Rezension über:

Markus Wesche (Hg.): Formosissimus Puer. Gedichte auf den Tod des Pagen Alessandro Cinuzzi. 1474 (= Bibliothek rosa Winkel; Bd. 50), Hamburg: Männerschwarm Verlag 2009, 200 S., ISBN 978-3-939542-50-6, EUR 14,00
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Rezension von:
Franz Fuchs
Institut für Geschichte, Julius-Maximilians-Universität, Würzburg
Redaktionelle Betreuung:
Martina Giese
Empfohlene Zitierweise:
Franz Fuchs: Rezension von: Markus Wesche (Hg.): Formosissimus Puer. Gedichte auf den Tod des Pagen Alessandro Cinuzzi. 1474, Hamburg: Männerschwarm Verlag 2009, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11 [15.11.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/11/20690.html


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Markus Wesche (Hg.): Formosissimus Puer

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Das kleine, vorzüglich ausgestattete Bändchen befasst sich mit einem außerordentlichen literarischen Werk. Es bietet die erste kritische Edition mit Kommentar und Übersetzung der ohne Jahresangabe bei Vitus Puecher in Rom erschienenen Inkunabel "Epigrammata poetarum multorum in obitum Alexandri pueri Senensis" (GW 931), einer Gedichtsammlung, welche das Gedächtnis des am 8. Januar 1474 im Alter von noch nicht 16 Jahren verstorbenen Alessandro Cinuzzi, des "schönsten aller Knaben", feiert und kurz nach dessen Tod erschienen sein dürfte. Der einer Sieneser Adelsfamilie entsprossene Alessandro war wohl zur Ausbildung in das Rom Papst Sixtus' IV. gekommen, wo er in den Haushalt von dessen weltlichem Nepoten, dem des Grafen Girolamo Riario, aufgenommen wurde.

Durch seine angenehmen Umgangsformen, seine musikalische Begabung und vor allem sein Aussehen wurde Alessandro zum umschwärmten Idol der Literaten um Pomponio Leto und seiner römischen Akademie. Als eine schwere fiebrige Erkrankung ihn zur Rückkehr in seine Vaterstadt Siena zwang, wo er bald darauf verstarb und in der Familiengruft seiner Familie in der dortigen Franziskanerkirche seine letzte Ruhe fand, wurde er von seinen Verehrern Demetrius und Hermes begleitet, die nach seinem Tod für seinen Nachruhm sorgen wollten. Der eine von ihnen, Demetrius, der Initiator der Epitaphiensammlung, ist mit Pietro Demetrio Guazelli († 1511), einem bekannten Mitglied der römischen Akademie, zu identifizieren, der bis 1475 in der Familia des Kardinal Francesco Gonzaga beschäftigt war und seit 1501 als Sakristan der Peterskirche nachgewiesen werden kann. Der zweite Begleiter, der ebenfalls im Gonzaga-Haushalt tätige Goldschmied Hermes Flavius, verfertigte eine außergewöhnlich große Gedenkmedaille für den verstorbenen Knaben; er ist mit dem berühmten Medailleur Lysippus gleichzusetzen, dessen künstlerisches Œuvre jüngst von Ulrich Pfisterer untersucht worden ist.[1] Hermes Flavius erscheint als der besondere amator des Alessandro. Einige Gedichte sind an ihn gerichtet und thematisieren den Schmerz des Zurückgebliebenen über den Verlust des Geliebten.

Die Epitaphiensammlung enthält insgesamt 41 Einheiten; die meisten Epitaphien und Elegien sind in elegischen Distichen abgefasst, es befinden sich aber auch einige Grabschriften in Prosa, ein Gedicht in Hendekasyllaben und vier Sonette in Volgare darunter. Von den 20 genannten Dichtern lassen sich nicht wenige in den Freundeskreisen des Bartolomeo Platina und Giovanni Antonio Campano sowie im Umfeld der römischen Akademie nachweisen. Für andere steht die Identifizierung noch aus. So bleibt erst noch zu eruieren, wer sich hinter dem "Pindarus Theotonicus" verbirgt, von dessen Feder die letzten vier Gedichte der Sammlung herrühren. Die Gedichtsammlung, mit der eine Gruppe von Literaten mit den neuen Medien des Buchdrucks dem jung verstorbenen Alessandro ein huldigendes Denkmal setzte, ist nicht nur ein erstaunliches Zeugnis für die literarischen Interessen dieses Kreises im Umfeld der Kurie unter Papst Sixtus IV., sondern auch ein geradezu singuläres Dokument für die offene Wertschätzung homoerotischer Beziehungen im ausgehenden 15. Jahrhundert.

Die mit philologischer Akkuratesse erstellte Edition, die erstmals die antiken Vorlagen und Similien nachweist, wird durch eine sachkundige und reichlich mit Bildern ausgestattete Einleitung und durch zwei Register erschlossen; die Übersetzung ist präzise und nah am lateinischen Text, ohne je holprig zu werden. Hervorgehoben sei nicht zuletzt auch der äußerst günstige Preis.


Anmerkung:

[1] Ulrich Pfisterer: Lysippus und seine Freunde. Liebesgaben und Gedächtnis im Rom der Renaissance oder Das erste Jahrhundert der Medaille, Berlin 2008.

Franz Fuchs