Rezension über:

Konrad Ottenheym / Monique Chatenet / Krista De Jonge (eds.): Public Buildings in Early Modern Europe (= Architectura Moderna; Vol. 9), Turnhout: Brepols 2010, XIV + 408 S., ISBN 978-2-503-53354-4, EUR 94,00
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Rezension von:
Julian Jachmann
Kunsthistorisches Institut, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Julian Jachmann: Rezension von: Konrad Ottenheym / Monique Chatenet / Krista De Jonge (eds.): Public Buildings in Early Modern Europe, Turnhout: Brepols 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 9 [15.09.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/09/19402.html


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Konrad Ottenheym / Monique Chatenet / Krista De Jonge (eds.): Public Buildings in Early Modern Europe

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Der neunte Band der "Architectura Moderna" ist dem Thema der öffentlichen Bauten gewidmet. Dem Fokus der Reihe auf architektonischen Transferprozessen entsprechend sind hier Beispiele aus ganz Europa versammelt, ergänzt um einen Blick auf die Kolonien. Auch der zeitliche Rahmen wurde voll ausgeschöpft, die Frühe Neuzeit ist vom frühen 15. bis zum 18. Jahrhundert vertreten. Der mit 30 Aufsätzen ungewöhnlich große Umfang des reich bebilderten Bandes erklärt sich aus der Tatsache, dass Beiträge aus zwei Konferenzen - 2006 und 2008 in Utrecht - hier zusammengeführt wurden. Die Gliederung folgt dem weit verbreiteten funktionellen Ordnungsansatz für Bauaufgaben: Drei umfangreiche Teile zu "Government and Justice", "Economy" und "Education" werden gerahmt von zwei Abschnitten zu "Texts and Theories" und "Hospitals", die jeweils nur zwei Beiträge umfassen. Sakral- und Wehrbauten sowie Residenzen bleiben gänzlich ausgeklammert, Horizont ist die Infrastruktur der Stadt.

Die Artikel stellen sich weitgehend als Fallstudien dar, das heißt sie sind jeweils einer räumlich wie zeitlich begrenzten Baugattung gewidmet, die an einem oder mehreren Exempeln vorgestellt wird. Wichtige Ausnahmen sind die einleitenden Kapitel von Hermann Hipp und Jeroen Goudeau, welche der Frage nach Bautypen in Druckwerken nachgehen und sich hier auf den Bereich ramistischer Synopsen konzentrieren, insbesondere bei Alsted und Goldmann. Eine Art Komplementär zu diesem Ansatz bildet ein Beitrag von Hubertus Günther, der nach der Genese eines Typus am Beispiel der antiken Curia in ihrer frühneuzeitlichen Rezeption fragt. Dabei wird deutlich, dass sich ein Typus als Begriff und Bewusstseinsphänomen erst in einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Intentionen und Methoden entwickelt, in diesem Fall der römischen Topologie, Archäologie und Vitruvexegese.

In den übrigen, fallorientierten Beiträgen erscheint die explizite Frage nach dem Typusbegriff eher am Rande, mit den Ausnahmen der Texte von Krista de Jonge und Stephan Albrecht. Erstere fragt nach der Erfindung eines Typus (183) und seiner Beziehung zum Begriff des Modells (316). Und Albrecht formuliert mit seinem Beitrag "Against Building Typology" eine kritische Distanz zu dieser Kategorie, deren Bedeutung er zumindest für Teilbereiche der Architekturgeschichte einschränken möchte. Diese kritischen Anmerkungen weisen bereits darauf hin, dass das Thema innerhalb der Architekturgeschichte höchst umstritten ist. Der Band Public buildings steht dabei eher in der Tradition der Publikationen von Pevsner und Seidl [1], die Typen als Phänomene anerkennen und sie sammeln und charakterisieren. Auf diese Weise ergänzt der neue Band Publikationen wie diejenigen von Anthony Vidler zum Typus oder den Sammelband von Stephan Albrecht zur Öffentlichkeit [2], die sich stärker einer Thematisierung der Kategorien verschrieben haben. Wie schwierig die Fragen von Öffentlichkeit und Architektur und die damit verbundene Typusproblematik sein können, zeigte Ulrich Meier 2005 an einem Beispiel auf. Er konnte nachweisen, dass die Bedeutung verschiedener öffentlicher Bauten - und damit potentiell auch ihr entsprechender Typus - in den Bereichen der rechtlichen und verfassungsmäßigen Bedeutung einerseits und ihrer Wahrnehmung von Seiten der Zeitgenossen andererseits stark variieren kann. [3] Ein Bautypus ist somit nicht nur für einen bestimmten historischen Kontext spezifisch, sondern auch für einen Diskurs innerhalb dieses Rahmens. Es ist also verständlich, dass sich auch in dem vorliegenden Band die Kategorie des Bautypus und die mit diesem verbundenen Begriffe von Baugattung, Modell oder Muster als äußerst polyvalent erweisen.

