Michael Koch: Meisterwerke des Jugendstils im Bayerischen Nationalmuseum. Hrsg. von Renate Eikelmann, Stuttgart: Arnoldsche Art Publishers 2010, 280 S., ISBN 978-3-89790-333-3, EUR 49,80
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Der Katalog stellt zum ersten Mal geschlossen Teile der umfangreichen und bedeutenden Sammlung von Jugendstilobjekten aus den Beständen des Bayerischen Nationalmuseums München vor. Kurator Michael Koch folgt dabei auf vorbildliche Weise der Tradition des Sammlungskatalogs, wenn er einleitend die Geschichte der Sammlung mit den wichtigsten Provenienzen schildert und dann eine Auswahl wesentlicher Objekte, geordnet nach Gattungen, vorstellt.
In der Einleitung wird deutlich, dass die Jugendstilsammlung einen erstaunlich jungen Teilbereich des Bayerischen Nationalmuseums bildet. Der ehemalige Direktor des Hauses Wilhelm Heinrich Riehls hatte die Zeit vom frühen Christentum bis zum frühen 19. Jahrhundert als Zeitrahmen für die Sammeltätigkeit des Hauses festgelegt, auch wenn sein Vorgänger Jakob Heinrich von Hefner-Alteneck mit der Einrichtung einer Abteilung mit Objekten zeitgenössischer Gestalter begonnen hatte, geordnet nach Gewerken und Materialien, wie es auch im damaligen South Kensington Museum üblich war, oder nach Entstehungszeit. Die erworbenen Arbeiten sollten als Vorbilder für die Tätigkeit der Münchner Kunsthandwerker fungieren. Die Entwicklung des Bayerischen Nationalmuseums ist gerade in Hinblick auf den Umgang mit dem Jugendstil interessant. Wurde die "Art Nouveau" von anderen Museumsdirektoren wie z.B. von Justus Brinckmann in Hamburg aktiv gefördert und unter ihrer Ägide eine bedeutende Sammlung zusammengetragen, die auch immer im Sinne der englischen Kunstgewerbemuseen auf die Gegenwart und das eigene lokale Kunsthandwerk zurückwirken sollte, so konzentrierte sich das Bayerische Nationalmuseum auf einen historischen Standpunkt und auf das traditionelle bayerische Kunsthandwerk.
Dieses erstaunt umso mehr als sich nun gerade in München eines der Zentren des deutschen Jugendstils herausbildete. Viele der Münchner Jugendstilkünstler wie Richard Riemerschmid begannen ihre Karriere in den angewandten Künsten mit dem Studium der mittelalterlichen Möbel im Bayerischen Nationalmuseum. Michael Koch zeigt auf, wie und in welcher Form in München der Wunsch nach einem Kunstgewerbemuseum artikuliert wurde, nach einem Museum, das auch moderne Zeugnisse einschließt und Impulse an die Gestalter vermittelt. Zwar wurde vom Bayerischen Nationalmuseum kein Jugendstil gesammelt, doch wurde immerhin die Möglichkeit gegeben, "Raumkunst" - Raumensembles und begleitende Kunstgegenstände - im Rahmen von Ausstellungen temporär auf dem Museumsgelände zu präsentieren.
Die Erwerbstätigkeit im Bereich des zeitgenössischen Kunsthandwerks wurde aufgrund der mangelnden Bereitschaft von Seiten des Museums nun von Vereinsseite durch den 1911 gegründeten "Münchner Bund e.V." übernommen. Koch schildert die frühen Klagen, dass der Münchner Jugendstil in Münchner Sammlungen nicht präsent sei. So gelang es erst 1925 dem damaligen Museumsdirektor Philip Maria Halm, die Abteilung für Gewerbekunst durchzusetzen, den Vorläufer der heutigen Neuen Sammlung, die schon 1947 vom Bayerischen Nationalmuseum abgelöst und eigenständig wurde. 1925 hatten sich allerdings die Bedürfnisse so geändert, dass der Jugendstil nicht mehr als Vorbild fungieren konnte und deswegen als Sammlungsgegenstand zunächst wenig interessant war.
Die eigentliche Sammlungstätigkeit des Bayerischen Nationalmuseums beginnt in Hinblick auf den Jugendstil dann erst viele Jahre später: 1983 mit dem Erwerb der Sammlung von Siegfried Wichmann. Hiermit sollte die inzwischen zwischen den Sammlungen des Bayerischen Nationalmuseums und der Neuen Sammlung klaffende Lücke gefüllt werden. Ergänzt und komplettiert wurden die Jugendstilbestände durch Ankäufe weiterer bedeutender Jugendstilsammlungen wie denjenigen von Hermann Freiherr von Wolff-Metternich mit ihrem Keramikschwerpunkt und mit derjenigen von Herzog Franz von Bayern mit herausragenden französischen und amerikanischen Gläsern. Lange blieben wesentliche Teile aus Raummangel und dann aufgrund der umfassenden Sanierungsmaßnahmen in den Depots. Ein Wiedersehen ermöglichte die 2005 eingerichtete Präsentation "Floraler Jugendstil", die später noch erweitert wurde. Nach langen Jahren war es nun wieder möglich, in einem der ehemaligen deutschen Jugendstilzentren bedeutende internationale Arbeiten dieses "Stils" zu betrachten.
