Barbara R. Woshinsky: Imagining Women's Conventual Spaces in France, 1600-1800. The Cloister Disclosed (= Women and Gender in the Early Modern World), Aldershot: Ashgate 2010, XVII + 344 S., ISBN 978-0-7546-6754-4, GBP 60,00
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Die Monografie der amerikanischen Literaturwissenschaftlerin Barbara R. Woshinsky ist keine Geschichte der Frauenklöster des Ancien Régime per se, sondern eine Analyse wie Nonnenklöster und Nonnen von zeitgenössischen geistlichen und weltlichen, männlichen und weiblichen Schriftstellern, deren Publikum und der Gesellschaft ganz allgemein wahrgenommen wurden. Der jungfräuliche Körper der Nonne ist ihrem Bräutigam Christus vorbehalten und in einer Art von "heiligem" Harem in der Klausur des Klosters eingeschlossen. Nach katholischem Verständnis ist die klösterliche Klausur jedoch nicht nur räumlich zu verstehen, sondern auch eine spirituelle Abschließung der Seele. Folglich ist die Stille und Ordnung des Klosters die unabdingbare Voraussetzung für ein auf Gott ausgerichtetes Leben, die "echte" Berufung in den Ordensstand die größte Gnade Gottes, derer ein Mensch teilhaftig werden kann. Woshinskys Studie unternimmt den Versuch, die besondere Stellung von Frauenklöstern in der frühneuzeitlichen Vorstellungswelt, im Kontext von Raum, Geschlecht und Macht zu analysieren. Einschließung gehört für die Autorin zur mentalen und sozialen Konstruktion von Weiblichkeit.
Trotz strenger Klausurvorschriften spielten Frauenklöster und ihre BewohnerInnen eine nicht unwesentliche Rolle im gesellschaftlichen und öffentlichen Leben, sei es durch die zahlreichen Gottesdienste in ihren Kirchen, durch ihr soziales Engagement oder als Versorgungsstätten für unverheiratete Töchter. Nonnenkonvente waren allgegenwärtig und fast jedermann hatte eine Klosterfrau in seiner Verwandtschaft oder in seinem Freundes- und Bekanntenkreis. Gleichzeitig hatte die klösterliche Klausur auch den Nimbus des Geheimnisvollen und des Verbotenen. Das Konzil von Trient verschärfte 1563 die Klausurbestimmunen für Frauenklöster, im Zuge der Französischen Revolution wurden alle Konvente aufgehoben und die Nonnen vertrieben. Die beiden Jahrhunderte dazwischen waren europaweit von dramatischen, politischen und gesellschaftlichen Veränderungen geprägt, welche nicht nur die Klöster unmittelbar betrafen, sondern auch das Bild, das sich SchriftstellerInnen von Frauenklöstern machten, unwiderruflich veränderten.
Die soziale Funktion der frühneuzeitlichen Nonnenkonvente bestand in der standesgemäßen Unterbringung lediger Frauen und war damit das Gegenmodell zur Ehe. Margaret Cavendish entwarf mit ihrem "Convent of Pleasure" (1668) das Modell eines "weltlichen Klosters", in dem Frauen, ohne der Kontrolle von Männern oder einer rigiden Ordensregel unterworfen zu sein, in Gemeinschaft gleichgesinnter Geschlechtsgenossinnen ein angenehmes und selbstbestimmtes Leben führen konnten. In den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts änderte sich die Sichtweise der Literaten auf die klösterlichen Räume. Das Kloster war nicht länger eine fiktive Gegenwelt, sondern in die Gesellschaft sozial eingebunden. Klöster fungierten unter anderem auch als Rückzugsorte für weltliche Frauen. Hortense und Marie Mancini, die Nichten Kardinal Mazarins, berichten in ihren Memoiren, dass sie wiederholt in Frauenklöstern Zuflucht vor ihren tyrannischen Ehemännern fanden. Zu Ende des 17. Jahrhunderts kommen Satire und Erotik als neue Elemente der "Nonnenromane" hinzu. Die Klausur wird entweder als hermetisch abgeschlossen und düster oder als allzu offen und wollüstig beschrieben. Die "Lettres portugaises" von Guillerague (1669) und Diderot's "La Religieuse" (1790) sind prominente Beispiele dafür.
In ihrer Analyse kommt Woshinsky zu dem Schluss, dass die literarische Sichtweise auf Nonnenklöster stark geschlechtsspezifisch ist. Die Beschreibung weiblichen Klosterlebens durch männliche Autoren ist oft melodramatisch und erotisch. Der Blick weiblicher Autoren erscheint dagegen realistischer, ihre Darstellungsweise weniger dramatisch. Das Leben in einem Nonnenkloster ist für weltliche Frauen eher langweilig und ärgerlich als tatsächlich schrecklich. Woshinsky erklärt diesen Unterschied in der Wahrnehmung damit, dass auch weltliche (Ehe)Frauen in der Frühen Neuzeit starken gesellschaftlichen Zwängen unterworfen waren und daher einen realistischeren Blick auf die Lebensform der Nonne hatten.
Die Einbettung der Konvente in ihr soziales Umfeld, die relative Durchlässigkeit der Klausur, aber auch die unterschiedlichen Arten von Nonnenklöstern - von den streng kontemplativ lebenden Karmelitinnen bis hin zu den Tertiarinnen mit einfachen Gelübden -, und nicht zuletzt die Problematik der unfreiwilligen Nonnen sind Fragen, welche die frühneuzeitliche Frauenklosterforschung aktuell beschäftigen. Woshinsky analysiert diese Themenschwerpunkte anhand von literarischen Quellen. Über die Klostergeschichte hinaus wird damit eine weibliche Lebensform, die in dieser Form spätestens seit dem Zweiten Vatikanum nicht mehr existent ist, beleuchtet. Die gelungene Verbindung von Historiografie und Literaturwissenschaft ist, zusammen mit der innovativen Fragestellung, eine Stärke von Woshinskys Monografie, welche damit auch ein neues Schlaglicht auf frühneuzeitliche Geschlechterverhältnisse wirft.
Christine Schneider