Rezension über:

Chris Jones: Eclipse of Empire? Perceptions of the Western Empire and its Rulers in Late-Medieval France (= Cursor Mundi; Bd. 1), Turnhout: Brepols 2007, XXIV + 415 S., ISBN 978-2-503-52478-8, EUR 97,99
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Rezension von:
Gerald Schwedler
Historisches Seminar, Universität Zürich
Redaktionelle Betreuung:
Claudia Zey
Empfohlene Zitierweise:
Gerald Schwedler: Rezension von: Chris Jones: Eclipse of Empire? Perceptions of the Western Empire and its Rulers in Late-Medieval France, Turnhout: Brepols 2007, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11 [15.11.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/11/15617.html


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Chris Jones: Eclipse of Empire?

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"Eclipse of Empire" lautet der vieldeutige Titel der an der University of Durham entstandenen Dissertation von Chris Jones. Der Untertitel führt auf die zentrale Fragestellung hin, die Wahrnehmung des römisch-deutschen Kaiserreichs und dessen Herrscher im spätmittelalterlichen Frankreich. Erklärtes Ziel der Arbeit ist es, die Vorstellungen vom und Einstellungen zum westlichen Kaiserreich zu untersuchen, wie sie in der nordfranzösischen Bevölkerung in der Zeit von 1240 - 1340 feststellbar sind. Dabei geht es nicht um die Nachzeichnung von politischen Positionen wie sie etwa im Rahmen der Grenzverfestigungen zwischen Frankreich und dem Reich greifbar werden, wie es beispielsweise in der bisherigen, auf Staatlichkeit und Institutionalisierung fokussierten Forschung im Zentrum stand. Vielmehr richtet der Verfasser den Blick auf die Mentalitäten der Bewohner in den betreffenden Landstrichen des nördlichen Frankreichs und wie man auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen das Verhältnis vom Kaiserreich zum Königreich Frankreich sah, letztlich also wie man den eigenen Lebensraum in ein Weltbild einzuordnen suchte. Bewusst verfolgt der Verfasser nicht die juristisch und ideengeschichtlich geführte Forschungsdebatte der 60er und 70er Jahre des letzten Jahrhunderts weiter, welche Kompetenzen der Kaiser als dominus mundi nun de jure oder de facto habe. Ebenso setzt er sich kritisch mit den Arbeiten von Mireille Chazan [1] auseinander, die aufgrund der Untersuchungen zur Wahrnehmung des Reichs in der hofnahen Historiographie Frankreichs zum Ergebnis kam, dass man die Bedeutung des Kaisers auszublenden versuchte. Doch - so argumentiert Jones - waren die Geschichtswerke und gelehrsamen politischen Traktate nur einem verschwindend geringen Leserkreis zugänglich und in ihrer Wirkung überschätzt. Viel wichtiger sei es, bei der Untersuchung der Frage, wie Kaiser und Kaiserreich wahrgenommen wurden, das grösstmögliche Spektrum an Quellen heranzuziehen, um auch breitere Bevölkerungsschichten ins Blickfeld zu bekommen. Der Anspruch ist nicht weniger, als durch diese breit angelegte Herangehensweise Licht ins Dunkel der Vorstellungen vom Reich zu bringen: to throw open the shutters of the whole house (7).

So dient als Grundlage nicht nur die umfangreiche lateinische und volkssprachliche Geschichtsschreibung, sondern auch höfische und bürgerliche Epik, Gesänge, Verwaltungsschriftgut, ja auch Predigten, Hagiographie oder bemalte Glasfenster (18). In erster Linie werden jedoch Chroniken und Annalen verwendet, die jeweils eigens kontextualisiert werden. Dem Verfasser gelingt es vorbildlich, in den betreffenden Abschnitten Quellenautor, Entstehungsort und die Hintergründe der Rezeption darzulegen. Das Werk kann deswegen auf weite Strecken wie eine Literaturgeschichte der spätmittelalterlichen Historiographie Nordfrankreichs gelesen werden, in der Texte, Absichten und gegenseitige Abhängigkeiten konzise eingeführt und dann auf die spezifische Thematik des Bandes überprüft werden.

