Anja Bettenworth / Dominik Höink (Hgg.): Die Macht der Musik. Interdisziplinäre Studien zu Georg Friedrich Händels Alexander's Feast, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010, 220 S., 9 Abbildungen, ISBN 978-3-89971-733-4, EUR 37,90
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Dominik Höink / Jürgen Heidrich (Hgg.): Gewalt - Bedrohung - Krieg. Interdisziplinäre Studien zu Georg Friedrich Händels Judas Maccabaeus, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010, 242 S., 9 Abbildungen, ISBN 978-3-89971-718-1, EUR 39,90
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Michael Fischer / Norbert Haag / Gabriele Haug-Moritz (Hgg.): Musik in neuzeitlichen Konfessionskulturen. (16. bis 19. Jahrhundert), Ostfildern: Thorbecke 2014
Tassilo Erhardt (Hg.): Sakralmusik im Habsburgerreich 1570-1770, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2012
Marie Schlüter: Musikgeschichte Wittenbergs im 16. Jahrhundert. Quellenkundliche und sozialgeschichtliche Untersuchungen, Göttingen: V&R unipress 2010
Zwei Sammelbände liegen hier vor, die im Rahmen des Münsteraner Exzellenzclusters "Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und der Moderne" entstanden sind. Bearbeitet wird dort von dem an beiden Bänden beteiligten Mitherausgeber Dominik Höink das Projekt "Politisch-nationale Stoffe und geistlich-religiöse Form: Das Oratorium vom 18. bis 20. Jahrhundert". Beide Bände dokumentieren in ähnlicher Weise die wissenschaftliche Begleitung zweier Aufführungen bekannter Oratorien Georg Friedrich Händels in Münster: des Alexander's Feast im Jahr 2008 wie des Judas Maccabaeus im Jahr 2009.
Händels 1736 uraufgeführte Vertonung von John Drydens 1697 geschriebener Ode Alexander's Feast (HWV 75) ist dabei der Gegenstand des ersten Sammelbandes, der in der Summe durchaus als Werkmonographie angesehen werden kann. Die verschiedenen Implikationen von Drydens Ode erlauben dabei einen Zugang aus verschiedenen fachlichen Perspektiven.
Anja Bettenworth blickt aus Sicht der Altphilologie auf Drydens Ode, untersucht dabei die Antikenrezeption und zeichnet ein sehr breites kulturhistorisches Panorama. Sehr überzeugend wird deutlich, wie der Alexander-Stoff der griechischen Antike und die Legende der heiligen Cäcilia, zu deren Festtag - dem Londoner Cäcilienfest - das Oratorium komponiert worden ist, aufeinander abgebildet werden.
Diese Überlegungen werden aus Sicht der (katholischen) Theologie von Christian Hengstermann fortgesetzt, wobei er auch auf die Besonderheiten des "Cecilia's Day" eingeht. Breiten Raum nimmt die theologische Interpretation des Textes ein. Hier setzt Marie-Luise Spieckermann dann mit der Perspektive der anglistischen Literaturwissenschaft fort, ordnet Text, Kontexte und Subtexte der Ode in den Verständnishorizont ihrer Entstehungszeit ein und arbeitet dabei besonders die ironischen Elemente heraus, die es in ihrer Ansicht nahe legen, in der Ode eine gut getarnte Satire auf Wilhelm III. zu sehen, wobei freilich nicht völlig klar wird, welche Diskurse die knapp vier Jahrzehnte zwischen der Entstehung der Ode und der des Oratoriums überbrücken könnten.
In zwei recht eng aufeinander bezogenen Texten führt Panja Mücke aus musikwissenschaftlicher Sicht in das Oratorium ein. Ein erster Beitrag beschäftigt sich vornehmlich faktologisch mit der Entstehung und den Umständen der Uraufführung des Oratoriums, ein zweiter nimmt werkanalytisch die kompositorischen Strukturen und die Affektdarstellung in den Blick. Kaum eingelöst wird dabei die Erwartung, die die Überschrift schürt, in der Händels autographer Werktitel aufgenommen wird: "The Ode" erscheint dort durchgestrichen. Wie man dem Oratorium, im 19. Jahrhundert auch schon einmal als "namenlose Mittelgattung" bezeichnet, als Beispiel von Alexander's Feast gattungstheoretisch beikommen kann, bleibt hier auf einzelne Beobachtungen wie äußere Werkgestalt und Aufführungskontext beschränkt.
Einen originellen Beitrag aus Sicht der Kunstgeschichte steuert Eva-Bettina Krems dem Sammelband bei, indem sie die musikalische Affektdarstellung Händels mit den Traditionen der Alexander-Ikonographie parallelisiert. Rausch und Mitleid, Liebe und Rache sind dabei vier Aspekte, an denen sie diese Parallelen sehr überzeugend aufzeigt. Leider steht die Druckqualität der Abbildungen der Qualität der Argumentation sehr deutlich nach.
