrum der Untersuchung steht und an diesem Beispiel Veränderungen in der Repräsentationsform des französischen Monarchen am Ende des 17. Jahrhunderts aufgezeigt werden.
Das behandelte Parterre im Garten von Versailles wurde ab 1672 realisiert und noch vor seiner Vollendung 1683 abgebrochen - um von einer gänzlich neu konzipierten Anlage ersetzt zu werden, die mit ihren beiden großen Wasserflächen und personifizierten Flüssen Frankreichs noch heute zu sehen ist. Das Parterre d'eau befand sich zwischen dem Mittelteil des Schlosses und dem zum Petit Parc weisenden Latona-Becken sowie zwischen der Orangerie im Süden und dem Nordparterre. An zentraler Stelle gelegen, konnte es von der in der Mittelachse gelegenen Terrasse des Schlosses überblickt werden, an deren Stelle ab 1678 die Spiegelgalerie errichtet wurde. Die Planungen oblagen dem premier peintre du roi, Charles Le Brun. Er sah eine quadratische Brunnenanlage mit einem zentralen Becken vor, um das vier kleinere Bassins axial geplant waren. Diese sollten von 24 Statuen in sechs Vierer-Gruppen mit Personifikationen sowie vier Raptus-Gruppen umgeben werden. Zudem war die Anlage eines Parnass im Zentrum und eines Globus an der westlichen Seite beabsichtigt.
Im einleitenden Kapitel wirft Schneider die Frage nach Ludwig XIV. als "première cause", als die "erste Ursache" der Planungen des Parterre auf und erläutert die Zusammenhänge von Kunst, Repräsentation und Wissenschaft(en) am Ende des 17. Jahrhunderts in Frankreich. Denn das Parterre d'eau stellte eine "représentation de toute la masse ou construction universelle" (281) dar, wie es Claude Nivelon, der Biograf Le Bruns, beschrieb, und sollte die Souveränität des Monarchen bildlich präsentieren. Warum die endgültige Umsetzung dennoch, oder gerade deshalb, 1683 scheitern musste, will Schneider in seiner Arbeit aufzeigen. Leider verzichtet das einleitende Kapitel auf eine Darstellung der Forschungslage und gibt nur einen ungefähren Einblick in den Aufbau des Buchs.
Die Arbeit ist in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil umfasst eine Untersuchung des Aufbaus des Parterre und seiner skulpturalen Ausstattung. Der zweite Teil analysiert die Bedeutung der "neuen" natur- und geisteswissenschaftlichen Erkenntnisse hinsichtlich visueller Argumentationsstrategien am Ende des 17. Jahrhunderts, die für den Abbruch des Parterre d'eau verantwortlich waren.
Im ersten Teil rekonstruiert Schneider zunächst den Aufbau des Parterre d'eau anhand der überkommenen Entwürfe und Ansichten, vor allem aus der Werkstatt Le Bruns. Umfangreich und unter Hinzunahme zahlreicher Quellentexte wie Vitruv und Platon belegt er die Bedeutung der Quadrat- und der Kreisform für den Aufbau des Parterre. Im dritten Kapitel stellt Schneider dessen skulpturale Ausstattung vor. Zunächst geht er auf den Parnass ein, der in der Mitte des großen Beckens lokalisiert wird. Anhand einer Entwurfszeichnung Le Bruns identifiziert Schneider den Lyra spielenden Apoll und vier der acht ihn umgebenden Musen auf dem Parnass. Im Folgenden beleuchtet er ausführlich die Parnass-Ikonografie des Entwurfs von Le Brun, benennt mögliche Vorbilder in Paris und Italien und diskutiert die Anzahl der Musen sowie die Probleme ihrer Identifikation. Ein anderer Entwurf Le Bruns, der Pegasus von Musen umgeben zeigt, sollte nach Schneider nicht realisiert werden, da er das staatspolitische Programm des Parterre geschwächt hätte.
Die vier äußeren Becken sollten von 24 Statuen umgeben werden, die Jean-Baptiste Colbert als Grande Commande 1674 in Auftrag gab. Die sechs Vierer-Gruppen stellen Personifikationen der vier Elemente, Jahreszeiten, Tageszeiten, Temperamente, Dichtkünste und Erdteile vor. Schneider erläutert ausführlich Ikonografie und Umsetzung durch die beauftragten Künstler sowie die Bezüge der Skulpturen zu dem mittleren Parnass hinsichtlich der Herrschaftsrepräsentation Ludwigs XIV. Dabei sei laut Schneider die Darstellung der vier Elemente von besonderer Bedeutung gewesen, nahm doch der Monarch für sich in Anspruch, die Unordnung der elementaren Kräfte zum Wohl seiner Untertanen in eine friedliche Ordnung gebracht zu haben (115f.).