In acht Kapiteln nähert sich der Verfasser dem Phänomen der Wahrnehmung des Anderen - eine Fragestellung, die für das deutsch-französische Verhältnis im Mittelalter jüngst öfter behandelt wurde. [2] In einem ersten Teil geht er auf die Wahrnehmung von Kaiser Friedrich II. in den unterschiedlichen Textgenres und entsprechenden Rezipientenkreisen ein (Kap. 1-3). Ein zweiter Teil behandelt die Rezeption Karls des Grossen (Kap 4) und dem Paradox, dass er vor allem als König von Frankreich, nicht als Kaiser gewertet wurde. Kapitel 5 widmet sich dem unterschiedlichen Verständnis von Herrschaftsnachfolge im Reich und in Frankreich und welche individuellen Schlüsse aus dem Ende der Dynastie der Hohenstaufen gezogen wurden. Doch kommt der Verfasser nicht umhin, auch einen Abschnitt der juristischen Gelehrtendebatte um die Herrschaftsrechte eines Kaisers und den französischen Reaktionen darauf zu widmen (Kap. 6). Ebenso stark auf vorausgehenden Forschungen aufbauend zeichnet der Verfasser im 7. Kapitel die lokale Wahrnehmung der Grenzziehung zwischen regnum und imperium nach, die insbesondere in den unterschiedlichen Geschwindigkeiten des Herrschaftsausbaus deutlich wird. Mit erfrischend neuem Blick zeigt der Verfasser im 8. Kapitel, wie man lokal mit der bereits alten Frage umging, wer denn die Deutschen zu den Herren der Welt gemacht habe. Hier festigt der Verfasser sein Argumentationsziel, dass die These vom "Eclipse of Empire" nicht wirklich zutrifft, dass man sehr wohl das (römisch-deutsche) Kaisertum in ein Weltbild einzubetten wusste, und die Unstimmigkeiten eines benachbarten Kaiserreichs im Osten nicht durch Verdrängung aus dem eigenen Horizont zu bereinigen suchte.

In der Arbeit überzeugen die subtile Diskussion mittelalterlicher Stellungnahmen zum Reich bzw. die Argumente der umfangreich hinzugezogenen Forschungsliteratur. Ein forschungsgeschichtlich vielfach behandeltes Feld konnte mit dem neuen Ansatz fruchtbar zu weiteren Erkenntnissen geführt werden. Neues Quellenmaterial wurde dabei jedoch nicht erschlossen, die Fülle die im Anhang angeführten Manuskripte wurden nur subsidiär als Beleg hinzugezogen ohne den Lauf der Argumentation im Haupttext zu beeinflussen. Gerade aber wenn spätmittelalterliche Historiographie im Zentrum steht, kann nicht mehr nur auf Editionen zurückgegriffen werden.

Manchmal wünscht sich der Leser eine klarere Strukturierung des behandelten Materials, da die am Phänomen orientierten Kapitel oftmals dieselben Quellen verwenden und sich vermeidbare Wiederholungen ergeben. Hinzu kommt, dass der Inhalt des Buches dadurch schwerer zu erschliessen ist, da Kapitelüberschriften gut klingen, aber nicht das zu Behandelnde bezeichnen (z.B. Kap. 5: Through the Looking Glass). Der Index nennt zwar Namen und Werktitel eröffnet aber keine Motivkomplexe, auch hier ist also keine rasche Orientierung möglich.

Der Wert der Arbeit liegt zunächst darin, die Vielschichtigkeit der französischen Sichtweisen aufzuzeigen. Wenn beispielsweise die Historiographie von Saint Denis als auf Dynastien fixiert entlarvt werden kann, womit sich vielfach die Forschung schon zufrieden gibt (141), so wird dies durch unzählige weitere Stimmen unterschiedlicher Quellen relativiert. Der Verfasser breitet die multiplen Perspektiven wie auch die unterschiedlichen Quellenarten aus, die Einblicke unter denen das Reich betrachtet wurde. Der warhnehmungsgeschichtliche Ansatz der Arbeit sowie der (nicht immer eingehaltene) Anspruch, die Mentalitäten mehrerer sozialer Schichten zu untersuchen, machen das Buch zu einer interessanten und anregenden Lektüre.

Anmerkungen:

[1] Chazan Mireille: L'Empire et l'histoire universelle de Sigebert de Gembloux à Jean de Saint-Victor XIIe-XIVe siècle, Paris 1999.

[2] Marie-Luise Heckmann: Aus der Sicht des Anderen: Zum kulturellen Gedächtnis in Frankreich und dem römisch-deutschen Reich im späten Mittelalter, in: Kulturelles Gedächtnis und interkulturelle Rezeption im europäischen Kontext, hgg. v. Eva Dewes und Sandra Duhem, Berlin 2008, 47-66; Georg Jostkleigrewe: Das Bild des Anderen: Entstehung und Wirkung deutsch-französischer Fremdbilder in der volkssprachlichen Literatur und Historiographie des 12. bis 14. Jahrhunderts, Berlin 2008.

Gerald Schwedler