Die Einleitung bietet nicht nur einen Einblick in die Genese dieses Sammlungsteils des Museums, sondern legt darüber hinaus die Probleme Münchens mit der Moderne dar, dokumentiert die langjährige bedauerliche Vernachlässigung dieser für die Stadt so relevanten Jahre.
Im Katalogteil stellt Michael Koch eine sorgfältig überlegte, vielfältige Auswahl von Objekten vor, die sowohl einmalige Spitzenstücke wie Gallés Granatapfelvase von 1898-1899 (Kat. Nr. 80) als auch für einzelne Zentren charakteristische Werke wie die Arbeiten der holländischen Keramikmanufaktur Rozenburg (Kat. Nr. 125-129) sowie Münchner Beispiele versammelt. Hieraus ergibt sich eine abwechslungsreiche Zusammenstellung, die bestrebt ist, die Fülle und Vielfalt der verschiedenen Äußerungen deutlich zu machen und zu charakterisieren.
Von 500 Objekten in den Beständen werden 150 vorgestellt. Nach Materialien geordnet und dann alphabetisch nach Ländern, Künstlern oder Werkstatt sowie nach Chronologie vermitteln sie einen repräsentativen Überblick. Die Konzentration auf eine Objektauswahl erlaubte es, die vorzüglichen Fotos in oftmals ganzseitiger Abbildung zu zeigen, sodass der Reiz der Farben und Formen, die Qualität der handwerklichen Ausführung zu verfolgen sind.
Michael Koch beginnt seine Katalogtexte mit ausführlichen und prägnanten Beschreibungen, die die Balance zwischen Genauigkeit und Knappheit wahren, das Werk in seinen Zusammenhang einstellen und seine Qualitäten bewerten. Die präzise, sachliche Beschreibung bildet die Grundlage für Vergleiche mit der Kunst anderer Länder und Werkstätten, wobei auch auf Vergleichsstücke in anderen Sammlungen verwiesen wird. Je nach Gewerk können unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden. So nehmen beim Glas Darlegungen zur Technik, die zur Einschätzung der Qualität der Arbeiten und in Hinblick auf Zuschreibungs- und Datierungsproblemen relevant sind, einen großen Teil ein. Bei den Möbeln wird auf den ehemaligen Kontext und die Lösung funktionaler Auflagen verwiesen, beim Schmuck liegt der Schwerpunkt auf der vergleichenden Herausarbeitung der künstlerischen Gestaltungsmerkmale. Erweisen sich der Möbel- und Textilteil als stark münchenlastig, so versammelt der Schmuck Werke der bedeutenden französischen Künstler wie René Lalique und Lucien Gaillard, aber auch des Münchner Goldschmieds Karl Rothmüller. Auch beim Glas überwiegen neben den amerikanischen und böhmischen Werken die französischen Arbeiten, die durch die virtuos und einfallsreich eingesetzte Technik gekennzeichnet sind. In der Keramik offenbart sich die Vielfalt des Jugendstils: Naturnachahmung, figürliche Plastik, Orientierung an asiatischen Vorbildern, Forminnovation, ungewöhnliche Oberflächenstrukturen, das Zusammengehen von Form und Dekor, das Spektrum von funktionaler Keramik wie Wandfliesen bis zur künstlerischen Keramik wie den Arbeiten von Adrien Dalpayrat.
Auf die vorbildlichen Katalogbeiträge folgt ein mehrteiliger Anhang, der die Künstlerbiografien und die Geschichte der Werkstätten, Markenabbildungen und ein Glossar zu Techniken und Fachbegriffen umfasst.
Mit diesem Katalog liegt nun nach langer Zeit endlich eine erste Dokumentation der Jugendstilsammlung des Bayerischen Nationalmuseums vor, die attraktiv wie gründlich einen Teil der Bestände zugänglich macht. Der Katalog richtet sich sowohl an den allgemein am Jugendstil Interessierten, der den klaren Ton und die guten Abbildungen schätzen wird, als auch an den Forscher, der hier nun einen gründlichen Einblick in die Sammlungsbestände des Bayerischen Nationalmuseums erhält.
Michaela Braesel