Während die 24 Einzelfiguren auf ein unmittelbares Verständnis ausgerichtet waren, wäre laut Schneider für die in den vier Ecken stehenden Raptus-Gruppen eine eingehendere Analyse seitens des Betrachters notwendig gewesen. Doch lassen sie sich mit den vier Elementen in Zusammenhang bringen, wie es auch bei den tapisseries du roi, einer von Colbert in Auftrag gegebenen Serie von Wandteppichen, angezeigt wird. Zudem stehen die Raptus-Gruppen, wie die Einzelfiguren, in Verbindung mit der Ikonografie der sie hinterfangenden Gartenfassade, an der die zwölf Monate und Lebensalter dargestellt werden.
Im zweiten Teil des Buchs geht Schneider auf den Konflikt zwischen der Kunst, in Form von Repräsentationsdarstellungen Ludwigs XIV., und den der Krone zu verdankenden neuen Erkenntnissen der naturwissenschaftlichen Forschung am Ende des 17. Jahrhunderts ein. Diesen Konflikt erklärt Schneider mit der Bildmächtigkeit der Wissenschaften, die zu Kritik an der bestehenden Politik und Herrschaft führte. Und damit der Konzeption des Parterre d'eau die Allgemeingültigkeit und Legitimation nahm (175f.).
Schneider betont die bisher zu wenig thematisierte Zusammenarbeit der aus der Académie française hervorgegangenen Petite Académie unter der Leitung von Colbert mit Le Brun für die Konzeption und ikonografischen Inhalte des Parterre d'eau. Den Mangel an schriftlichen Aufzeichnungen erklärt der Autor mit der Geheimhaltung, die erfolgen musste, weil der König als Ursprung und "erste Ursache" der Planungen zu gelten hatte (189f.). Jedoch schlussfolgert Schneider, dass die bis in die 1670er-Jahre hinein mögliche Integration der Künste in das System der Wissenschaften durch Gremien wie das Journal des Sçavans oder die Petite Académie ab dem letzten Viertel des 17. Jahrhunderts nicht mehr möglich war, was schließlich zur Beseitigung des Parterre d'eau führen musste.
Im Weiteren geht Schneider nochmals auf die Grundrissform des Parterre d'eau ein und erläutert diese mit einem universalwissenschaftlichen Deutungsversuch der Frühen Neuzeit im Zusammenhang mit den vier Elementen (204f.). Zudem sieht er eine Ikonografie des Universums, in dem Kreis und Quadrat Welt und Kosmos widerspiegeln und so schließlich das Parterre als Bild des Mikro- und Makrokosmos gedeutet werden soll (213ff.).
Das Parterre d'eau scheiterte nach Schneider nicht an der fehlenden Ansichtigkeit durch die Errichtung der Spiegelgalerie und der damit einhergehenden Zerstörung der Terrasse 1678. Dem Scheitern lagen vielmehr die neuen Erkenntnisse der Natur- und Geisteswissenschaften zugrunde, die am Ende des 17. Jahrhunderts keine akzeptierte Grundlage der Analyse von Welt und Kosmos mehr boten und damit der Ordnung in die Unordnung der vier Elemente bringenden Monarchie die Erklärungsmöglichkeiten entzogen. Der Versuch, anhand des Parterre das Ideal eines unabhängigen Souveräns darzustellen, wie ihn Jean Bodin in seinen Six livres de la République (1576) präsentierte, war misslungen. Die nunmehr mögliche oder notwendige Individualisierung und Historisierung des Monarchen, wie am Beispiel der Deckengemälde der Spiegelgalerie verwirklicht, führte schließlich zum Abbruch der bis dahin umgesetzten Arbeiten am Parterre d'eau (233ff., 266ff.).
Pablo Schneider widmet sich einem bislang in dieser Form wenig thematisierten Aspekt der Forschung zu den Schloss- und Gartenanlagen von Versailles im 17. Jahrhundert. In großer Ausführlichkeit zieht er Quellen heran, die jedoch in ihrer Fülle nicht immer die genaue Verfolgung seiner Argumentationen erlauben. Eine differenziertere Gliederung und konzise Zusammenfassungen am Ende der Unterkapitel wären für die weniger mit dem Thema vertrauten Leser hilfreich und sinnvoll gewesen. Dennoch kann Pablo Schneiders Untersuchungsansatz als Vorbild für weitere Forschungen zu monarchischen Repräsentationsformen dienen.
Florian Dölle