Rezension über:

Wolfgang Simon (Hg.): Martin Bucer zwischen den Reichstagen von Augsburg (1530) und Regensburg (1532). Beiträge zu einer Geographie, Theologie und Prosopographie der Reformation (= Spätmittelalter, Humanismus, Reformation; 55), Tübingen: Mohr Siebeck 2011, IX + 273 S., ISBN 978-3-16-150599-7, EUR 84,00
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Rezension von:
Martina Fuchs
Institut für Geschichte, Universität Wien
Redaktionelle Betreuung:
Johannes Wischmeyer
Empfohlene Zitierweise:
Martina Fuchs: Rezension von: Wolfgang Simon (Hg.): Martin Bucer zwischen den Reichstagen von Augsburg (1530) und Regensburg (1532). Beiträge zu einer Geographie, Theologie und Prosopographie der Reformation, Tübingen: Mohr Siebeck 2011, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 9 [15.09.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/09/19649.html


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Wolfgang Simon (Hg.): Martin Bucer zwischen den Reichstagen von Augsburg (1530) und Regensburg (1532)

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Martin Bucer zählt mit Sicherheit nicht zu denjenigen Reformatoren, die in einem breiteren Reformationsgedächtnis verankert sind. Umso erfreulicher ist es, dass sich die Forschung nun verstärkt seiner Person annimmt. [1] Dieses neu erwachte Interesse wird durch den Fortschritt an der Edition von Bucers Korrespondenz befördert, die nun bei Band 11, den Briefwechsel von April bis August 1532 enthaltend, angekommen ist. [2]

Der vorliegende Band versammelt 15 Aufsätze von ausgewiesenen Forscherinnen und Forschern aus unterschiedlichen Disziplinen. Den Beginn bilden zwei einführende Beiträge zur politischen Situation im Heiligen Römischen Reich und in der Reichsstadt Straßburg (Christoph Strohm, Thomas A. Brady Jr.). Die weiteren Aufsätze sind folgenden Beitragsgruppen zugeordnet: "Bucers Beitrag zu einer Geographie der Reformation", "Bucers Beitrag zu einer Theologie der Reformation" sowie "Bucers Beitrag zu einer Prosopographie der Reformation". Im Anhang werden neun Briefe aus dem Straßburger Stadt- bzw. St. Thomas-Archiv - überwiegend des Augsburger Rates an den Straßburger Rat - ediert (Reinhold Friedrich, Milton Kooistra). Das zentrale Thema dieser Korrespondenz bilden die zu besetzenden Predigerstellen in der Stadt am Lech.

In "geographischer" Hinsicht werden Basel (Thomas Wilhelmi), militärische Auseinandersetzungen in der Schweiz (Helmut Meyer) und Ulm (Sabine Arend) behandelt.

Die "theologische" Bedeutung Bucers machen Beiträge zu seinem Schriftverständnis im Vergleich mit Heinrich Bullinger (Daniel Timmerman), der innerprotestantischen Abendmahlskontroverse (Stephen E. Buckwalter), seiner Annahme der Confessio Augustana und deren Apologie (Wolfgang Simon), seinen "beiden Gesichtern" (Unduldsamkeit und Toleranz, Berndt Hamm) und schließlich zu seiner Auseinandersetzung mit Erasmus (Ian Hazlett) deutlich.

Der "prosopographische" Themenkomplex beschäftigt sich mit Bucers Beziehungen zu Augsburger Predigern (Reinhold Friedrich), Ambrosius Blarer und Georg Oßwald (Wolfgang Schöllkopf), Wolfgang Capito (Milton Kooistra), Luther und Melanchthon (Christine Mundhenk).

Aufgrund hochgradiger thematischer Spezialisierung tritt Bucers Persönlichkeit gelegentlich etwas in den Hintergrund; biographische Details muss sich der Leser aus mehreren Beiträgen erschließen. Eine tabellarische Übersicht zu Leben und Werk Bucers hätte dem leicht Abhilfe schaffen können und die Kontextualisierung erleichtert.

Die Bedeutung Martin Luthers ist omnipräsent; dennoch wird deutlich, welche Stellung Bucer - besonders in den innerprotestantischen Auseinandersetzungen - einnahm. Der Wortführer der Straßburger Reformation, zunächst eher Zwingli zugeneigt, war selbst um Ausgleich und Einigkeit bemüht, wie etwa seine Annahme der Confessio Augustana demonstriert. Ein Schritt, zum dem ein Luther unter umgekehrten Vorzeichen wohl nicht bereit gewesen wäre.

Die Beiträge, überwiegend quellenbasiert gearbeitet, bieten für die theologischen und politischen Vorgänge in der kurzen Zeit zwischen den beiden Reichstagen instruktive Einblicke in das Geschehen, wie sie in "allgemeinen" Reichs- oder Reformationsgeschichten naturgemäß nicht zu finden sind. Sozusagen nebenbei entdeckt man interessante Informationen, zum Beispiel Bucers Bemühungen um eine Vereinheitlichung der Orthographie, hier die Ulmer Kirchenordnung von 1531 betreffend (vgl. 76f.). Also nicht nur Martin Luther, der endgültig im 19. Jahrhundert zum Schöpfer einer vereinheitlichten neuhochdeutschen Schriftsprache gekürt wurde, erkannte die Wichtigkeit einer möglichst überregionalen Lexik und Rechtschreibung.

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass sich die einzelnen Artikel dieses Sammelbandes, der durch eine Gesamtbibliographie sowie ein Personen-, Orts- und Sachregister abgerundet wird - einzig Angaben zu den Autorinnen und Autoren sucht man vergeblich -, durch Kürze und Prägnanz auszeichnen. Diese, gestützt vor allem durch Zitate aus der Korrespondenz des gebürtigen Schlettstädters, macht es auch "Profanhistorikern" möglich, die theologischen Kontroversen nachzuvollziehen.

Abschließend sei auf die Wichtigkeit von Editiosnunternehmen, die auch im elektronischen Zeitalter nicht als überholt gelten dürfen, hingewiesen, beflügeln diese doch die einschlägige Forschung. Auch wenn am Ende nicht immer spektakuläre Neubewertungen stehen - eine breitere Quellenbasis ermöglicht aufschlussreiche Einblicke auch in durchaus schon bekannte Vorgänge und öffnet den Blick für manches bemerkenswerte Detail. Wenn daraus Monographien oder Sammelbände wie der vorliegende entstehen, ist das die beste Bestätigung für die Notwendigkeit moderner Editionen. Dieser Band demonstriert zudem, wie wichtig interdisziplinäre Zusammenarbeit ist - gerade in den Geisteswissenschaften oft gefordert, aber selten so gewinnbringend umgesetzt wie in "Bucer zwischen den Reichstagen".


Anmerkungen:

[1] Vgl. Martin Greschat: Martin Bucer. Ein Reformator und seine Zeit (1491-1551), Münster 2., überarb. u. erw. Aufl. 2009 [1990].

[2] Jean Rott (éd.): Correspondance de Martin Luther, Bde. 1-3 (=Studies in Medieval and Reformation Traditions), Leiden u.a. 1979-1995; Berndt Hamm u.a. (Hgg.): Martin Bucer - Briefwechsel / Correspondence, Bde. 4-8 (=Studies in Medieval and Reformation Traditions), Leiden u.a. 2000-2011.

Martina Fuchs