Peter Oliver Loew: Danzig. Biographie einer Stadt, München: C.H.Beck 2011, 320 S., 34 Abb., ISBN 978-3-406-60587-1, EUR 24,95
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"Das Geheimnis der Stadt ist das Dazwischen, sie lebt von der Spannung." (296) Das hat sie seit Generationen bewiesen und deswegen auch unzählige Menschen fasziniert. Es ist also begrüßenswert, wenn für den deutschsprachigen Leser ein allgemein verständliches Buch über Danzig erscheint. Eine Biographie, ganz gleich ob über einen Menschen oder eine Stadt, ist immer eine große Herausforderung; auf 300 Seiten lassen sich nicht alle Facetten beleuchten.
Der chronologische Aufbau hält sich weitgehend an die Vorgaben der Geschichten Danzigs, etwa von Edmund Cieślak und Czesław Biernat (1980). Den einzelnen Kapiteln sind sehr anschaulich Farben zugeordnet. Die Hälfte des Bandes ist der Zeit bis 1793 gewidmet, der zweite Teil umfasst die Zeit bis 2010. Die Zäsur zu Ende des 18. Jahrhunderts bedeutete wie bei Amsterdam (1794/95) oder Venedig (1797) das Ende einer städtischen Unabhängigkeit. Das 19. und 20. Jahrhundert fanden nicht nur wegen der einfacheren Quellenlage mehr Aufmerksamkeit. Peter Oliver Loew als ausgewiesener Kenner dieser Zeit (2003, 2006, 2009) beschreibt souverän die Ereignisse. Er konzentriert sich weitgehend auf das Politische, doch auch Wirtschaft und Kultur kommen nicht zu kurz. Aufgelockert werden die Abschnitte mit Literaturzitaten.
Den Eingangsabschnitten der Kapitel werden "die Bemühungen der städtischen Eliten, ihren Zeitgenossen die Vergangenheit des Gemeinwesens in Erinnerung zu rufen" (12) vorangestellt. Diese Abschnitte lesen sich teilweise gekünstelt und wären am Kapitelende sinnvoller. Der Bernstein etwa (14f.), früher ein landesherrschaftliches Monopol, der an der östlichen Küste der Ostsee weit häufiger vorkam als bei Danzig (Museen gibt es auch in Memel und Königsberg), ist heute ein rein kommerziell vermarktetes Schmuckstück.
Die Geschichte der früheren Jahrhunderte folgt weitgehend den Fakten und lässt einen farbigen Hintergrund vermissen, der an ausgewählten Beispielen die Anschaulichkeit erhöht hätte, hier wäre weniger mehr gewesen. Zitate wie auf Seite 66 sind wenig aussagekräftig. Eine größere Einbindung in die europäische Geschichte wäre zum Verständnis vorteilhaft. Minister Hertzberg schlug 1788 einen Tausch gegen Galizien vor, was in Zusammenhang mit dem bayrischen Erbfolgekrieg stand; es ging primär nicht um Danzig und Thorn (142). Nicht nur im Politischen ist die frühere Zeit nicht immer ganz glücklich dargestellt, was einige Beispielen zeigen sollen.
Danzig war "alles andere als homogen" (89); in der multiethnischen frühneuzeitlichen Stadt waren die meisten Bewohner polyglott; das Deutsche war im Hanseraum die Verständigungssprache, das Lateinische blieb bis in das 18. Jahrhundert in Danzig im Gebrauch und um das Polnische zu Erlernen, wurden Jungen und Mädchen über den Schulunterricht hinaus zum Sprachunterricht nach Polen geschickt. Nicht nur hierüber gibt das Gesprächsbuch des Danziger Gymnasiallehrers Volckmar Aufschluss. [1]
Apropos Mädchen, in Danzig sorgten sich die Bürgerfrauen nicht nur um "Haus und Herd" (91); sie führten die Kramläden, sie unternahmen Handelsfahrten nach Königsberg, wie die Quellen belegen. Und die Wochenschrift Die mühsame Bemerckerin war trotz des "recht umständlich klingenden Titel[s]" (138) gerade für Frauen geschaffen worden.