Eine große Stärke des Bandes liegt in Beiträgen begründet, die gerade wenig bekannte Objekte vorstellen. Das gilt vor allem für die beiden Kapitel zu merkantilen und schulischen Bauten, aber auch zahlreiche andere Beiträgen, die beispielsweise Loggien in Dalmatien, schottischen Rathäusern oder niederländischen Arbeitshäusern gewidmet sind. Neben den meist ausführlichen Hinweisen zur Forschungslage finden sich zahlreiche Abbildungen - dankenswerter Weise auch Grundrisse und diagrammatische Raumanalysen - die zu weiterer Forschung anregen. Dabei zeigen die unterschiedlichen Schwerpunkte der Autoren bereits einen breiten Fächer an Möglichkeiten auf. Verschiedene Varianten ergeben sich beim Verhältnis von Raum und Gesellschaft. Pieter Vlaardingerbroek fasst diese Beziehung unter die Kategorie einer Öffnung und Schließung von Regimentsräumen, Lanfranco Longobardi als diagrammatische Raumanalyse eines Gefängnisbaus und Nada Grujić im Sinne der Bedeutung einer Öffentlichkeit als Zeuge für herrschaftliche Handlungen in und vor Laubenarchitekturen. Auf einer stärker diskursiven Ebene ist das Thema von Deborah Howard angesiedelt, die nach Willensbildungsprozessen bei der Planung der Rialto-Brücke fragt. Und Stéphanie Dargaud zielt mit der Frage nach dem Verhältnis zum Wohnbau auf eine besonders kritische Stelle der Typusdebatte, der Frage nach öffentlichen und privaten Bauten. So zeigen gerade Amtssitze und fürstliche Paläste, dass diese Dichotomie in der Praxis keinesfalls so schematisch ausfiel wie es die zeitgenössische Theorie vielleicht vermuten lässt.

Der Band ist nicht nur eine umfassende Sammlung detaillierter Fallstudien, die für eine Beschäftigung mit diesem Thema zukünftig unverzichtbar sein wird. Implizit muss er auch als eine dringende Aufforderung verstanden werden, die Fragen nach dem Typus und der Öffentlichkeit in der Frühen Neuzeit weiterzudenken. [4] Ob Typen über Bezeichnungen, Grundrisse, Fassaden oder einzelne Funktionen definiert waren, wie sie räumlich und zeitlich eingegrenzt werden können und in welchen Diskursen - künstlerisch, enzyklopädisch, rechtlich, sozial - sie überhaupt Geltung beanspruchen konnten, ist dabei nur als erste Annäherung zu verstehen. Als langfristiges Ziel müssen jenseits des einzelnen Typus auch Typologien erforscht werden, also Praktiken und Theorien im Umgang mit den Typen und ihrem Zusammenspiel in einer Systematik oder einem offenen Diskurs.


Anmerkungen:

[1] Nikolaus Pevsner: A history of building types, London 1976; Ernst Seidl: Lexikon der Bautypen, Funktionen und Formen der Architektur, Stuttgart 2006.

[2] Stephan Albrecht (Hg.): Stadtgestalt und Öffentlichkeit: die Entstehung politischer Räume in der Stadt der Vormoderne, Köln u.a. 2010; Anthony Vidler: The idea of type: the transformation of the academic ideal, 1750 - 1830, in: Oppositions 8 (1977), 94-115.

[3] Ulrich Meier: Repräsentation und Teilhabe. Zur baulichen Gestalt des Politischen in der Reichsstadt Dortmund (14.-16. Jahrhundert), in: Städtische Repräsentation, hg. von Nils Büttner u.a., Bielefeld 2005, 227-247.

[4] Präliminare Überlegungen bei: Julian Jachmann, Enzyklopädische Architekturtypologie im 18. Jahrhundert: die "Architectonischen Risse" von Anckermann, Hofmeister und Engelbrecht, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 35 (2008), 169-214.

Julian Jachmann