Das Nachleben des Oratoriums im 19. Jahrhundert ist schließlich Gegenstand zweier gemeinsamer Beiträge von Dominik Höink und Rebekka Sandmeier, in denen das sich wandelnde Verständnis dieses Oratoriums nachgezeichnet und seine Aufführungen dokumentiert werden. Dabei gilt es, kleinere Einschränkungen zu machen: Beide Beiträge sind auf den deutschsprachigen Raum konzentriert, und während die "Dokumentation der Berichterstattung über Händels Alexanderfest" auch tatsächlich den Zeitraum von 1807 bis 1897 umfasst, nimmt der vorangestellte Beitrag vielmehr die Wendepunktstationen der Händel-Rezeption im deutschsprachigen Raum zwischen etwa 1760 und etwa 1860 in den Blick - was aus inhaltlichen Überlegungen heraus auch sehr viel sinnvoller ist.
Ein Abdruck des Odentextes wie des Librettos rundet zusammen mit einer knappen Auswahlbibliographie und einem Register den Band ab. In der Summe liegt hier eine ansprechende Werkmonographie vor, die freilich von einem Mehr an Querverbindungen zwischen den Beiträgen noch sehr deutlich hätte profitieren können.
Dennoch ist dieser Band von einer Geschlossenheit gekennzeichnet, die dem zweiten Band eher fehlt. Hier erregt der Titel zweifellos schnell Aufmerksamkeit: Gewalt, Bedrohung und Krieg sind drei Schlüsselworte, die man mit der friedlichen Liebeskunst Musik, der ja viel eher zugesprochen wird, völkerverbindend zu wirken, nicht automatisch zusammenbringt. Der Gegenstand, an dem diese Begriffe verankert werden, ist Händels 1746 komponiertes Oratorium Judas Maccaebaeus (HWV 63), ein Werk, in dem die Geschichte vom Aufstand der Makkabäer gegen die seleukidische Herrschaft wiedergegeben wird. Diese Geschichte, die in den deuterokanonischen Makkabäerbüchern enthalten ist, ist vor dem Hintergrund des Jakobitenaufstandes von 1745 geschrieben worden und spiegelt die damaligen Verhältnisse, indem England mit den Makkabäern assoziiert wird, die sich erfolgreich gegen einen Aggressor - die Jakobiten stehen entsprechend für die Seleukiden - zur Wehr setzen. Gewalt, Bedrohung und Krieg sind somit tatsächlich passende Schlagworte.
Die damit geschürten Erwartungen werden jedoch nur teilweise eingelöst. Der Band fasst acht Beiträge zusammen: vier Einführungsvorträge, die die Aufführung des Oratoriums begleiteten, sowie vier ergänzende Beiträge, die sich der Rezeption des Werks im Zeitraum von 1800 bis 1945 widmen. Auch hier finden sich ein Abdruck des Librettos und eine knappe, gerade einmal 23 Titel umfassende Bibliographie im Anhang des Bandes.
Die Heterogenität der Beiträge ist somit auch ihrem jeweiligen Kontext geschuldet: Einführungsvorträge zu einer Oratorienaufführung folgen weitaus eher hermeneutischen als analytischen Interessen. Und das tun die vier Beiträge in mehrheitlich durchaus nicht ungeschickter Weise. Seitens der alttestamentlichen Forschung gibt Johannes Schnocks eine sehr überzeugende Darstellung des aktuellen Kenntnisstands um den Makkabäeraufstand "in der Bibel und bei Händel", womit die Auseinandersetzung mit der literarischen Verarbeitung des Geschehens im Libretto Thomas Morells, das auch Motive aus den Antiquitates Judaicae des Flavius Josephus aufnimmt. Iris Fleßenkämper stellt dem die Sicht der Historikerin an die Seite und untersucht die "gesellschaftliche (In-) Stabilität Großbritanniens im 18. Jahrhundert". Die Perspektive der anglistischen Literaturwissenschaft steuert Gabriele Müller-Oberhäuser mit einem Beitrag zu Morells Libretto im Kontext der englischen Literatur bei, während Jürgen Heidrich schließlich den musikwissenschaftlichen Blick auf Gattungstypologie und -kontext des Judas Maccabaeus lenkt.