Der Niedergang des Schulwesens ist wohl zu negativ gezeigt, eine Zahl von 65 Schülern im Jahre 1765 besagt nicht viel (137); neuere Forschungen werten die Zeit anders. Wenngleich der Lehrplan bei der klassischen Ausbildung blieb, so unterrichteten dort international anerkannte Gelehrte wie Hanow, Lengnich oder Wernsdorf. [2]
Die Kapiteltrennung des Jahres 1655 teilt die Musikgeschichte unglücklich (106, 136). Nicht nur St. Marien, alle Kirchen leisteten sich hochwertige, teilweise ausländische Musiker, die Verbindungen nach Italien pflegten; Andreas Hakenberger komponierte im venezianischen polychoralen Stil, Kaspar Förster lernte bei Carissimi in Rom. Polnische Wissenschaftler(innen) haben in letzter Zeit intensiv zu Danzig geforscht. [3] Bis heute ist das Repertoire der Carillons überliefert, das, wie auch die Zunftordnungen, der Koordination und Organisation des Zusammenlebens diente. Die Massierung von über 3.000 Werkstätten in Danzig (200 Spezialhandwerke waren in mehr als 50 Zünften zusammengefasst) war für ganz Ostmitteleuropa einzig und strahlte über den regionalen Bereich hinaus. Es gab eine Zunft der Fischer, deswegen kann man sie nur schlecht mit Hausierern in Zusammenhang bringen (80). Die Bedeutung der Brauer sank (75) mit dem Rückgang des Bierverbrauchs als andere Getränke Marktanteile gewannen.
Eine führende Handelsregion wie Danzig zeichnete sich durch den Aufbau eines effizienten, dauerhaften Informationsnetzes aus; das geschah durch Kaufleute und Faktoren und weniger durch die Sammeltätigkeit der Bibliothek (107). Es wäre auch zu hinterfragen, warum die Monarchen bei ihrem Einzug "einen ganzen Stapel von Begrüßungs- und Lobgedichten" (107) erhielten. Gelegenheitspoetik wie auch Festzüge boten eine Gelegenheit, öffentlich frühere Konflikte und Gegnerschaften zu überwinden, womit die wiederhergestellte Ruhe und Ordnung demonstriert werden konnte. Flugblätter trugen nicht nur "umständliche, doch informative Titel" (137), sie wurden im 18. Jahrhundert zu einem Hauptagitationsmedium, welches es zum Beispiel Oppositionsbewegungen ermöglichte, Einfluss auf politische Debatten zu nehmen. [4]
Eine größere Sorgfalt auf eine präzise Wortwahl wäre an manchen Stellen nötig gewesen. Die Ordensgewaltigen (40) hießen Großgebietiger. Der Bischof von Włocławek (58, 96) war der Bischof von Kujawien. Der Pfarrer zu St. Peter Jakob Knade (81) heiratete 1525 und musste Danzig verlassen. In der frühen Neuzeit kann man weder von dem "deutschen Herrscher" (62) noch dem "deutschen Kaiser" (79) sprechen. Albrecht "wandelte seinen Staat in ein weltliches, protestantisches Herzogtum" (79); der Staatsbegriff für 1525 ist problematisch, ein Herzogtum immer weltlich und die Protestanten fanden sich erst 1529. Der Begriff "Zentralgewalten" in Polen (112) führt in die Irre. Das Charakteristische für Polen ist die fehlende Unterscheidung in Hoch- und Niederadel, der Adel wählte den Herrscher viritim (123) und der Sohn Augusts II. hieß Friedrich August II. und nannte sich erst als König August III. (123). Die Zollstelle Fordon (140) liegt im Übrigen bei Bydgoszcz.
Den Stärken in den Kapiteln der Neuzeit und Zeitgeschichte stehen Schwächen in den früheren Jahrhunderten gegenüber. Der Leser erhält insgesamt einen guten Einblick in die über tausendjährige Geschichte der Stadt Danzig; das Buch bringt allerdings wenig Neues.
Anmerkungen:
[1] Nicolausa Volckmara Viertzig Dialogi 1612. źródło do bandań nad życiem codziennym w dawnym Gdańsku, hg. von Edmund Kizik, Gdańsk 2005.
[2] Anna Grześkowiak-Krwawicz: Gdańsk oświecony. Szkice o kulturze literackiej Gdańska w dobie Oświecenia / Die Aufklärung in Danzig. Skizzen über die Danziger Literaturpflege im Zeitalter der Aufklärung, Warszawa 1998.
[3] Barbara Przybyszewska-Jarmińska: Musik protestantischer Kreise in der Forschung polnischer Musikwissenschaftler nach 1989, in: Barock (2006), S. 258-270.
[4] Ansgar Haller: Die Ausformung von Öffentlichkeit in Danzig im 18. Jahrhundert bis zur zweiten Teilung Polens im Jahre 1793, Hamburg 2005.
Almut Bues