In der Auseinandersetzung mit dem historischen Verständnis der Händelschen Oratorien stößt man zwangsläufig auf Ruth Smiths Studie über Handel's Oratorios and Eighteenth-Century Thought sowie ihre verwandten Arbeiten. Diese vier Beiträge bilden dazu keine Ausnahme, gleichwohl tun sie das in unterschiedlicher Distanz. Während Schnocks nämlich Smiths Position sorgfältig dekonstruiert und auch die methodischen Schwächen ihrer Studie darlegt, übernimmt Iris Fleßenkämper Smiths Standpunkte nahezu distanzlos und liefert sich damit einem Forschungsansatz aus, der vordergründig spannend und relevant anmutet, bei genauerem Hinsehen aber mehr als problematisch ist. Smith analysiert nämlich nicht die historischen Diskurse - die, wenig verwunderlich, in einer affirmativen Gattung wie dem Oratorium um völlig andere Gegenstände kreisen als Gewalt, Bedrohung oder Krieg -, sondern versucht, Parallelen zwischen einer modernen Gesellschaftsanalyse und historischen Libretti aufzuzeigen. Der ansonsten kenntnisreichen Darstellung Iris Fleßenkämpers nimmt das nachhaltig die Spitze.
Leider bewegt sich auch der Beitrag Gabriele Müller-Oberhäusers nicht auf sicherem Boden. Ihr Text ist zunächst reich an Gemeinplätzen zu Händels Londoner Biographie, einem Einführungsvortrag durchaus angemessen, in einem Sammelband wie dem vorliegenden indes ohne Belang. Vor allem aber analysiert sie das Libretto methodisch vom Standpunkt der 1950er-Jahre aus. Die schwierige Frage nach literarischen Bewertungsmaßstäben, die auch in der "heutigen Diskussion" angelegt werden können, führt zu Winton Deans nicht gerade heutiger Arbeit über Handel's Dramatic Oratorios and Masques aus dem Jahr 1959. Übersehen wird dabei völlig, welchen Paradigmenwechsel die interdisziplinäre Librettoforschung seither vollzogen hat. Der Beitrag von Jürgen Heidrich schließlich nimmt am Beispiel der "Liberty"-Idee den dramaturgischen Aufbau von Judas Maccabaeus in den Blick und zieht einen Vergleich zum thematisch benachbarten Alexander Balus.
Die vier Beiträge, die sich mit Aspekten der Rezeption des Werkes auseinandersetzen, weiten den Blick für teilweise bisher kaum oder gar nicht erforschte Gegenstände. Dominik Höink gibt einen materialreichen Überblick über die publizistische Rezeption des Judas Maccabaeus im deutschsprachigen Raum, den Begriff Rezeption dabei nicht als theoretisch geleitetes Analyseinstrument, vielmehr als deskriptive Chiffre für spätere Erwähnung verstehend. Andrea Ammendola lenkt die Aufmerksamkeit auf die bislang nur wenig untersuchte Auseinandersetzung mit Händels Oratorien im katholischen Umfeld, indem er die Judas Maccabaeus -Bearbeitungen des römischen Priesters, Musiksammlers und Komponisten Fortunato Santini analysiert und dabei nicht zuletzt auf Probleme der Übersetzung des Textes und dessen neu erforderlicher Adaption an die Musik sehr schlüssig darstellt.
Diese Übersetzungsproblematik prägt auch die zwischen 1772 und 1939 entstandenen deutschen Übersetzungen des Librettos, die Gegenstand des Beitrags von Sarah Grossert und Rebekka Sandmeier sind, dabei einen Bogen von den klassischen Übersetzungen Johann Joachim Eschenburgs hin zu den ideologisch vergifteten Bearbeitungen von C.G. Harke und Johannes Klöcking, die aus Judas Maccabaeus das "Heldenlied eines niederdeutschen Freiheitskampfes" mit dem Obertitel Wilhelmus von Nassauen machen. Überzeugend klar wird dabei, wie die abstrahierende Entkleidung der Geschichte des Makkabäeraufstandes, die Voraussetzung für diese radikale Bearbeitung ist, in den Bearbeitungen des frühen 19. Jahrhunderts bereits angelegt ist.
Daran anknüpfend, widmet sich Rebekka Sandmeier abschließend dem Umgang mit Judas Maccabaeus in Deutschland zwischen 1933 und 1945. Dabei bleibt die ideologische Vereinnahmung des Werkes durch das nationalsozialistische Regime im Blick. Als ein bislang weitgehend unbekannter Aspekt kommt indes die gleichzeitige Pflege der Händelschen Oratorien durch den Jüdischen Kulturbund hinzu, wobei Rebekka Sandmeier schlüssig auf die Perfidie der Gleichzeitigkeit von nationalsozialistischer Vereinnahmung des Oratoriums und dessen symbolhafter Bedeutung für die jüdische Bevölkerung hinarbeitet.
Dieser Band lenkt damit den Blick auf manch ein lohnend erscheinendes Forschungsfeld, ohne jedoch in der Beschäftigung mit dem Oratorium und seinem historischen Kontext ein theoretisches Reflexionsniveau zu erreichen, das dem vollmundigen Buchtitel gerecht würde.
Andreas Waczkat